Klartext: Der Frosch, der Auto fährt

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Der umtriebige George Hotz (comma.ai) experimentiert mit seiner Open-Source-Autofahr-Software, seit die Verkehrssicherheitsbehörde NHTSA ihm Regulierung seines Autonomobil-Startups androhte. Er vertreibt diverse Bastelstücke, die zum Beispiel Kamera- und Fahrzeugdaten aus dem OBD-Stecker aufzeichnen als Lerndaten – ganz gute Idee eigentlich. Er benutzt diese Lerndaten in seiner Software Openpilot, die auf einem lüftergekühlten HTC OnePlus 3 läuft. Auch eine gute Idee eigentlich für ihn und seine Mit-Enthusiasten. Er spricht jedoch in einer Öffentlichkeit voller Laien über sein System, als könne es morgen (spätestens nächstes Jahr) alle Fahrten aller Menschen übernehmen, obwohl es noch nicht einmal Schilder liest oder Spuren selbständig wechseln kann. "We will win self-driving cars." Das finde ich eine weniger gute Idee. Kein Wunder kommen da Hoffnungsfrohe in seine Github-Kommentarspalte, die ein Arduino-Board ihr Auto fahren lassen wollen.

Leberkäs aus Ingolstadt

Das derzeit mit dem höchsten Level an Automatisierung fahrende Serien-Auto ist der neue Audi A8. Mit A7, Cayenne und Touareg als kommenden Konzernfolgern der Technik. Darin verwendet Audi ihr "zentrales Fahrerassistenz-Steuergerät" (zFAS), dessen Platine verschiedene Steuergeräte zusammenfasst, sodass die Entwicklung nur einmal pro Modell einen Platz für die Kiste suchen muss. Dazu kommt, dass sich die Komponenten auf der Platine über ein schnelles Echtzeit-Ethernet (heißt: garantierte Antwortzeiten) unterhalten, was eine enge Zusammenarbeit ermöglicht. Auf der Platine sitzen außer dem FPGA mit dem Ethernet-Switch ein NVidia Tegra K1 zur Kamerafusion fürs Vogelperspektive-Einparken, ein MobilEye EyeQ3 zur Bildvorverarbeitung und Objekterkennung und ein Infineon Aurix TC297T, auf dem letztendlich die Entscheidungsfindung läuft. Es ist ein bisschen wie beim Leberkäse: alles, was man mittags auf einem Brötchen haben will, umgerührt, gewürzt, gebacken und in den optimalen Formfaktor geschnitten, für zwei Euro.

Nur ein Superrechnercluster ist das eben nicht. Den Namen hat Ingolstadt schon mit Bedacht gewählt: "Fahrerassistenz" ist vom Gerät realistisch zu erwarten. Fahrerersatz nicht. Zu Zeiten der Erprobungsfahrten mit dem Protoypen "Jack" (einem A7-Selbstfahrerprober) konnte man Audi noch lautstark hoffen hören, autonom Autobahn fahren "2017 in Serie" zu bringen. Darum wurde es sehr schnell sehr still, als der A8 langsam in die Vorserienpötte kam. Man kann das jetzt auf den Gesetzgeber schieben, aber da der noch nie ein Hindernis für deutsche Autohersteller nicht aus dem Weg geräumt hätte, wenn man ihn freundlich bat, gehe ich davon aus: So ganz sicher klappt es wohl doch noch nicht. Ob ein wie der A8 mit ausreichend Sensoren bestücktes zFAS-Auto tatsächlich je wie Jack ganz alleine über die Autobahn fährt, ist weiterhin offen. Es könnte auf dieser Hardware theoretisch tatsächlich passieren. Aber irgendwie zweifle ich jeden Tag mehr daran.

Von Strom und Zucker

Audi gab damals in einem Interview zu Protokoll, dass NVidias erste Drive-PX-Platine, die kurz nach Ankündigung des zFAS erschien, zu viel Strom verbrauche (250 Watt versauen dir einfach den NEFZ-Lauf). Dazu kommt wie immer auch: zu teuer. Schon die zFAS-Platine ist so gehalten, dass für billigere Automodelle Bausteine gegen weniger leistungsfähige, billigere getauscht werden oder gleich ganz weggelassen werden können. In der Jahresbilanz zählt über Millionen Autos jeder Cent. Das kann durchaus der richtige Weg sein, sich dem vollautomatischen Auto zu nähern. Es kann aber auch sein, dass Andere recht haben, die frühzeitig Rechenressourcen auf das Problem werfen.

Tesla baut seit Ende 2016 in alle Modelle eine Platine mit einem abgespeckten Drive-PX-Chip aufrüstgünstig übers Handschuhfach, damit sie Reserven haben, der bestehenden Kundenflotte Software zu verkaufen. Fertige Steuergeräte mit neueren NVidia-Drive-Platinen fertigt zum Beispiel ZF ("ZF ProAI"). Andere verwenden andere Hardware vergleichbarer Leistungsklassen. Die ziehen alle mehr Strom als das Leberkässtück. Daimlers Truck-Sparte arbeitet mit Versuchsrechnern, die dauerhaft über 2 kW elektrische Leistung ziehen. Natürlich sind das Debug-Rechner, bei denen es nicht auf den Stromverbrauch ankommt, aber worauf ich hinauswill: Keins dieser mit Hochleistungshardware bestückten Fahrzeuge fährt schon so, wie es das im regulären Kundenbetrieb müsste, weder von Waymo, noch von Uber, noch von Apple, noch von den Autonom-Startups, noch von egal welchem Autohersteller.

Wenn also der nächste George Hotz prahlt, sein Kinder-Rechenschieber pilotiere "nächstes Jahr" ein Robotaxi, dann rate ich dazu, kein Geld darauf zu wetten. Die wohl beste Herangehensweise im aktuellen Hype-Zyklus ist die des erfahrenen Tesla-Interessenten: Das Zeug ist frühestens fertig, wenn es im Hof steht, und was egal wer vorher sagt, darf getrost in der Schublade "Unterhaltung" abgelegt werden. Da Entwicklungen wie die aktuelle der KI nie linear verlaufen, hilft als Metrik vielleicht die Anlehnung an die Natur, die uns künstliche neuronale Netze Ende der Fünfzigerjahre überhaupt erst brachte: Die uns bekannten natürlichen Neuronenkomplexe, die Autofahren lernen können, gehören zu höheren Säugetieren. Trotz der stets auf Sparsamkeit optimierten Evolution brauchen diese Organe massebezogen auf Dauer den größten Teil der Energie des Gesamtorganismus'. Ein menschliches Kindergehirn in der Lernphase (~5 Jahre) verbraucht nach Messungen aus 2014 bis über zwei Drittel der Ruheenergie des Gesamtkörpers. Ich würde als Entwickler also aktuell noch nicht die größte Priorität aufs Sparen legen. Kinderhirne brauchen ihren Zucker. (cgl)