Klartext: Das teure Elektroauto

Seite 2: Der Zahn der Zeit

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Der Trick mit der Zeit

2019 lag das Durchschnittsalter der in Deutschland zugelassenen PKW bei 9,5 Jahren. Durchschnitt! Das heißt, für eine relevante Betrachtung sollte man sich Berechnungen über 5 Jahre sowieso in die Haare schmieren. Ein Auto ist kein China-Smartphone zum ständig wegschmeißen und neu kaufen. Bei 10 Jahren wird die Alterung des Akkus ein bestimmender Faktor. Eine Li-Ion-Batterie ist ein chemischer Energiespeicher. Dieser altert damit beschleunigt bei Benutzung oder unpassenden Temperaturen, aber auch schlicht durch Verstreichen von Zeit, und zwar in deutlich relevanteren Maßstäben als zum Beispiel Aluminium. Das muss ein Kunde mit einpreisen bei seinen Berechnungen.

Über sieben Jahre und 100.000 km verlor der ADAC-Dauertest-Leaf bei guter Pflege 24,5 Prozent seiner mageren Reichweite. Er funktioniert noch, die Garantiebedingungen sind eingehalten, er deckt aber nicht mehr dasselbe Nutzungsspektrum ab. Batteriegarantien versprechen 5 bis 8 Jahre, dabei aber häufig nur 70 Prozent Kapazität – einfach einzuhalten mit den üblichen Reserven des Batterie-Managemant-Systems. Ein Auto, das vorher 98 Prozent der Bedürfnisse abdeckte, wäre bei 70 Prozent Akkukapazität von „alle zwei Monate mal was nicht sinnvoll mit dem Auto“ in den Bereich „jede Woche ein Problem“ abgefallen. Bei den durch die Presse gepeitschten Säuen mit hunderttausenden von elektrischen Kilometern stehen im Kleingedruckten bedenklich häufige Akkutausche. Man denke daran: Keines von diesen Autos ist wirklich alt. Ich bin weniger optimistisch als noch vor kurzem. Die wirklich lange haltenden Akkus der Vergangenheit, z.B. im Toyota Prius (Test), arbeiten mit sehr niedrigen Akkuhüben von 50 Prozent oder weniger. Diese Sicherheit schlägt auf den Preis und die Neureichweite.

Lösungen anbieten. Oder auch nicht.

Ich habe keine Lösung, die ich anbiete. Ich rate nicht einmal vom Kauf eines E-Autos ab. Ich möchte lediglich zeigen, dass die 97,6 Prozent Neuzulasser, die 2019 KEIN E-Auto wählten, nicht irgendwie blöd im Kopf sind, sondern die Normalität. Der vielversprechende Opel Corsa-e kostet nach Förderung 23.900 Euro. Der Corsa-Basisbenziner kostet 13.990 Euro, und ich kann damit in einem Rutsch nach Rimini fahren. Da muss ich schon sehr viel Liebe für den schöner zu fahrenden E-Antrieb aufbringen, und ich zweifle daran, dass solche Sentimentalitäten in der Corsa-Klasse weit verbreitet sind. Ich freue mich, wenn Sie sich einen neuen i3 leisten können. Wunderbares Auto. Glückwunsch. Polestar 2 als Kombi, das wäre nahe an einem Alltags-Traumfahrzeug. Tesla 3 (Test), sehr lustige Fahr-Lounge. VW E-Golf (Test), vielleicht mein Lieblings-Golf. Diese Autos kann ich mir aber selbst mit Förderung und geringeren Werkstattkosten ganz einfach nicht leisten, und ich bin nicht alleine. Ich könnte einen gebrauchten E-Up kaufen. Nur besonders ökonomisch wäre das wohl nicht.

Die Situation wird sich wahrscheinlich kaum ändern. Das in Technikbewertung bestens bewanderte MIT prognostiziert, dass ein E-Auto mit Lithium-Ionen-Akku niemals die Herstellungskosten eines Verbrenners erreichen kann. Wenn mehrheitlich E-Autos auf die Straßen sollen, dann also unter Zwang. Herbert Diess hat schon offen gesagt, dass Autofahren teurer wird. Er wettet gerade die Firma Volkswagen auf die politische Ausrottung des Verbrenners. Das kann durchaus passieren. Darüber mache ich mir aber Gedanken, wenn es soweit ist. Meinen steuerfreien Solarstrom kriege ich als Heimarbeiter auch ohne Auto sehr gut verbraucht. Mein aktueller Plan ist also ebenso antikapitalistisch wie umweltfreundlich: gar kein Auto kaufen. Ein Auto im Haushalt reicht. (cgl)