Klartext: Bigblockchain

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Verkürzte Erklärungen leiden erschreckend häufig daran, dass der Erklärbär selber keine Lust hatte, wenigstens Wikipedia zu lesen. Letztens las ich, eine Blockchain sei im Prinzip dasselbe wie ein mehrseitiges Dokument geschuppt abstempeln. Hm. Tja. Ansatzweise: „Jain“. Ansonsten ein Paradebeispiel für „meine Metaphorik ist so verquast, dass sie schwieriger zu erklären ist als das tatsächliche Erklärungsobjekt“. Also bleiben im Mainstream nur die Sachen hängen, die von den Herrn Kaisers der Hambitcoin-Minerer in die Köpfe gehämmert werden.

Daimlerpedia

Die Nutzfahrzeug-Sparte von Daimler beschäftigte sich daher vor Jahren schon damit, Smart Contracts (automatisierte, auf Computern abgebildete Verträge) auf Blockchains zu bauen für Lieferlogistikketten. Damit könne man dann automatisch die Einhaltung etwa einer Kühlkette über 20 Dienstleister prüfen. Daimlers Technikbeispiel hat es mittlerweile in die Wikipedia geschafft, nicht aber in unser Arbeitsleben. Ähnlich schaut es bei Porsche aus: Im Frühjahr stellte Zuffenhausen eine Technikdemo vor, die eine Blockchain-Infrastruktur zum Schließen des Autos verwendet. Seitdem rätseln wir, wozu man da eine Blockchain braucht, also habe ich bei der Firma Xain nachgefragt, die das System für Porsche konstruiert hat.

Verkürzt in einem Satz für alle Uninteressierten: Man braucht es nicht. Sie können zum Ende des Textes skippen. Länger betrachtet verstehe ich, warum sich die Techniknerds bei Porsche in die Idee verliebt haben könnten. Proof of Work (PoW) als Konsensverfahren, aber per zufälligem Auswahlverfahren, um den Stromverbrauch zu senken. Eine Baumstruktur aus Blockchains (Blocktree). Eine eigene Beschreibungssprache für Zugriffsrechte. Große Flexibilität, zum Beispiel für Carsharing oder „Edeka liefert in meinen Kofferraum“. Es hat fast schon etwas von Kunstprojekt, weil die Ideen so schön sind, aber letztendlich in der Praxis eben nicht nützlicher als weniger ressourcenaufwendige Alternativen – die Crux der Blockchain.

Alle Probleme in klein repliziert

Autoaufschließ-Tokens für den Edeka gehen auch ohne Blockchain. Vor allem aber sehen wir hier im Kleinen die Probleme der Technik im Allgemeinen. „Dezentral“ stellen sich Leute wie Teamarbeit vor: toll, ein Anderer machts! Es handelt sich aber um das Gegenteil: Alle Knoten tun dasselbe. Jeder muss einen relevanten Teil der gesamten Chain speichern, die meisten speichern daher sicherheitshalber das gesamte Ding (bei Bitcoin bald 200 GByte). Beim Auto kommt dazu: Welche Knoten sollen das sein, die vom Autohersteller so unabhängig sind, dass er keine 51 Prozent schafft? Soll mein Smartphone auf Akku PoW rödeln? Muss ich einen Pool gründen, wenn ich Porsche nicht vertraue, obwohl ich ihnen 100.000 Euro für mein Auto gegeben habe? Dazu generell: Selbst ein reduzierter Proof of Work ist eine massive Ressourcenverschwendung. Und dein Autohersteller hat dich ohnehin in der Hand in Sachen Daten und Zugriffsrechte. Wenn er die Blockchain dazu nicht kontrolliert, ist das doch grad egal, denn er kann dein Auto jederzeit trotzdem aufschließen.

Blockchain-Transaktionen sind außerdem nicht anonym, sondern pseudonym. Die große Transparenz des verteilten Journals schneidet daher auf zwei Seiten: Jeder kann lesen, was dein Alias wann wie mit welchen Aliasen getan hat. Will der Porschefahrer unauslöschliche Protokolle potenzieller Pufffahrten unter einem leicht auflösbaren Pseudonym? Es gibt für alle diese Probleme elegante Lösungsvorschläge. Sie werden sicherlich irgendwann in dem Gebiet eingesetzt werden, das vom Konzept lebt: Kryptowährungen, diese Geißeln des Planeten. Für andere Einsätze sollten wir uns wider Herrn Kaiser mit der Einsicht anfreunden, dass die nützlichen Einsatzgebiete verknüpfter Hash-Ketten seit bald 20 Jahren ausgelotet werden, sodass da eher wenige neue Nutzgebiete aufploppen werden – am wenigsten neue Märkte oder gar ein „neues Internet“. Eine hemdsärmelige Kleinstudie aus dem September untersuchte einige Dutzend Anbieter von Blockchain-Lösungen und fand keine Belege für Erfolg, aber viel Intransparenz.

Trust: There is some left.

Letztendlich läuft es auf Vertrauen hinaus: Wenn keines da ist, nutzt uns der Riesenaufwand dezentraler Redundanz. Je mehr Vertrauen, umso mehr lohnt sich Zentralisierung. Der Porsche-Kunde vertraut darauf, dass ihn die Bremse aus 300 km/h zum Stillstand bringt. Er vertraut Zuffenhausen sein Leben an. Und das soll für Schließ-Tokens anders sein? Das glaube ich nicht, Tim. (cgl)