Klartext: Die bronzene Ananas

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Im ersten Rennen der Klasse 2 bremste sich Toby dann tatsächlich von Platz 5 auf Platz 1, wo er sich in der ersten Kurve sofort per Lowsider darnieder legte, denn die Strecke ähnelte vor lauter Ölbinder abseits der schmalen Ideallinie einem Supermoto-Kurs. Aufheben ging, Weiterfahren nicht: Der Bremshebel war am gegossenen Pumpengehäuse abgebrochen. Also das Motorrad geholt, eine neue Bremspumpe organisiert und Toby fuhr derweil in der noch etwas schneller besetzten Klasse 1 auf die 7 mit seiner Aprilia Tuono. Derweil wuchs meine Sympathie für Mechaniker Micha, denn der sagte: „Die Federrate des Federbeins der MT ist viel zu hoch, an der Gabel auch, die Slicks sind zu alt und sie waren zu kalt beim Losfahren.“ Das Larifari mit „Einfach mal das Beste aus dem machen, was rumsteht“ gibt es für solche Rennmechaniker nicht, auch nicht für die goldene Ananas von Fishtown. Bisschen was geht immer. Sehr sympathisch.

Hundertprozenter

So kam es, dass ich für die jeweils zweiten Rennen mit einem Generator am Vorstart stand, der die Slicks der MT heizte bis unmittelbar vor dem Losfahren, und mit einem Quasi-Gridgirl in Form von Tobys Schwester, die mit einer Kaffeetasse und einem Kleid auf der Maschine saß, als werbe sie für den Kauf einer MT. Wir sahen aus wie das Yamaha-Werksteam, was ja nicht so weit weg war von einer möglichen Wahrheit. Nach Klasse 2 würde Toby dann umsteigen auf die ebenfalls am Generator beheizte Tuono. Alles mit „Strecke war eben dreckig“ ließ Micha nicht gelten: „Das wäre mit Betriebstemperatur hundertpro nicht passiert. 10 Grad machen da schon einen Unterschied.“ Also spendierte er einen der Generatoren aus dem Renntruck.

Ich krabbelte auf das Dach des Trucks, wo ich zusammen mit den Anderen beobachten konnte, was Toby im R6-Cup gelernt hatte: beißen. Er fuhr auf Platz 3 ins Ziel und danach in Klasse 1 auf Platz 4. Ein Podium! Eine bronzene Ananas, aber auf jeden Fall: „Endlich eine Ananas!“ Ich könnte das keinem Nicht-Rennsportfan erklären, aber ich habe mich in den letzten 30 Jahren an Weihnachten weniger gefreut als dort im Hafen. Wie es Toby ging, kann ich immerhin vermuten. Besser als am letzten Weihnachten ganz sicher.

Also, warum taten wir das? Wir schliefen kaum. Wir aßen nur Fischbrötchen und fettiges Imbisszeug. Wir liefen uns Blasen auf der Suche nach Teilen oder Motorrädern oder Fahrern oder Helfern. Meine Frau hielt betont Abstand, als ich Dienstags nachts um zwei wieder daheim aufschlug, einen Brodem aus Holzrauch, Rizinusöl, Zwiebeln, Fisch, Benzin, Schweiß und Ozon hinter mir herziehend. Ich hätte in diesem Fall schön schließen können mit dem Moment, der alles wert war, weil es eben diesmal ein Happy End gab. Aber das wäre gelogen.

Ich möchte den Moment nicht missen, aber auch ohne ihn weiß ich genau, dass er nicht die Rechtfertigung sein kann. Sonst würden jedes Jahr pro Klasse nur drei Fahrer starten. Eine Ananas für jeden. Nein. Wir tun das, weil es nicht zu tun so viel weniger lebenswert wäre. Es überlege sich ein Jeder hier, was er am Pfingstwochenende getan hat. Wenn er auch nur die Hälfte an menschlichem Drama, an Komödie, an Geschichten generell erlebt hat wie wir, darf er sich zu einigen sehr erfüllten Privilegierten zählen. Mein Urin sagt mir, dass mein nächster Besuch eher in einem Jahr als in zehn stattfinden wird. Die Bücher und die Arbeit lasse ich dann daheim.

Nachtrag: Toby Münchinger und Patrick Sauter werden in den Motorradheften PS und MO über ihre Fahrersicht der Dinge schreiben. Wer also weitere Einblicke ins „Warum?“ sucht, findet sie dort. (cgl)