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Welche Chancen haben reine Elektroantriebe und was sind die Alternativen?

Fahren wir in Zukunft elektrisch?

Technik ggo

Zwischen den Extremen Verbrennungsmotor und Elektroantrieb liegen viele Mischformen und Spielarten. Wolfgang Steiger, Leiter der VW-Antriebsforschung, sagt im Interview, wie sie aussehen könnten

Hannover, 30. Juni 2008 – Wer ein Hybridfahrzeug [1] kaufen möchte, muss sich bei seiner Wahl [2] wenig quälen – der Platzhirsch heißt Toyota, dahinter kommt außer Honda so gut wie nichts. Man muss anerkennen, das vor allem der Toyota Prius einen Trend begründete. Andere Hersteller begannen umzudenken und kündigen seit einigen Monaten reihenweise eigene Hybridfahrzeuge an. Doch seit die Rohölpreise explosionsartig steigen [3], scheint auch der Hybrid heutiger Prägung nicht mehr genug, plötzlich rücken [4] Elektroautos in den Vordergrund des Interesses, die völlig emissionsfrei fahren sollen.

Bis vor wenigen Jahren bestand ein Antrieb im Kern aus einem Verbrennungsmotor plus Getriebe, doch das dürfte bei Neuwagen bald nicht mehr reichen. So hat Fiat letzte Woche angekündigt, bald alle Neuwagen mit einem Start-Stopp-System auszurüsten, und das ist erst der bescheidene Anfang: In ihren längerfristigen Planungen sehen sich Automobilhersteller der Anforderung ausgesetzt, parallel zueinander mehrere Antriebskonzepte zu entwickeln, selbst wenn nicht jedes seinen Weg auf den Markt findet – denn ein verlässliches Patentrezept für die nächsten Jahrzehnte kann niemand anbieten.

Technikfans finden diesen Wettbewerb der Antriebe sicherlich spannend, Autokäufer wollen einfach nur die richtige Entscheidung für das nächste Auto treffen. Lohnt es sich überhaupt noch, ein ganz normales Auto mit Verbrennungsmotor zu kaufen? Wir fragten Dr. Wolfgang Steiger, Leiter der Volkswagen-Antriebsforschung, welche Antriebskonzepte seiner Ansicht nach das Rennen machen und was das für Autokäufer heute bedeutet.


„Ein elektrisches Gesamtsystem ist in der Effizienz einfach nicht zu schlagen ...“

Herr Dr. Steiger, welche Aussichten hat der Verbrennungsmotor noch, wenn das Erdöl langsam zur Neige geht?
Steiger: Der Verbrennungsmotor wird weiterhin seine Berechtigung behalten, aber rein elektrische Antriebe und elektrische Antriebe mit verbrennungsmotorischer Unterstützung werden eine größere Bedeutung bekommen. Dabei spielen auch zukünftige Verkehrsbedingungen eine Rolle: Studien zeigen, dass Metropolen wachsen werden. Man muss also unterscheiden zwischen den wachsenden Ballungsräumen, in denen rein elektrisch [5] gefahren werden kann und Langstrecken, für die auch Verbrennungsmotoren weiter ihre Vorteile haben.

Fahren wir in Zukunft elektrisch?

Dennoch müsste man fossile Kraftstoffe langfristig durch Alternativen wie SunFuel ersetzen – ist das realistisch?
Steiger: Der Punkt, an dem der Bedarf an Erdöl höher ist als das Angebot, könnte 2020 erreicht sein. Es deutet aber einiges darauf hin, dass der Verbrauch fossiler Kraftstoffe trotz weltweit steigenden Energiebedarfs sinken kann. Bei den verfügbaren Flächen in Europa ist es denkbar, etwa 20 bis 25 Prozent der fossilen Kraftstoffe durch regenerative Alternativen zu substituieren – bezogen auf den heutigen Bedarf.

Glauben Sie, dass die „Verflüssigung“ von Kohle den Bedarf ergänzen könnte?
Steiger: Einzelne Länder wie die USA oder China ziehen CTL [6] (Coal-to-Liquid) in Betracht, um den Bedarf an Kraftstoffen zu decken. Bei der Produktion von CTL entsteht jedoch eine Menge CO2, die man zum Beispiel unterirdisch lagern will. Ich habe Zweifel, dass man diese Technik lang anhaltend nutzen kann. Auch die Anzahl der verfügbaren Kavernen wird vermutlich nicht auszureichen, um spürbar CO2 zu reduzieren. Ob die Kohleverflüssigung kommt, hängt davon ob, wie schnell es gelingt, regenerative Alternativen zu finden.

Wind- und Sonnenenergie sind ziemlich unberechenbar. Wie kann man sie überhaupt sinnvoll speichern und nutzen?
Steiger: Es gibt bereits Fortschritte darin, die Kapazität und Flexibilität der Stromnetze zu verbessern, um fluktuierende Energien wie Wind- oder Solarstrom besser einspeisen zu können. Es wird diskutiert, Abhilfe über eine Gleichspannungstraverse zu schaffen, die Europa von Nord nach Süd durchzieht. So könnte man im Norden die Energie aus Offshore-Windanlagen und im Süden Solarenergie einspeisen. Damit ließe sich ein stabiles Energieangebot verwirklichen, und zwar unabhängig von der Jahreszeit. Ein solches „Energie-Rückgrat“ mit Gleichspannung wäre zudem dazu geeignet, Strom über weite Entfernungen fast verlustfrei zu übertragen. Hier sind natürlich besonders die Energieversorgungsunternehmen gefordert.

Damit wären wir bei elektrischen Antrieben: Derzeit sind „Range-Extender [7]“-Konzepte im Kommen, während der Sinn von Vollhybriden zunehmend angezweifelt wird. Woher kommt dieser Sinneswandel, nachdem serielle Hybride lange als ineffizient galten?
Steiger: Wir betrachten die Gesamtbilanz von Fahrzeug und Energieerzeugung im Rahmen von Life-Cycle-Analysen und wissen heute, dass ein elektrisches Gesamtsystem in der Effizienz einfach nicht zu schlagen ist. Außerdem steht nun mit der Lithium-Ionen-Batterie eine Batterietechnik zur Verfügung, die erstmals unsere Bedingungen für einen elektrischen Antrieb erfüllt. Wir haben also eine überzeugende technische Perspektive, selbst wenn wir sie noch nicht sofort umsetzen können.

Fahren wir in Zukunft elektrisch?

Welche Reichweite trauen Sie Fahrzeugen mit Lithium-Ionen-Batterien zu?
Steiger: Schon ab etwa 2010 oder 2011 könnte ein elektrisches Fahrzeug mit einer Reichweite von 50 km pro 100 kg Batteriegewicht umsetzbar sein. Und nicht allzu viel später halten wir eine Reichweite von 70 km bei gleichem Batteriegewicht für möglich. Wenn man also an ein Antriebsstranggewicht von etwa 250 kg denkt, sind 150 km Reichweite in einigen Jahren nicht unrealistisch.

Sind auf dem Weg zu Elektro- und Range-Extender-Fahrzeugen Vollhybride überhaupt noch sinnvoll? Würde es nicht genügen, für die „Übergangsphase“ auf Mikro- oder Mild-Hybride [8] zu setzen?
Steiger: Wir werden Vollhybride bringen, aber nach unserer Definition: also Parallelhybride, die mit niedrigeren elektrischen Leistungen auskommen als beispielsweise die vielfach kommunizierten Two-Mode-Systeme von Wettbewerbern. Bei dem Dieselhybrid, den wir in Genf vorgestellt [9] haben, reicht uns beispielsweise ein 20-kW-Motor, um fast alle Verbrauchsvorteile zu erschließen und sogar eine elektrische Fahrbarkeit darzustellen.

Können wir denn bald mit einem solchen Dieselhybrid rechnen?
Steiger: Wir fangen sicherlich erst einmal mit einem Ottomotor-Hybrid an, wobei der Hybridanteil genau der gleiche wie im Prototyp sein kann. Zunächst kommt das Serienfahrzeug mit einem TSI-Motor, ob wir später den Dieselhybrid auf derselben technischen Grundlage bringen, hängt von der Akzeptanz im Markt ab.

Sie sprachen bereits an, dass die Batterietechnik der Schlüssel zu elektrischen Antrieben ist. Was verspricht sich Volkswagen von der Kooperation [10] mit dem Batteriehersteller Sanyo?
Steiger: Die Elektrifizierung des Antriebs ist eine Revolution, und wir haben uns dabei sehr ehrgeizige Ziele gesetzt. Zurzeit gibt es allerdings weltweit nur wenige geeignete Batteriehersteller. Langfristig planen wir deutlich höhere Energiedichten, als sie heute umsetzbar sind. Deswegen intensivieren wir – ausgehend von Forschungsprojekten – unsere eigenen Arbeiten. Wir möchten mittelfristig selbst entscheiden können, ob wir Batterien weiterhin einkaufen oder selber produzieren.

Fahren wir in Zukunft elektrisch?

Was halten Sie von Konzepten, wie sie in Israel und Dänemark geplant [11] sind, also einer Infrastruktur zum „Betanken“ und Tauschen von Akkus?
Steiger: Ich bin da skeptisch. Das Konzept zum Austausch der Batterien ist meiner Meinung nach problematisch und scheitert wahrscheinlich an relativ einfachen Dingen: Erstens ist es schwierig, 400 Volt zu trennen. Dabei gibt es erhebliche Probleme mit Funken und funktionsuntüchtigen Batterien. Zudem braucht man Handhabungsautomaten, denn eine solche Batterie wiegt gut 200 kg. Soviel ich weiß, ist in Israel derzeit ein Fahrzeug vorgesehen, das nicht als Elektrofahrzeug konzipiert wurde. In solch einem Fall ist es sehr schwierig, einen Platz für die Batterie zu finden, der einen Wechsel zulässt und gleichzeitig die Anforderungen der Crash-Sicherheit erfüllt.

Das heißt im Grunde, dass an einen elektrischen Langstreckenbetrieb kaum zu denken ist, oder?
Steiger: Davon gehen wir derzeit aus. Es muss sich zeigen, wie die Batterietechnik sich weiterentwickelt, aber zurzeit sehen wir die Anwendung gestaffelt und abhängig vom Fahrprofil: bis maximal 200 km reine Elektrofahrzeuge, und für längere Strecken könnten Mikrohybride mit Verbrennungsmotoren sinnvoll sein, die weiterhin mit flüssigen Kohlenwasserstoffen angetrieben werden.

Wie sieht es mit der Brennstoffzelle aus – ist sie trotz der mangelnden Verfügbarkeit von Wasserstoff noch im Rennen?
Steiger: Es gibt einen Mobilitätsbedarf im Bereich zwischen 200 und 400 km, den man sehr gut mit einem Brennstoffzellen-Range-Extender abdecken könnte. Wir haben ein solches Konzept in Detroit mit dem Space-Up! Blue [12] dargestellt. In diesem Fall trägt die Batterie 100 km weit und das Brennstoffzellenmodul weitere 250 km. Wir halten dieses Konzept für wesentlich sinnvoller als Wasserstoff-Vollantriebskonzepte, die sich wegen zu hoher Kosten schwer tun werden.

Und wie steht es mit einem 1-Liter-Auto für lange Fahrstrecken?
Steiger: Wir arbeiten auch an solchen Konzepten. Allerdings sind große Teile der Gesellschaft noch immer nicht bereit, ein Fahrzeug mit der Einschränkung zu akzeptieren, dass es nur einen bestimmten Nutzungszweck [13] hat. Viele wollen alle Mobilitätsbedürfnisse mit einem einzigen Fahrzeug abdecken. Die Mentalität scheint sich allerdings zu ändern. Wir überlegen in sehr viele Richtungen, die zum Teil auch sehr futuristisch anmuten.

Fahren wir in Zukunft elektrisch?

Mit welchen Antrieben können VW-Kunden kurz- und mittelfristig rechnen?
Steiger: Wir werden zunächst unsere BlueMotion-Strategie auf alle Modelle ausweiten, als nächste Stufe kommen Start-Stopp-Systeme. Wir werden sicherlich in absehbarer Zeit ein reines Elektrofahrzeug vorstellen, dazu kommen Hybride sowie das 1-Liter-Auto. Im Prinzip ist in den nächsten fünf bis sechs Jahren mit allen Antriebsspielarten zu rechnen.

Da werden sich die Kunden natürlich fragen, ob es sinnvoll ist, nächstes Jahr zum Beispiel einen Golf Hybrid zu kaufen, der konzeptionell eher unter die Übergangslösungen fällt…
Steiger: Die Fahrzeuge sind im Schnitt auf zehn Jahre ausgelegt, und so lange trägt ein solches Konzept allemal. Man darf dabei nicht vergessen, dass die Einführung neuer Technologien im Automobilbau viel Zeit erfordert, und auch die Akzeptanz im Markt muss man genau prüfen. Auch ein Auto mit einem besonders sparsamen Verbrennungsmotor ist heute eine gute Investition. Natürlich muss man genau hinsehen, welches Antriebskonzept zum eigenen Fahrprofil passt. Doch gerade im Bereich der goldenen Mitte, wie sie ein Kompaktwagen darstellt, wird man nicht daneben liegen.

Herr Dr. Steiger, vielen Dank für das Gespräch


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https://www.heise.de/-455325

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/autos/artikel/Benzin-und-Batterie-vereint-792914.html
[2] http://www.heise.de/autos/neuwagenkatalog/index.jsp?marke=&name=&kaross=&preis_eur_min=&preis_eur_max=&mo_art=Hybrid&antrieb=&getart=&zylanz_min=&zylanz_max=&besch_min=&besch_max=&nm_min=&nm_max=&turanz_min=&turanz_max=&laenge_min=&laenge_max=&ccm_min=&ccm_max=&kw_min=&kw_max=&vmax_min=&vmax_max=&v93116eg_min=&v93116eg_max=&CO2_sort_min=&CO2_sort_max=&search=Finden
[3] http://www.tecson.de/prohoel.htm
[4] https://www.heise.de/autos/artikel/Daimler-Der-Weg-der-Autoindustrie-fuehrt-zu-emissionsfreien-Fahrzeugen-475891.html
[5] https://www.heise.de/autos/artikel/Elektroauto-Klimaretter-oder-Feigenblatt-450089.html
[6] http://de.wikipedia.org/wiki/Kohleverfl%C3%BCssigung
[7] https://www.heise.de/autos/artikel/Bewusstseinswandel-Schweizer-erfinden-das-Hybridfahrzeug-neu-441057.html
[8] https://www.heise.de/autos/artikel/Der-Mildhybrid-gewinnt-an-Fahrt-442491.html
[9] https://www.heise.de/autos/artikel/Golf-TDI-Hybrid-kommt-er-oder-nicht-443833.html
[10] https://www.heise.de/autos/artikel/Volkswagen-und-Sanyo-entwickeln-Lithium-Ionen-Akkus-475905.html
[11] https://www.heise.de/autos/artikel/Daenemark-strebt-Fuehrungsrolle-bei-Elektroautos-an-446455.html
[12] https://www.heise.de/autos/artikel/Micro-Bus-mit-Brennstoffzelle-VW-Studie-space-up-blue-465941.html
[13] https://www.heise.de/autos/artikel/Das-Maerchen-vom-Billigauto-wann-kommt-das-echte-3-Liter-Auto-439021.html