Das Trauerspiel der E-Kleinstfahrzeuge

Klartext: Vom E-Roller gefallen

Hippe Startups bewarfen deutsche Städte mit Schrott. Die deutsche Bürokratie reagierte damit, das überfällige E-Kleinstfahrzeuge-Gesetz umzusetzen. Es wurde ein (unterhaltsames) Desaster.

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Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Der kalifornische E-Roller-Anbieter Lime zieht sich aus 12 Städten weltweit (von 120) zurück und entlässt daher rund 100 Mitarbeiter. In Europa betrifft der Rückzug nur Linz in Österreich. Lime gibt als Grund mangelnde Rentabilität an. Die Firma will als erster Rollerfahrtenanbieter 2020 tatsächlich netto Geld verdienen. Ein Teil dieser Hoffnung entstammt einer anderen Hoffnung, nämlich der, dass Lime-Roller künftig 14 Monate statt 6 halten, bevor sie schrottreif sind. Lime ist nicht der erste Hersteller, der sich aus Städten zurückziehen muss.

Mich wundert das nicht. Mich wundert eher, dass sie überhaupt so lange überleben mit ihrem Eidotter aus Investorengeld. Ich glaube, die E-Roller sind eine Mode, die ebenso schnell vergessen sein wird, wie sie gehyped wurde. In Deutschland hinterlässt die Scooter-Spackeria uns zusätzlich zu den Schrottbergen ein Artefakt, das uns als Mahnmal für den Umgang mit US-Hypes dienen sollte: die Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung (eKFV).

Endlich Fahrradregulierung nachholen!

Die eKFV schafft das, was die Bürokratie beim Fahrrad zum Glück bisher noch nicht geschafft hat: eine derartige Überregulierung, dass potenzielle Kunden doch lieber zu Fuß gehen. Ein kleines elektrisches Fahrzeug (auch PLEV für „personal light electric vehicle“) muss alle Vorgaben für Fahrräder einhalten:

  • zwei Bremsen
  • seitliche Reflektoren
  • Licht und Reflektor vorn
  • Rücklicht und Reflektor hinten
  • Klingel

Für Pedelecs kommen sanft hinzu:

  • CE-Konformität (Hersteller prüft/bestätigt selber, haftet aber auch dafür)
  • maximal 250 Watt Motor-Dauerleistung
  • Unterstützung bis 25 km/h
  • Anfahrhilfe ohne Treten bis 6 km/h

Man hätte den StVG §1, Abs. 3 noch einmal ändern können und das Kleinvieh dort integrieren, wie es dem Fahrrad mit Hilfsmotor passierte. Stattdessen kam eine neue Regulierung, die zusätzlich zu den Fahrrad-Vorgaben fordert [Update, Fehlerkorrektur]:

  • Versicherungs-Kennzeichen
  • Typzulassung oder Einzelzulassung
  • Fahrzeugpapiere (sind "zuständigen Personen" auf Verlangen vorzulegen)
  • maximal 20 statt 25 km/h, damit es nicht zu harmonisch wird auf dem Radweg
  • Radweg-Pflicht auch ohne Beschilderung
  • maximal 500 Watt Dauerleistung
  • aber bis 560 Watt Netto-Antriebs-Dauerleistung für Selbst-Balancer (Rundungsfehler?)
  • Lenk- oder Haltestange mit Mindestlängen
  • Maximalmaße
  • Maximalmasse
  • Mindestalter 14 Jahre
  • Mindestwerte für die Bremsleistung
  • Feststellbremse für drei- oder vierrädrige Fahrzeuge
  • diverse Sicherheitsvorschriften, teils überschneidend mit DIN EN 15194 wie bei den CE-Vorgaben für Pedelecs

Denn der elektrische Roller oder das Hoverboard ist kein Fahrrad und soll auch nicht behandelt werden wie eines, ja mehr noch: Man wird das Gefühl nicht los, dass die deutsche Bürokratie hier alles nachholen wollte, was ihr beim EU-regulierten Fahrrad zu laissez-faire erschien. Ein Elektrodings ist ein Kraftfahrzeug, es muss die volle Wucht der Regulierung ertragen.

Wir machen ja schon Ausnahmen! Kein Fernlicht! Wie bei aller Bürokratie ist jede Einzelmaßnahme in sich schlüssig und nachvollziehbar. Dann tritt man einen Schritt zurück und sieht: O Gott, wir haben ein Monster erschaffen! Oder, wenn man in Deutschland ist, tritt man keinen Schritt zurück, sondern verabschiedet das so. Wenn jedes Detail am Homer-Auto stimmt, kann folglich auch als Gesamtwerk nur stimmen, oder? Wieso passiert uns das immer?

Wer „Digitalisierung“ sagt, hat statt Ahnung eine Agenda

Die wahrscheinlichste Ursache für die eKFV ist der Wunsch aller Menschen nach einer einfachen magischen Pille für jedes komplexe Problem. Übergewicht? Dieser einfache Trick hilft! Depression? Der Enkel meines Cousins väterlicherseits hat es mit Chia-Spirulina-Smoothie-Einläufen von einer ranzigen Dauerdelle in der Couch bis zum Frühstücksradiomoderator geschafft. Burnout? Integrieren Sie ein paar Stündchen Yoga in Ihren vollen 168-Stunden-Wochenkalender, das wirkt Wunder! Mobilitätswende? Machen wir neue Gesetze, dann wird alles gut!

Dazu kommt, dass Deutschland in seiner steten Angst, technologisch abgehängt zu werden, erschreckend anfällig ist für Berater-Bullshit. Der mit Gel bestrichene Mann im Anzug muss nur das Zauberwort „Digitalisierung“ rufen, schon springt der deutsche Wirtschaftsadel aufs Tanzbrett und zerrt die Politik mit. „Digitalisierung“ hat sich von seinem alten Job als technisches Beschreibungswort komplett verabschiedet, um das Glück auf dem Beraterstrich zu suchen, wo es die Bullshit-Bedürfnisse jedes Laufkunden befriedigt – für einen Preis.