BMWs Telelever fehlt in der neuen R 1200 R. Gut so

Dinosaurierknochenbefunde

Jahrzehntelang haben uns BMW-Fans erzählt, wie unendlich vorteilig der Telelever denn sei, dieser Dinosaurierknochen unter den Vorderradführungen. Jetzt kommt eine R 1200 R mit normaler Telegabel und kann alles besser

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 30 Kommentare lesen
Klartext 10 Bilder
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

In einem Land vor unserer Zeit, im Jahre des Herrn 1993, trat zum ersten Mal in freier Wildbahn BMWs Telelever auf, eine Spielart der Natur. Diese Spielarten merzt Mutter Natur entweder wegen andauernden Misserfolgs aus, adelt sie wegen Erfolgs mit zahlreichen Nachkommen oder ignoriert sie, wenn die Spielart letztendlich auf der Vorteile-Nachteile-Bilanz praktisch egal bleibt. Beim Telelever wird das Vorderrad geführt von einem am Motor abgestützten Längslenker mit Kugelkopf-Gleitlager, Federbein und Gleitgabel. Es ist quasi ein Blinddarm mit einem Knoten drin.

Zustande kam der Telelever wahrscheinlich wie alle evolutionären BMW-Spielarten, wie der Knick-Zündschlüssel oder die Getriebeausgangswellen-Bremsscheibe (das sind keine Witze): in einem Meeting. "Wir brauchen etwas, das kein anderer Hersteller hat, egal was", sagt dann der Alleinstellungsbeauftragte, und wenn keinem was Sinnvolles einfällt, das es sonst nirgends gibt, dann verbaut BMW ohne mit der Wimper zu zucken irgendetwas ohne erkennbaren Sinnbezug, solange es kein anderer baut. In der Theorie kann man ja alles verargumentieren.

Der Knickschlüssel verhindert zum Beispiel, dass sich Motorradfahrer beim Sturz die Augen ausstechen (man beachte den nonexistenten Punkt "Augen vom Zündschlüssel ausgestochen" in der Unfallstatistik). Die Getriebeausgangswellenbremsscheibe verhinderte tatsächlich effektiv, dass man dieses Getriebe im Stand schalten konnte, nur warum das so wünschenswert war, fanden wir nie heraus. Und der Telelever konnte durch seine Geometrie dem Eintauchen beim Bremsen entgegenwirken und das Feder-Dämpfungs-Element von der Radführung entkoppeln.

Knirschen im Gebälk der Propaganda

In der Theorie war das super. Stabil bremsendes Motorrad mit einer Art Einspur-McPherson-Aufhängung vorne. In der Praxis war das Zeug schwer, teuer, hässlich, zäh zu lenken und vermittelte so viel Gefühl vom Vorderrad wie ein zum Pariser umfunktionierter Gummistiefel. Statt alles besser zu machen, setzt er das Geklonke und Geklacker der Kardan-Hinterhand verstärkt vorne fort. Die Fahrwerksqualitäten des beliebten BMW-Roadsters R 1200 R existierten hauptsächlich in den Köpfen ihrer Fans. Selbst BMW-Propagandaminister Maik Schwarz musste sich nach meiner Testfahrt durch den Schwarzwald an seinem eigenen Dauertester der Realität beugen, die da heißt: Jede Telegabel macht das besser.

Deshalb war die Freude groß, als Mademoiselle Ninette als erste coole BMW außerdem zeigte, wie gut eine normale Telegabel einem Boxer steht. "Taugt dir das?", fragten BMW-Ingenieure damals augenzwinkernd. "Dann wart mal auf die nächste R 1200 R." Jetzt ist sie da. Die R 1200 R des Jahrgangs 2015 bietet BMW mit dem semiaktiven Fahrwerk an, das der S 1000 R schon so gut tut, dass es auch hier am Boxer praktisch jeder bestellen wird. Am Hinterrad bleibt BMWs Einarmschwinge mit momentabgestützter Kardanwelle (Paralever), vorne führt eine Upside-Down-Telegabel das Rad.