Fahrbericht Harley-Davidson Livewire

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Nun ist die Livewire also serienreif. Ab September dieses Jahres wird sie zeitgleich in vielen Märkten, auch dem deutschen, erhältlich sein. Zum stolzen Preis von 32.995 Euro zuzüglich Nebenkosten. Der muss den Absatz nicht zwingend einbremsen: Preise in dieser Größenordnung sind für Harley-Kunden nicht utopisch. Schon bisher gab es Fahrzeuge im Modellprogramm, die sogar die 40.000-Euro-Marke durchstoßen haben und blitzschnell abgesetzt werden konnten – allerdings waren das ultrareichlich ausgestattete Sondermodelle in limitierter Auflage mit aufwendigem Sonderlack.

Für bewusst konsumierende Lohas und Zahnwälte

Die Livewire ist im Vergleich zu einer CVO Limited mit ihren immerhin 411 Kilogramm Gewicht und einer ausufernden Verkleidung für 42.600 Euro nachgerade ein Straßenfloh, nämlich 249 Kilogramm leicht. Keinerlei Verkleidung stemmt sich dem Fahrtwind entgegen oder hält Regen ab. Mit solchen Widrigkeiten werden sich Livewire-Kunden nach Überzeugung des Herstellers kaum auseinandersetzen: Zielgruppe sind gut oder sehr gut verdienende Leute zwischen Mitte 30 und Anfang 50 mit schönem Haus und schickem Auto, die im urbanen Bereich zuhause sind und eben dort auch ihren Zweiradspaß suchen. Unabhängig von ihrem Verhalten denken sie „grün“, das Wort „vegan“ ist ihnen geläufig. Jünger, städtischer und unterschiedlicher in allen Facetten werden die Livewire-Käufer sein als bisherige Harley-Kunden, sagt man in Milwaukee, Luxus ist für sie so normal wie Design ihnen wichtig ist.

Zum Glück hatten die Cops gerade keine Zeit

Denkt man diesen Gedanken zu Ende, läuft alles auf einen Livewire-Erfolg hinaus. Denn für diese Kunden bedeutet Strom für 235 Kilometer im Stadtverkehr ein fettes Polster, und auch die möglichen 113 Kilometer bei konstant 120 km/h auf der Autobahn klingen nach viel. Im kombinierten Verkehr schafft die Livewire mit ihrem 15,5 kWh-Akku – davon sind 13,6 kWh nutzbar – immerhin 152 Kilometer.

Auf ungefähr dieselbe Distanz kamen wir rechnerisch auch nach unserer Testfahrt: Der Test in und um Portland/Oregon endete nach 100 Kilometern mit rund 35 Prozent Stromvorrat. Anders als möglicherweise viele künftige Livewire-Kunden hatten wir aber noch einen riesigen Appetit auf mehr. Denn die Livewire, nominell nur 78 kW stark – in alter Verbrennertradition sind das 106 PS – stellte sich als formidables, ungeheuer fahraktives Sportbike heraus. So recht geeignet, um den kurvigen Skyline Boulevard entlang zu fräsen. Zum Glück hatten just während unserer Probefahrt alle Cops der Region gerade keine Zeit für Geschwindigkeitsüberwachung.

Gedanken an Katzen

Die Fahrwerksgeometrie in Verbindung mit den Komponenten für Radführung und Bremsen lassen die Livewire ausgesprochen handlich erscheinen. Das Paket aus souveränem Durchzug, großer Agilität und erfreulicher Handlichkeit führt in Kombination mit einer sportiven Sitzposition und insgesamt gelungener Ergonomie zu hohem Fahrvergnügen. Und zwar nicht nur an bekannten Harleys gemessen. Ein knapper Dreh am – Verzeihung – Gasgriff genügt, schon schnellt die Livewire nach vorn – Gedanken an hungrige Raubkatzen blitzen auf.

Nur 1,9 Sekunden gibt der Hersteller für den Durchzug von 96 km/h auf 128 km/h an, drei Sekunden soll der Sprint aus dem Stand auf 96 km/h dauern. Gefühlt stimmen diese Werte voll und ganz. Je nach gewähltem Fahrmodus – es gibt vier vorkonfigurierte und drei individuell konfigurierbare – genügt zum Einbremsen alleine das Zurückdrehen des Griffs, um so flott Tempo abzubauen, dass das Bremslicht von alleine leuchtet und so den nachfolgenden Verkehr warnt. Je mehr Energie die Livewire in ihren Akku rekuperieren darf, desto seltener muss man die Bremse betätigen.