Klartext: CO2-neutrale Treibstoffe sind sinnvoll

Seite 2: Realpolitik

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Bei dieser Betrachtung kann ich nicht anders, als zu denken: Ich dachte, das Thema wird jetzt als dringend angesehen? Seit vierzig Jahren warte ich darauf, dass der Schutz unseres Lebensraums ernsthaft in der Mitte der Gesellschaft ankommt. Jetzt ist es soweit, dachten viele. Kurz. Dann kam wieder Realpolitik. Natürlich können wir weiter Kohle verstromen, damit der Strom für alle da ist, denen der Synthesesprit den Solarstrom weggeschnappt hat. Genauso natürlich können wir dann aber auch weiter Benzin aus fossilem Erdöl verfahren. Vielleicht sogar noch natürlicher, denn die Stromerzeugung trägt doppelt so viel zum Eintrag fossilen Kohlenstoffs in die Atmosphäre bei wie der gesamte Verkehrssektor.

Fahrzeugbestand verschwindet nicht über Nacht

Die Besitzer werden alte Autos fahren, wenn sie damit ihre Familien versorgen können. Die Alternative dazu, diesen Menschen teuren CO2-neutralen Sprit zu verkaufen, liegt also selten im Elektroauto, sondern häufig darin, ihre aktuelle Mobilität komplett zu verbieten. Wenn ich sehe, wie selbst das letztendlich in beide Richtungen fast egale Tempolimit im Bundestag wieder gescheitert ist, glaube ich nicht daran, dass so etwas demnächst in Zentraleuropa umgesetzt wird.

Der mutigste nationale Vorstoß stammt aus Irland, das aufgrund geringer Größe keine Reichweitenängste kennt: keine Verbrenner-Neuzulassungen ab 2030, 2045 sollen alle Verbrenner-Antriebe (inklusive Bestand) die Zulassung verlieren. Unter den optimalen Inselbedingungen wird es also (vielleicht) in 25 Jahren ernst. Ich glaube nicht, dass sich das kontinentale Europa mehr leistet als ein Verbot von Neuzulassungen – wenn das überhaupt kommt. Wir können den Bestand nicht wegdiskutieren. Wir wollen keine radikalen politischen Einschnitte. Also warten wir ab.

Abwarten und Erdöl trinken

Warten wir ab, bis so viele Elektroautos da sind, dass sie für jeden interessant sind, der gerade seinen 123er-Mercedes altersbedingt ablösen muss. Warten wir noch einmal 40 Jahre. Schauen wir, was passiert. Werden die Prognosen so gut bleiben, wie sie waren? Wie schauen die Grenzwertkaskaden live so aus? Welche Überraschungen tauchen noch auf? Dass der Permafrost die Alpenberge zusammenhält, da dachten wir damals noch nicht dran als Problem. Wenn es uns wirklich ernst wäre mit der Begrenzung der Erderwärmung, dann müssten wir an allen Stellen gleichzeitig anfassen. Kein Kohlestrom. Kein fossiles Benzin. Keine fossil befeuerte Landwirtschaft.

Ganz nüchtern: Blenden Sie die aktuellen Diskussionen aus. Betrachten Sie nicht das, was wir sagen, sondern was wir tun: Der weltweite Verbrauch an Erdöl sinkt nicht, sondern er steigt. Wir werden alle angepeilten Klimaziele verfehlen. Der weiterhin enorme Produktionsrucksack der als „sauber“ geltenden E-Autos und das Herumbummeln beim Thema „Bestand“ sind nur kleine Symptome einer viel größeren allgemeinen Ursache: Bevor es nicht wirklich wehtut, ändert sich nur die Oberfläche. Gehen wir in uns: Glauben wir wirklich, dass es für uns schlimm wird? Naja. Et hätt noch immer jot jejange.

Für viele in den aktuell mächtigen Generationen langt es ja noch ‚naus, wie dodokay immer sagt. Es gibt also keine Synthesetreibstoffe, keinen Willen dazu. Es gibt allerdings neue Ultrafast-Fashion-Anbieter, die bis zu 4500 neue Produktdesigns pro Woche auf einen Markt werfen, der schon vorher einen großen Teil der Produktion einmal getragen oder ungetragen dem Abfall zuführte. Eine Bevölkerung, die ihre prognostizierten Probleme gesammelt ernst nimmt, sieht anders aus. (cgl)