Akltuelle Infotainment-Bedienkonzepte im Auto

Finger weg, Augen geradeaus

Hightech-Autos sind zu Unter­haltungs­zentralen geworden, die trefflich vom Fahren ablenken können. Wir schauen uns Lösungen an, die das alles mit der Fahr­auf­gabe auf einen unfallfreien Nenner bringen sollen

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Inhaltsverzeichnis

Aktuelle Hightech-Autos können auf der Mittelkonsole nicht nur navigieren, sondern beherrschen auch E-Mail und Facebook und verwalten eine mehrere tausend Titel umfassende Song-Auswahl. Web-Apps und Smartphone-Schnittstelle machen die Ablenkung komplett. Wir schauen uns Lösungen an, die das alles mit der „primären Fahraufgabe“ auf einen unfallfreien Nenner bringen sollen.

Hannover, 26. Juli 2012 – Das Straßenverkehrs-Paradoxon: Autos können heute theoretisch schneller denn je fahren, praktisch fahren sie jedoch immer langsamer. Denn es werden zwar immer mehr Autos gebaut, aber immer weniger Straßen. Der Stau ist nicht mehr Ausnahme, sondern alltäglicher Lebensraum.

In Japan verlangen Autokäufer deshalb, dass die Mittelkonsole Fernsehen und DVDs anzeigt. Im Land des ewigen Staus China dominieren Infotainment-Gimmicks die Wunschliste der Käufer – bei Schrittgeschwindigkeit sind Motor- oder Fahrwerksqualitäten irrelevant. Die US-Kundschaft will mittlerweile nicht nur im Auto frühstücken, sondern auch den Büro-Tag schon beim Pendeln beginnen. Und selbst in Deutschland entwickelt sich Infotainment von der Wahrnehmung als nette Garnitur zu einem wichtigen Kaufkriterium.

Zwar gibt es auch in Deutschland reichlich Staus, doch das Geschwindigkeitsspektrum reicht andererseits bis zu den 415 km/h eines Bugatti Veyron Super Sport. Schon bei weitaus geringeren Geschwindigkeiten droht ein Unfall, wenn der Fahrer seinen Blick zu lange von der Straße nimmt.

Stets im Blick

Dabei lenkt nicht jedes Display den Blick des Fahrers ab. Head-up-Displays (HuDs) projizieren wie in Kampfjets Informationen auf die Frontscheibe oder eine kleine Zwischenscheibe über dem Armaturenbrett. Sie liefern damit einen bedeutenden Beitrag zur aktiven Fahrsicherheit. Denn mit dem HuD schweift der Blick nur noch 10 Prozent der sonst üblichen Zeit von der Straße aufs Kombiinstrument, ergaben Eye-Tracking-Studien. Es ist also weitaus sinnvoller, als die Tachoeinheit um Anzeigen zu erweitern.

General Motors fing mit HuDs schon Ende der Achtziger an, Toyota und Nissan folgten in den Neunzigern. Die kleinen projizierten Tachos galten lange Zeit als nette Spielerei – bis BMW ab 2003 anfing, alle wichtigen Daten vorne ins Sichtfeld zu überlagern, was die Projektoren von „nett“ zu „Ich brauche das!“ beförderte.

Das je nach Fahrzeugmodell bis zu rund 1300 Euro teure BMW-System zeigt farbig Geschwindigkeit, Geschwindigkeitsbegrenzungen (aus Navi und automatischer Schildererkennung), die Daten des Abstands tempomaten inklusive Auffahrwarnungen, Roadbook-Anweisungen aus der Routenführung und Daten des Spurhalteassistenten an.

Die Terminator-ähnliche Personenumrisserkennung des Nachtsichtgeräts gibt ihre Warnungen dort aus und natürlich erscheinen alle wichtigen Warnungen wie Erreichen der Tank-Reserve oder Fehlersymbole auch auf der Scheibe. Welche Informationen projiziert werden, ist einstellbar. Wer das einmal gesehen hat, will nicht mehr ohne: Die Wiederkaufsrate des aufpreispflichtigen HuD liegt laut BMW bei fast 100 Prozent.

Fast genauso wie bei BMW funktionieren auch die HuDs in den großen Audis, minus ein kleines, aber je nach Fahrer elementares Feature: Das BMW-HuD klappt kurz die Track-Liste zum Überspringen von Musiktiteln aus und kann dasselbe für die Telefonliste der Freisprechanlage.

Der Projektor benötigt etwas Bauraum vor dem Lenkrad und der Spiegel muss auf die Scheibe angepasst werden, aber es geht auch einfacher: Citroen verbaut im DS5 ein farbiges HuD, das eine zusätzliche Plexiglasscheibe ins Sichtfeld ausfährt. Diese Lösung ist günstiger und wird daher weiter in preiswertere Segmente diffundieren. Noch billiger: Smartphone vorne an die Scheibe legen und eine spiegelverkehrte HuD-App anzeigen lassen. Die bezieht Geschwindigkeits- und Beschleunigungswerte aus der Telefonsensorik oder von einem Bluetooth-Adapter für die Diagnoseschnittstelle OBD-2.

Die Zukunft der teuren Systeme geht zur Augmented Reality: Abbiegepfeile legen sich perspektivisch korrekt auf die zu benutzende Spur, Warnungen markieren ein gefährliches Hindernis. Audi möchte zukünftig gleich drei Scheibendisplays anbieten: eins für den Fahrer (Fahrinformationen), eins für den Beifahrer (Infotainment) und eines in der Mitte als „gemeinsamer Verhandlungstisch“ (Routenplanung)

Touchscreens für die Massen

Touchscreens verbinden die Anzeige mit der Bedienung und müssen daher in erreichbarer Nähe installiert sein, also meist recht tief in der Mittelkonsole. Ihre Bedienung ist dann für einen möglichst kurz zu haltenden Moment der Hand-Auge-Koordination exklusiv, in dem die Straße unbeachtet vorbeifliegt.

Dafür haben sie aber einen gewaltigen Vorteil: Sie erklären sich selbst. Niemand muss für eine Schaltfläche „Drück mich!“ ins Handbuch gucken. Besser noch: Der Touchscreen wechselt kontextsensitiv Funktion und Beschriftung der Flächen. Das spart enorm Platz und Schalterfülle.

Das Auf-den-Schirm-Tappen hat sich in den Volumensegmenten durchgesetzt. Elegante, brillante, kapazitiv erfassende Displays mit Multitouch, wie wir sie von Tablets oder Telefonen kennen, gibt es aber noch bei keinem Autohersteller in Serie. Andererseits kennen die dort verwendeten druckempfindlichen Touchscreens keine Probleme bei der Bedienung mit Handschuhen oder Prothesen.

Selbst die konservativen Wolfsburger sagen: „VW steht für Touchscreen.“ Der Vorreiter in Sachen Touchscreen im Auto ist jedoch Toyota: Seit zehn Jahren bietet der japanische Massenhersteller das ab Werk in den Volumensegmenten an. Je nach Modell ist eine Mittelkonsoleneinheit mit Touchscreen (Toyota Touch) ab den mittleren Ausstattungsvarianten an Bord. Die enthält eine Radio-/Player-Einheit, die Anzeige der dazugehörigen Rückfahrkamera sowie die Bedienelemente der ebenfalls mitgelieferten Bluetooth-Freisprechanlage. Dazu bietet Toyota optional ein Navi an (Touch & Go). Das ist eine zusätzliche kleine Kiste, die als modulare Erweiterung an die bestehende Einheit angestöpselt wird und daher für vergleichsweise faire 550 Euro neu zum Wagen bestellt oder auch später beim Händler (dann etwas teurer) nachgerüstet werden kann.

Zusätzlich zum Navi bringt das Upgrade einige Internet-Anwendungen, die über das DUN-Profil (Dial-up Networking) des Bluetooth-Telefons laufen. Toyota nutzt das Google-API: Google Local Search findet Points of Interest (POI) und Google Send to Car schickt deren Positionsdaten gleich weiter an den Onboard-Routenplaner. Toyota-Fahrer dürfen über diese Schnittstelle auch in Ruhe daheim am Rechner geplante Routen an ihr Auto schicken. Es gibt eine Tankstellensuche, die aktuelle Spritpreise anzeigt, und eine Parkplatzsuche, die in Preis oder Verfügbarkeit ebenfalls möglichst aktuell zu sein versucht. Es gibt sogar eine dieser nutzenfreien, aber hübschen Wetter-Apps, die in keinem App-Portfolio fehlen dürfen.

All diese Funktionen sind günstig als in der Browser-Umgebung laufende Web-Apps realisiert, die Toyota zentral prüft und freigibt. Das Touch & Go gibt es für 950 Euro als Plus-Version, die zusätzlich zur Navigationseinheit eine überraschend gute Spracheingabe, Text-to-speech für SMS und drei Jahre kostenlose Karten-Updates mitbringt.

VW verkauft seinen Kunden ein Touchscreen-System mit weniger Features für mehr Geld als bei Toyota; das aktuelle RNS 510 kostet je nach Fahrzeugvariante 2000 bis 2700 Euro Aufpreis. Dafür ist das Wenigere viel schöner gemacht. Bei Toyota ist die Nutzerführung wie Eintopf: nur dazu da, alle Zutaten zu verwerten. Bei VW wirkt es, als hätten ganze Generationen von Ingenieuren in Meetings über jede Bestätigungsbimmel getagt, was eine mögliche Erklärung für den konservativen Funktionsumfang wäre.

Das Zauberschwert

Das vom Touchscreen aus gesehen andere Ende der Bedienphilosophien liegt in der Fernbedienung eines nahe der Windschutzscheibe angebrachten Monitors mit der Hand auf dem Mitteltunnel. Dieses Konzept kreist um den Drehdrücksteller: Drehen ist scrollen, durch Kippen kann man ihn wie ein Steuerkreuz verwenden (etwa um den Kartenausschnitt zu verschieben oder zwischen Buchstabenreihen zu springen) und ein Druck auf den Steller heißt „Bestätigen“. Daneben gibt es irgendwo zumindest einen Knopf zum Abbrechen, der die Oberfläche zurück in die vorige Ebene bringt. Durch Rastpunkte des Stellers erfährt die Hand haptische Rückmeldung, um die nötige Augenarbeit zu reduzieren.

Es ist im Grunde eine recht simple Lösung, um die die Presse aber ein großes Gewese machte, als BMW damit 2001 im 7er kam, weil sie nichts damit anfangen konnte. Und um die die Autohersteller heute noch ein großes Gewese machen: „Wir setzen auf den Drehdrücksteller“ klingt wie „wir haben das Zauberschwert Excalibur“. BMW, Audi, Mercedes, Porsche, Citroen, Jaguar – sie alle drücken ihren Kunden inzwischen so ein Knubbel-Zauberschwert in die Hand.

BMW hat sein anfangs geschmähtes iDrive über die Modellgenerationen so hartnäckig verfeinert, dass es manchen Autojournalisten heute als Quasi-Benchmark für jede Infotainment-Bedienung gilt. Die Bayern bieten angepasste Varianten in fast allen Fahrzeugen von den Oberklasse-Limousinen über die Modewägelchen der Marke Mini bis hin zu ihren großen Touren-Motorrädern an.

Der Bedienknubbel steuert ein klassisches, durchweg hierarchisch sortiertes Menüsystem, wie es vor der Ära iPhone auch für fast alle Mobiltelefone üblich war. Die Struktur ist logisch und Funktionen sitzen oft an mehreren Ästen des Baumes, damit sie möglichst immer dort sind, wo der Benutzer sie erwartet. Allerdings gibt es einen riesigen Laubhaufen von Funktionen. Daher Frage an BMW: „Verzweifeln manche Kunden eigentlich an dem System?“ Empörung: „Natürlich nicht!“ Ich glaube, der Honda-Mann hatte recht, als er sagte: „Man kann heute nicht mehr erwarten, dass man in ein neues Auto einsteigt und alles versteht.“

Der Funktionsumfang des iDrive ist vergleichbar mit Audis MMI, minus 3D-Grafik, plus Facebook/Twitter – ein gleichwertiger Tausch. BMW bietet zum Beispiel die lokale Suche mit Google, Street View, Panoramio, Routen ans Auto zu schicken und Bewertungen von Orten (über Yelp). Das Auto fragt automatisch nach nötigen Werkstattterminen, man kann seine Einstellungen auf USB-Sticks speichern und zum nächsten BMW mitnehmen und eine Wetter-Web-App gibt es natürlich auch.

Mit dem Internet-Zugang zufriedene BMW-Kunden leiden aber vermutlich bereits am Stockholm-Syndrom. Denn die Bayern verbauen als Modem eine Blackbox mit integrierter SIM-Karte und treten als alternativloser Provider auf. Das tun sie je nach Fahrzeugausstattung sechs Monate bis drei Jahre kostenlos, danach kassieren sie 250 Euro im Jahr. Das Blackbox-Konzept sorgt außerdem dafür, dass viele schicke BMWs wenig standesgemäß mit veralteten GPRS-Modems über die Straßen rollen.

Fernsteuerung

Android-Nutzer aufgepasst: Bei BMW konzentriert sich alles aufs iPhone. Wer dazu ein passendes Auto sucht, wird aus München am besten bedient. BMW hat sogar in Apples direkter Nachbarschaft in Cupertino ein App-Center aufgemacht – kurze Wege und so. Der moderne Apple-Hipster soll seine Lebenswelt mit ins Auto nehmen können, so BMWs Angebot. Dies vorab zum Verständnis, damit Sie nicht denken, es gehe gleich um so etwas Banales wie Nutzwert. Es geht um Spaß, um Spielerei.

Das vielleicht noch Nützlichste ist die iPhone-Fernbedienung (My BMW Remote). Sie steuert die Standheizung, weiß immer, wo das Auto ist, lässt dieses bei Bedarf für die Suche auf dem Parkplatz blinken oder hupen, und „covert“ mit einer lokalen Google-Suche die „last mile“, die der BMW-Besitzer zu Fuß zurücklegt. Diese App wird um Ladesteuerung und -infos erweitert werden, wenn BMW mit den elektrischen Antrieben der Lifedrive-Plattform (i3, i8) antritt.

Während der Fahrt ist das iPhone nicht nur angestöpselt, sondern darf sich in einen Zweig des iDrive-Menübaums hängen und bei Aufruf ein angepasstes User-Interface auf dem Schirm zeigen. Das gilt aktuell für Facebook, Twitter und Radio-Streaming oder alternativ den Musik-Streaming-Dienst Aupeo. Da iOS nur jeweils eine Anwendung auf den Stecker zugreifen lässt, muss man händisch am iPhone zwischen der App mit Twitter und Facebook und der separaten Aupeo-App wechseln.

Man darf eigene Text-Templates für Facebook- und Twitter-Updates erstellen. Denn es gibt zwar Sprachausgabe via Text-to-Speech, aber eine Spracheingabe für Tweets fehlt und Tippen ist verboten. Die Templates sind kontextsensitiv und kennen Systemvariablen, also zum Beispiel „Habe mit X telefoniert“ (Daten aus der Freisprechanlage), „Höre gerade $Musikstück“ (Radioeinheit) oder „Bin in X und es hat Y Grad“ (GPS, Thermometer).

Da BMW auf keiner der beiden Plattformen private Nachrichten oder Filter unterstützt, ist diese Variante von Sozialmedien im Auto vollkommen nutzlos. Das gilt übrigens auch für die sehr ähnliche Facebook-Integration in Daimlers Infotainment-System Comand. Besser funktioniert das E-Mail-Modul im iDrive-Ast „Office“. Es liest Mails vom Blackberry vor; man kann sich also fürs Auto eine Procmail-gefilterte Adresse anlegen.

Bunte Vögel

Interessant, wie BMW das iDrive an die Zielgruppe des Mini anpasst: Die Software erhält eine verspieltere Oberfläche, der Drehdrücker ist zu einem kleinen Stift aus verchromtem Plastik mit einem Knopf darauf geschrumpft. Die Internet-Verbindungen stellt der Mini per iPhone her. Der Fahrer kann farbiges Licht und Töne für Fahrzeugaktionen einstellen. Speziell vorbereitete Musikstücke verändern sich mit dem Zustand des Fahrzeugs, indem sie Geschwindigkeit, Blinker, Lenkradeinschlag, Längs- und Querbeschleunigung auswerten – ein bisschen wie Microsoft DirectMusic damals und wie damals gibt es nur wenige Demo-Stücke.

Bei Lexus ist der Steller zu etwas mutiert, das aussieht wie ein Computer-Trackball mit einem Finger-Joystick statt des Rollballs. Entsprechend kommt jeder Büroarbeiter sofort damit zurecht. Ein in der Stärke einstellbares Force Feedback zeigt den Fingern auf dem Joystick haptisch die Schaltflächen an und für Listen gibt es eine Scroll-Wippe. Dieses clevere System erreicht dennoch nicht die Bedienzeiten der Besten, weil die Menüstruktur weniger windschnittig ist.

Bei BMW hat iDrive sogar das Motorrad erreicht: Über dem Lenker des Touren-Sechszylinders K 1600 leuchtet der brillanteste Bildschirm, den man heute kaufen kann. Denn der Motorradfahrer sitzt draußen und muss ihn in direktem Sonnenlicht ablesen. Das darauf dargestellte hierarchische Menüsystem bedient die linke Hand (die rechte muss Gas geben) über Schnellwahltasten und einen Drehring, den man auch kippen kann für Bestätigen/Abbrechen. Dass der Ring sich in den tatsächlichen Scrollrichtungen nach oben und unten bewegt, macht diese Variante sogar deutlich intuitiver als den Knubbel.

Ähnliches fiel mir übrigens bei Volvos Infotainment-Lösung Sensus auf: Es gibt zwar einen Drehregler (ohne Kippen), aber es macht intuitiv mehr Spaß, das System mit dem Hoch-/runter-Scrollrad komplett vom Lenkrad aus zu bedienen.

BMW experimentiert statt mit einer Lenkradsteuerung mit Gesteneingaben, also dem intuitiveren Fingerzeig direkt in der Gegend „vorne zum HuD“. Auch der Zulieferer Continental arbeitet an einer Gestensteuerung, aber für normale Bildschirme. Alle knabbern aber noch am selben Problem wie bei der Sprachsteuerung: Wann ist eine Bewegung eine Bediengeste, wann fuchtelt der Fahrer nur beim Freisprechen herum?

Vorsprung durch Touchpad

Audi hat vor langer Zeit die erste Generation des A8 zum Anlass genommen, gründlich über die Bedienung seiner Fahrzeuge nachzudenken. Ein großer Teil dessen, was heute in Autozeitschriften oder Markenforen über die hohe wahrgenommene Qualität beim Audi-Fahren steht, lässt sich auf den enormen Aufwand zurückführen, der hier betrieben wird. Mit „hier“ ist Audis Zentrum für Bedienung in Ingolstadt gemeint.

Dort fasst Audi alles zusammen, was mit Bedienung zu tun hat: den Kofferraumöffnungsmechanismus genauso wie das Lenkrad, alle Knöpfe und die MMI-Konsole (Multimedia Interface). Im MMI-Labor vermessen Eye-Tracker zum Beispiel die Zeit, die ein Versuchspersonen-Blick weit abseits der Straße auf einem Touchscreen verbringt. Die Ergebnisse führten dazu, dass Audi den Touchscreen verworfen hat, obwohl er vor allem im wichtigen US-Markt längst ein verkaufsförderndes Feature-Schlagwort geworden ist. Stattdessen verwendet man ein kleines Touchpad unten auf dem Mitteltunnel in Verbindung mit einem Bildschirm oben über der Mittelkonsole.

Die Idee ist, einen Teil der Intuitivität des Touchscreens aufzugeben und dem Nutzer etwas Einarbeitung zuzumuten, damit er danach Bedienzeit und -aufmerksamkeit spart. Der Finger auf dem Pad verschiebt eine Auswahl, die Karte von Google Earth oder die Ansicht von Google Street View, er steuert mit Gesten wie dem eingebürgerten Wischen fürs Blättern. Im Radio-Modus zeigt eine Segmentanzeige auf dem Pad Zahlen an: Das sind die belegbaren Senderwahltasten. Weil das Touchpad vermeiden soll, dass man hingucken muss, zeigt Audi während der Eingabe ein Bild des Touchpads oben am Bildschirm an. Neben dem Touchpad liegt ein Drehdrücksteller zum Scrollen, den man auch wie ein Steuerkreuz drücken kann.

Noch interessanter ist jedoch, wie Audi die Texteingabe gelöst hat, die bei Navi und Internet-Funktionen so wichtig ist: Der Fahrer malt Einzelbuchstaben auf das Touchpad. Die werden während des Schreibvorgangs auf dem Bildschirm angezeigt und nach Erkennung von einer Damenstimme ausgesprochen, damit man ungeachtet des Bildschirms schreiben kann. Die Idee ist mehr als lustig – sie ist gut. Sie funktioniert. Sie wurde sofort in der Autopresse als ungeeignet für Linkshänder, sämtliche Linksverkehrmärkte und alle asiatischen Zeichensätze vermutet. Doch als Linkshänder kann ich sagen, dass die Eingabe mit der schreibuntrainierten Hand bei der gegebenen Erkennungsleistung keine Probleme macht, und als Hobby-Experte für Texteingabe kann ich sagen, dass die Chinesen eine direkte Eingabe von Schriftzeichen als große Erleichterung gegenüber den üblichen Umwegen empfinden werden (was Audis Nutzer-Tests bestätigen). Mittlerweile erkennt die OCR-Software alle Zeichensätze inklusive Arabisch und Sanskrit.

Bei der Anpassung des Systems an den A3 hat sich Audi mit seinem Entwicklungstempo selbst überholt, denn es ist eine Weiterentwicklung des Systems, eine Verbesserung. Das Touch-Eingabefeld liegt nun direkt auf dem Drehregler, und die Schnellwahltasten für die Hauptfunktionen sind jetzt Wipp-Taster geworden, damit man sie blind besser findet: zum Beispiel links rauf zum Radio, runter zum Telefonmenü. Eigentlich ist diese kompaktere Lösung aus Platznot geboren. Sie funktioniert aber genau dieses Stück eleganter, dass sie die Touchpad-Systeme in den teureren Modellen A6 bis A8 irgendwie kruschtelig aussehen lässt.

Lang fällt Audis Feature-Liste aus: Routen von daheim ins Auto senden, ein Newsdienst, Google Street View, 3D-Grafik (NVidia Tegra) für Google Earth und die 3D-Ansichten im Navi, Wetterbericht, Reiseinformationen mit User-Bewertungen, POIs aus Google Places, leistungsfähige Spracheingabe und ein Verkehrsdienst, der auf Staudaten aus der gesamten Audi-Kundenflotte zugreifen kann.

Audi Connect löst den Internet-Zugang wie auch Mercedes und andere Hersteller besser als BMW: An der Mittelkonsole gibt es zwischen den SD-Kartenschächten einen Schacht für eine eigene SIM. Statt zur Vertragsgeisel des Autoherstellers zu werden, darf der Kunde einen passenden Tarif wählen oder zum bestehenden eine zweite Karte ordern. Die Verbindung wird über eine UMTS-Außenantenne hergestellt. Sie verbessert das Signal signifikant gegenüber der Telefonantenne innerhalb des Faradayschen Käfigs der Fahrgastzelle, wenn das Handy die Freisprechanlage nur per Bluetooth Handsfree Protocol nutzt – was natürlich auch geht.

Auch Audis LTE-Antennen-Arrays sind nach langen Prototypenfahrten prinzipiell serienreif und werden voraussichtlich in der nächsten Gerätegeneration beim Händler verfügbar sein. Der moderne große Audi ist also ein riesiges Highspeed-Mobiltelefon mit eigener SIM, eigener Antenne, und im Inneren profitieren die Passagiere vom besseren Empfang durch einen Onboard-WLANRouter, der Kindle, PSP und iPad optimal mit Internet versorgt.

Schneller ist besser

Porsche war eine Überraschung bei der Recherche. Es geht um Bedienkonzepte, und die unästhetischen Mittelkonsolen aus Zuffenhausen sehen auf den ersten Blick nicht danach aus, als hätte Porsche so ein Konzept. Aber nach etwas Beschäftigung ist klar: Es gibt doch eines – und ein höchst sympathisches obendrein: das der minimalen Bedienzeit. Die meisten typischen Bedienaufgaben erledigt der Porsche-Fahrer in Zeitmessungen am schnellsten.

Das physische Konzept sieht so aus: ein Drehdrücksteller in Kombination mit einem Touchscreen plus den üblichen Schnellwahltasten. „Diese Kombination ist unschlagbar in der Bedienzeit!“, sagt Rolf Hartmann, Leiter des Bereichs Interaktive Elektronik bei Porsche. Die Performance steckt aber in der logischen Struktur. Das fängt bei den Latenzzeiten der Bedienelemente an, vor allem des Touchscreens. Jede Schaltfläche muss innerhalb von 40 ms reagieren, denn „ab 40 ms fängt Warten an“, wie es Hartmann ausdrückt, und das wird auch im größeren Maßstab nicht geduldet: „Sanduhren sind für uns nicht akzeptabel.“ Um die straffe Antwortzeitvorgabe stets einzuhalten, verwendet die aktuelle Gerätegeneration ein System bestehend aus Echtzeit-Betriebssystem (QNX Neutrino), CPU, GPU und FPGA zur schnellstmöglichen Bild- und Audio-Verarbeitung.

Das ist eine im Autobereich übliche Kombination, in der konsequenten Auslegung auf Geschwindigkeit jedoch bemerkenswert. Die nächste Generation soll deutlich schnellere Multicore-Hardware inklusive Hardware-3D-Beschleunigung wie bei Audi, Lamborghini oder dem Tesla Model S verwenden, sodass das FPGA entfallen kann. „Dann ist genug Leistung auch für neue rechenintensive Applikationen im Parallelbetrieb da“, sagt Hartmann.

Ziel ist es nicht, wie bei Audi möglichst viele Funktionen anzubieten, sondern genau so viele, dass das System schnell bleibt, niemals nervt und fehlerarm arbeitet. Das bedeutet, dass trotz überschaubarer Featureliste 12 bis 18 Monate vor der Deadline in den Programmierstuben keine Entwicklung mehr passiert, sondern ausschließlich Bugs gesucht und eliminiert werden.

Herausgekommen ist bislang ein gutes Sound-System, eine erträgliche Spracheingabe, ein zielführendes Navi, eine verständliche Freisprecheinrichtung – das war’s. Die Entwicklungsabteilung arbeitet ähnlich gründlich wie bei Audi, aber mit feinen Unterschieden in der Datenauswertung. Ein Beispiel: Die Video-Auswertung erledigt ein empathisch fähiger Mensch, der sich ansieht, an welcher Zeitmarke der Testproband genervt geguckt hat. Diese Stelle muss dann nachgehobelt werden, egal, ob der Anlass nun die Stimme aus dem Navi oder eine frustrierende Menüführung war.

Als Resultat stresst Porsches Mittelkonsole den Fahrer von allen verfügbaren Systemen am wenigsten. Navi-Steffi sagt zum Beispiel Routenanweisungen in Demut gerade so laut an, dass man sie noch verstehen kann, und der Abschalter für die von Radiomoderatoren gern ins Programm ausgedehnte Verkehrsansagen liegt strack auf der obersten Ebene des Radio-Bildschirms.

Spracheingabe

Sprache ist die bestdenkbare Verbindung zum Auto – jedenfalls bis wir das neuronale Interface bestellen können. Jeder kann fahren und labern gleichzeitig. Das beste Assistenzsystem ist aus diesem Grund ein Kopilot auf dem Beifahrersitz, dem man sagen kann: „Halte mich wach, erzähl mir was!“ Der Computer ist natürlich längst noch nicht so weit, am wenigsten der im Auto. Was es schon lange gibt: getrennte Eingabe der einzelnen Felder, dieser Stop-and-Go-Stau des Sprechens.

Der Stand der Dinge eines solchen Systems am Beispiel Volkswagen RNS 510: Sprachknopf drücken, Befehl „Zieleingabe“ sagen, auf Bestätigungsbimmel warten, dann Stadt, Straße, Hausnummer auf diese Weise getrennt einsprechen. VW macht diesen an sich grauenvollen Prozess gerade noch erträglich durch audiovisuelles Feedback, das den Systemzustand deutlich zeigt, und durch immer mögliche Bedienschemawechsel: Man muss nicht per Sprache aus der phonetisch nach Trefferwahrscheinlichkeit sortierten Liste erkannter Städte wählen, sondern kann auch auf den Touchscreen drücken. Ähnlich funktionieren die Sprachbefehle für andere Teile wie das Radio.

Einen Schritt weiter geht die „One-Shot“-Zieleingabe, wie deutsche Hersteller sie auf Englisch nennen: Zieleingabebefehl plus die ganze Adresse in einem Satz sprechen. Das gibt es bei Audi, BMW, Mercedes und auch bei VW im höherpreisigen Segment (RNS 850 im Touareg), das gibt es aber auch für viel weniger Geld bei Toyotas Touch & Go Plus und beim demnächst eingeführten Ford-System „Sync“ in den Volumensegmenten. Diese Evolution der Sprachsteuerung macht alles viel besser.

Der Volksglaube besagt, dass niemand mit einer Maschine reden will. Aber das stimmt nicht. Menschen reden die ganze Zeit mit ihren Maschinen: „… du Drecksding!“ Doch niemand will mit Maschinen (oder Personen) reden, die nichts richtig verstehen, weil das aggressiv macht. One-Shot-Systeme verringern derartige Aggressionen enorm. Sie zeigen außerdem, wie groß das Aufmerksamkeitssparpotenzial eigentlich ist. Beispiel Musikauswahl in Fords Sync: Spracheingabetaste und dann „Play album: My Way“ sagen. Das ist die goldene Alternative zu klickend durch tausend Titel irren. Sync kommt im September mit dem B-Max in den deutschen Handel und soll ein vergleichbares Preisschild wie im US-Markt tragen (500 US-Dollar).

Operator, bitte melden

Da Onboard-Systeme schnell an die Grenzen der Embedded-Hardware-Leistung stoßen, fangen Hersteller jetzt mit Offboard-Systemen an. Apples Siri ist ein Beispiel, AT&Ts kommendes Watson-API ein weiteres. Fords Computer-Callcenter Sync Services (nur USA) ein anderes: Hier ruft der Fahrer eine Maschine an und sagt „Finde mir ein Kino“ (den Ort weiß Sync aus dem Navi), fragt, welche Filme dort gerade laufen und lässt sich dann hin dirigieren. Der wichtigste Befehl dürfte „Operator“ sein: Er holt einen Menschen an die Strippe, wenn sich die Kommunikation mit Maschinen verrannt hat.

Die Spracherkennung in Fords Sync hat Microsoft (die sich um Syncs Software-Teil rund um Windows Embedded Automotive kümmern) bei Nuance zugekauft, weil diese Firma laut Microsoft „die beste Spracherkennungslösung“ liefert. Nuance bietet die Spracherkennung neuerdings unter dem Produktnamen „Dragon Drive!” allen Zulieferern an.

Ein Demovideo zeigt Text-to-Speech von SMS, E-Mails oder News-Feeds, Diktat von SMS oder Mails („antworte Detlef Grell: Artikel kommt später“), Location Based Services („finde mir den nächsten Burger King“) und natürlich Kommandos für Auto-Funktionen wie die Gebläsestufe. Die Spracherkennung ist wie bei Ford zweigeteilt mit Onboard-Erkennung, die Sie im B-Max sehen können und Offboard-Erkennung, deren Güte Sie im Android-Market mit dem Siri-Konkurrenten „Dragon Go!“ ausprobieren können (derzeit nur auf Englisch).

Ein wünschenswertes Niveau der Spracherkennung wäre, dass man natürlich spricht, seinem Auto einen Namen gibt, auf den es hört, und dass es normale Sprache mit allem „äh“ und „doch nicht“ verarbeitet: „Horst, finde mir eine Toilette, mein Bester, und etwas passende Musik für die Anfahrt!“ Und schon tönt Händels Wassermusik aus den Lautsprechern. Das ist noch ein Stück weg, doch die Richtung stimmt: BMW will im Juli eine runderneuerte Spracheingabe präsentieren, und Mercedes verspricht ein verbessertes System „bald“ in der neuen A-Klasse.

Think small

Auch kleine, sparsame Autos lassen sich mittlerweile mit Infotainment ausrüsten, nicht nur der Mini. Peugeot präsentiert den Touchscreen im neuen 208 (nicht in der niedrigsten Ausstattungsvariante) als das zentrale Element des Modell-Updates und bietet dazu für knackige 350 Euro einen UMTS-USB-Stick-Zugang (nach dem ersten Jahr: 150 Euro jährlich) und ein paar Apps dazu an: Reiseführer mit Bewertung, Stauinfo, Spritpreise, Parkplätze.

Im untersten Preissegment sind solche Lösungen noch zu teuer, deshalb wird dort kooperiert und modular aufgebaut. Beispiel Fiat Panda: Für 500 Euro erhält der Kunde im Paket Techno eine Bluetooth-Freisprechanlage, die auch SMS vorliest (Blue & Me), MP3-Daten per USB-Port einliest oder Fahrzeug-Daten ebendort ausgibt. Er erhält jedoch auch ein TomTom Live (ein Zubehörnavi mit Touchscreen) mit einem Schuss Fiat-Software und einer speziellen Halterung, die das Gerät mit Fahrzeugsignalen vom Bus füttert, mit denen es im Tunnel die Karte in der richtigen Geschwindigkeit weiterrollt und auf Wunsch Hilfen zum ökonomischen Fahren anzeigt.

Denselben Gedanken denkt VW im kleinen Up weiter. Die Wolfsburger verwenden in ihrer Lösung „maps + more“ ein Navigon 70/71 mit einigen Kontakten auf der Rückseite, über die das Gerät Fahrzeugdaten erhält. Wie im Panda sitzt das Touchscreen-Navi auf einem speziell neu konstruierten Halter über der Mittelkonsole. Es kann aber mehr als bei Fiat: Es moniert offene Türen und malt die Näherungswarnungen des Parksensors auf den Bildschirm. Es steuert die Radioeinheit und zeigt dabei Titel und dazugehörige Grafiken an. Es macht sich als Bordcomputer nützlich, mit geschätzter Reichweite, Trip-Zähler, Verbräuchen, Öko-Apps, Reservewarnung (mit Navi-Dialog für „nächste Tankstelle“), Drehzahl, Außen- und Kühlmitteltemperatur.

Es stellt seinen Touchscreen als Bedienoberfläche für die BT-Freisprechanlage zur Verfügung (der Panda verwendet die einfarbige LCD-Anzeige im Tacho dafür) oder als mit dem Finger beschreibbares Notizbuch. Es wird zur Taschenlampe, indem es seinen Bildschirm bei voller Hintergrundbeleuchtung auf Weiß stellt. Die letztgenannten sind Zusatz-Apps, die VW-Käufer kostenlos herunterladen können. Oh, und navigieren kann das Gerät natürlich weiterhin – auch mit Einzelfeld-Spracheingabe. VW nimmt 355 Euro für das aufgebohrte Navigon. Beim Skoda Citigo kostet die Lösung (Move&Fun) 330 Euro.

Fahren dürfen statt müssen

Wenn es um Computertechnik im Auto geht, findet sich spätestens im fünften Kommentar: „Oh nein! Das Auto fährt praktisch von allein, dabei will ich das doch machen.“ Das ist auf dem Niveau von „E-Books verbrennen Bücher“ oder „Glühbirnen sind das Ende der Kerze“: Es wird immer Kerzen, Papierbücher, Vinylplatten und Fahrspaß geben, solange jemand dafür bezahlt. Für diesen Artikel war ein enormer Fahraufwand nötig, und der zeigte recht deutlich, warum es eine Nachfrage nach Fahrassistenz gibt: Regensensoren, selbst schaltendes Licht, Abstandstempomaten mit Stop and Go, Spurhaltehilfen mit Lenkeingriff – das alles zeigt sich im Verlauf eines 1000-km-Tages deutlich in viel mehr verfügbarer Restaufmerksamkeit. Die wiederum kann sich dann Telefonaten widmen, den wie fürs Auto geschaffenen Podcasts oder womöglich der Facebook-Timeline.

Alle großen Autohersteller, Zulieferer und einige Spezialisten wie Google arbeiten an autonomen Autos. Der US-Bundesstaat Nevada lockt diese Industrie aktuell mit einem neuen Zulassungsverfahren speziell für solche (Test-)Fahrzeuge. Der Traum aus den 50ern, die Autobahn, auf der das Auto selber bis zur nächsten Abfahrt fährt, wird dabei als erster Schritt Realität werden, und dabei niemandem sein Autofahren wegnehmen, weil niemand gern im Stau steht. Dasselbe gilt jedoch für praktisch den gesamten Pendel-, Nutz- und Transportverkehr. Das Autonomobil wird daher seinen Markt finden, genau wie der musiktechnisch aufgeboostete alte 911er fürs Wochenende, wenn wir fahren dürfen statt müssen. (Clemens Gleich)

Ein Beitrag aus der c't 14/2012