Klartext: Affig

Inhaltsverzeichnis

Die RWTH Aachen führte den Versuch damals im Auftrag der EUGT aus. Ziel sei es gewesen, die maximale Arbeitsplatzkonzentration von NO2 (Stickstoffdioxid) zu hinterfragen, indem kurzzeitige Effekte bei Konzentrationen von 0 bis 1,5 ppm bei 25 Probanden gemessen werden sollten. Man fand, oh Wunder, keine solchen Effekte, wo keine zu erwarten waren. Als die RWTH durchs Dorf gepeitscht wurde, fühlte sie sich zu einem Statement genötigt, das so endet: "Die Studie kann lediglich eine belastbare Aussage zu Kurzzeiteffekten durch NO2 treffen. Sie gibt keine Aussagen zu Langzeitbelastungen aus der Umwelt oder zu Langzeitbelastungen gegenüber Mischexpositionen oder Dieselexpositionen aus der Umwelt." Wenn die RWTH wirklich Kurzzeiteffekte gesucht hätte, wären die Konzentration weiter bis an den Bereich erhöht worden, an dem vorher die ersten Effekte auffielen. Aber dann hätte man ja am Ende etwas Neues erfahren, und an Neuem war der Auftraggeber nicht interessiert.

Die andere Seite

Die RWTH Aachen befindet sich damit in derselben Situation wie das Lovelace Institute: Solche Aufträge bringen dringend benötigtes Geld in Institute, die ja auch wichtige Arbeit leisten. Das Ende ihrer Rechtfertigung zeigt, dass sie genau wissen, woran man eigentlich forschen müsste: an Langzeiteffekten geringer Belastungen typischer Abgasbestandteile, und das nicht nur beim Diesel, sondern bei möglichst vielen verbreiteten Abgasen. Wenn die Autohersteller wirklich Erkenntnisse suchten, begännen sie mit der Inauftraggebung ebensolcher Studien. Teure Langzeitschädenforschung steht aber selten im Interesse egal welcher Technikhersteller, denn dass Smartphones oder Autos total gesund sind, wird da kaum herauskommen. Ein Aufdecken vorher unbekannter negativer Gesundheitsauswirkungen ist dagegen durchaus wahrscheinlich.

Es gibt aber noch eine andere Seite, die mich traurig macht: die der Ideologie. In einem Interview mit RP-Online sagte Wolfgang Straff vom Umweltbundesamt: "Wir brauchen solche Studien nicht. Es ist klar, dass Stickoxid eine schädliche Wirkung hat." Erster Teil richtig: Wir als Gesellschaft brauchen solche PR-Studien nicht, sie erweisen sich im Gegenteil häufig als schädlich. Zweiter Teil aber bedenklich: Wir wissen eben nicht, ob Stickoxide in unseren aktuellen, niedrigen Außengrenzwerten schädlich sind. Wer zu egal welchem Thema sagt, man brauche in einer völlig unklaren Sachlage keine neuen Daten, den treibt keine wissenschaftliche Neugier an, sondern der Fanatismus einer Ideologie, der diametrale Gegensatz also von ergebnisoffener Forschung. Herr Straff hat sich vielleicht von der Dieselwut mitreißen lassen. Damit ist er nicht allein.

"Das ist alles bekannt."

Wenn ich mit Umweltschützern, anderen Redakteuren oder Behörden über das Thema spreche, herrscht die Meinung vor, dass Thema Stickoxide sei eindeutig, gegessen: gefährlich. Besonders bemerkenswert hierbei war mein eigenes Gespräch mit dem Umweltbundesministerium. Der Mitarbeiter sagte: "Es ist ja eindeutig belegt, dass Stickoxide auch in den geringen Belastungen unserer Grenzwerte schädlich sind." Ich widersprach ihm und bat um die Studien, auf die sich das Amt in dieser Argumentation stützt. Er wollte sie zuerst nicht herausrücken mit der impliziten Erklärung: Ein Redakteur versteht das eh nicht. Als ich ihn endlich weichgeklopft hatte und die Studien las, wurde seine Zögerlichkeit verständlich: Schon in Abstract steht dort, dass die verschiedenen gemessenen Effekte nicht voneinander zu trennen sind, weil es sich um epidemiologische Studien handelt.

Diese Studien setzen also gesundheitliche Effekte wie Lungenkrankheiten und Lebenslänge in Bezug auf Messwerte wie Feinstaub und Stickoxide. Sie enthalten also durchaus interessante Korrelationen. Nun tritt aber eine gegenüber der Normalluft erhöhte Stickoxidbelastung in flächendeckend messbaren Ausmaßen immer nur in Städten auf. Die zugeordneten Effekte gehören also zu einem Komplex. Was schadet dem Städter nun wirklich? Feinstaub wird als mehrfach schlimmer vermutet als NO2. In der Stadt leben Menschen unter höherem Stress, das ist stets ein deutlicher Marker in Gesundheitsuntersuchungen. Straßenverkehr ist eins der tödlichsten Konstruke, die wir überhaupt kennen, und der findet in Städten konzentriert statt. NO2 ist in hohen Konzentrationen giftig. Und so weiter. Um wirklich zu wissen, wie schädlich isoliert Stickoxide in den geringen Grenzwerten tatsächlich sind, müsste man das alles in einer Langzeitstudie auseinanderdröseln.

Zum Glück gibt es eine Lösung für beide Probleme: Wenn uns als Gesellschaft Stickoxide auf einmal so brennend interessieren (Danke, Merkel, äh: VW!), dann müssen wir ihre tatsächlichen Langzeiteffekte in einer wissenschaftlich sauberen, großen, gesellschaftlich finanzierten Langzeitstudie untersuchen. Ich denke, kein Wissenschaftler würde sich über Berge echter Erkenntniserweiterungsarbeit beschweren. Im Gegenteil glaube ich, man würde Erleichterungsseufzer hören. Es gibt einfach zu viel affige Pseudoforschung. (cgl)