Die Entdeckung der Langsamkeit

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Ich tastete mich langsam an die maximale Schräglage heran, stets darauf gefasst, dass gleich der Auspuffkrümmer oder Seitenständer mit einem hässlichen Kratzen aufsetzte und mich in die Botanik hebelte, aber das Geräusch blieb aus. Erstaunlich, die Bonneville konnte viel mehr, als ich ihr zugetraut hatte. Allerdings reagierte sie beim raschen öffnen und schließen des Gasgriffs mit dezenten Lastwechselreaktionen. Die Triumph bevorzugte ein gefühlvolle Handhabung, Grobmotoriker waren auf ihr Fehl am Platze.

Freiwillig langsam

Noch viel mehr staunte ich aber über mich selbst. Nach der ersten halben Stunde, wo ich den Gashahn möglichst auf Anschlag gehalten hatte, um zu sehen, was die Bonnie konnte, ertappte ich mich dabei, sie entspannt rollen zu lassen. Einfach den satten Punch des Twins auszunutzen und mehr zu gleiten, denn anzugasen. Genussvoll durch die Kurven zu swingen, anstatt wild hineinzubremsen, zumal die Bremsen zwar ganz anständig verzögerten, aber nicht wirklich brachial zupackten. So eine Fahrweise kannte ich bisher nur von dicken Cruisern, und da war man dazu gezwungen, weil sie einfach nicht schneller können, aber hier tat ich es freiwillig. Was war mit mir geschehen?

Während der nächsten Kaffeepause versuchte ich eine kritische Selbstanalyse. War ich einfach noch nicht richtig wach? Zu niedriger Koffeinspiegel? Hatte ich mich in einem Anfall von Behördengehorsam dem Diktat der Geschwindigkeitsbegrenzung unterworfen? Wollte ich das Leihfahrzeug nicht mutwillig zerstören? Es traf alles nicht zu, stattdessen beunruhigte mich der Gedanke, dass ich einfach Spaß an der eher gemächlichen Fortbewegungsart gefunden haben könnte.

Eine klassische Schönheit

Zur Wahrheitsfindung half nur der Selbstversuch. Ich schwang mich auf die Bonnie, griff nach dem schwarz lackierten Lenker – für mich dürfte er übrigens ruhig noch einen Tick näher an den Fahrer heranreichen – und genoss für einen Augenblick die Aussicht auf die beiden wunderschönen Uhren, links Tacho, rechts Drehzahlmesser. Schwarz unterlegt mit weißen Ziffern wie anno dazumal. Okay, das kleine digitale Display im Tacho störte schon ein wenig den nostalgischen Touch, andererseits wusste ich die dort gelieferten Informationen zu schätzen. Das Zündschloss hätte ich lieber vor dem Lenkkopf, einfach aus Gewohnheit, aber ansonsten war alles so gestaltet, wie ich es auch getan hätte, wenn ich in Hinckley vor einem weißen Blatt Papier gesessen hätte und Triumph-Boss John Bloor mich beauftragt hätte: „Zeichne ein Retro-Bike, das unserer langen Historie würdig ist!“