Eine Million hier, eine Million dort

Lee Iacocca: Work hard, play hard

Lee Iacocca war Zeit seiner Karriere ein Machtmensch. Einer, der von sich überzeugt war. Konsensmanagement widerstrebte ihm. Man müsse es nicht allen recht machen, so seine Meinung. Sonst trägt am Ende niemand die Verantwortung. Ein Portrait

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Von
  • Bernd Kirchhahn
Inhaltsverzeichnis

Die Kündigung kam über den Telegrafen rein. Nicht einmal persönlich konnte oder wollte die Stadt New York im Februar 1986 Lee Iacocca vor die Tür setzen. Eine Frechheit von solch biblischer Dimension, dass sogar Frank Sinatra persönlich bei Präsident Ronald Reagan anrief um sich zu beschweren.

Vier Jahre lang war Iacocca Vorsitzender der Kommission zur Hundertjahresfeier der Freiheitsstatue gewesen. Er hatte Spenden lukriert und Vorschläge erarbeitet, wie das Geld eingesetzt werden könnte. 230 Millionen Dollar hätte die Kommission gebraucht, 305 Millionen hat er zusammengetragen. Doch die Vorwürfe in der Öffentlichkeit waren nicht mehr zu überhören: Iacocca würde zur Überkommerzialisierung eines Symbols beitragen. Für ihn war das ehrabschneidend.

Iacocca war zu diesem Zeitpunkt bereits eine überlebensgroße Managerlegende. Er hatte dem amerikanischen Volk vorgeführt, dass der amerikanische Traum kein Mythos ist, sondern dass er sich erarbeiten lässt.

Seine Eltern kamen aus Italien und betrieben eine Pizzabäckerei. An Lido Anthony, so der vollständige Name, stellten die Eltern ambitionierte Ansprüche. „Gib dich nie zufrieden, strebe nach Perfektion. Gib nie auf, nie.“ Das war das Mantra, das sein Vater ihm mitgab, das als Leitstern seiner Erziehung diente. Und natürlich: „Stillstand ist Rückschritt.“

Emotional entsprechend aufmunitioniert begann er 1946 seine Karriere bei Ford – als Praktikant in der Entwicklungsabteilung. Zu diesem Zeitpunkt war er 22 Jahre alt und Ingenieur. Er war talentiert, wusste wie man Werbung in eigener Sache machte und war ein charismatischer Redner. Die Karriereleiter bei Ford war für ihn eine Rolltreppe. Von ihm stammten weite Teile des Ford Mustangs, der 1964 auf den Markt kam und eine komplett neue Fahrzeugklasse begründete. Und weil Konzerne dankbar sein können, wurde er bereits 1965 zum Vizepräsidenten ernannt, 1970 dann zum Präsidenten. Womit der Ärger losging.

Denn Iacocca war Zeit seiner Karriere ein Machtmensch. Einer, der von sich überzeugt war. Konsensmanagement widerstrebte ihm. Man müsse es nicht allen recht machen, so seine Meinung. Sonst trägt am Ende niemand die Verantwortung und der Firma gehe Flexibilität verloren.

Henry Ford II, der ebenfalls nicht den Ruf hatte Kompromisse einzugehen, übertrug Iacocca die Kontrolle über alle Teile des Unternehmens. Nur nicht über die Montagewerke. Von denen hatte Iacocca nach eigener Aussage zwar keine Ahnung, doch er ärgerte sich trotzdem. Denn sein Vorgänger hatte diese Kontrolle. Iacocca wertete das als mangelndes Vertrauen.

„Manchmal mag man einen nicht.“

Genau genommen hätte das Arbeitsverhältnis an dieser Stelle beendet werden können. Doch Iacocca blieb und wurde am 13. Juli 1978 – nach 32 Jahren bei Ford – mit den Worten entlassen: „Manchmal mag man einen nicht.“ Wie schlimm diese Kündigung den Selfmade-Man traf lässt sich in seiner ersten Biografie von 1985 nachlesen, die einer Abrechnung mit Henry Ford II gleicht. Den macht Iacocca zum Trinker und Lebemann, zum launischen Despoten.

Und von so einem wollte sich der Starmanager nicht rausschmeißen lassen. Iacocca übernahm umgehend den Chefposten bei Chrysler. Zu diesem Zeitpunkt glich dieser Posten einem Selbstmordauftrag. Nach Rekordverlusten, Qualitätsproblemen und Querelen mit den Gewerkschaften lag das Unternehmen am Boden. Die Öffentlichkeit erwartete, dass Iacocca Chrysler abwickeln würde.

Tat er aber nicht. Zunächst verhandelte er mit Volkswagen über eine Übernahme. Doch die Wolfsburger winkten ab – zu desaströs war die finanzielle Situation der Amerikaner. In seiner Not wandte sich Iacocca an den amerikanischen Staat, der ihm eine Bürgschaft über 1,2 Milliarden Dollar genehmigte.

Mit diesem Geld und harter Hand machte sich Iacocca an die Sanierung. Schuldner mussten auf große Teile ihrer Forderungen verzichten. Zusätzlich wurden rund 700 Millionen Dollar in dividendenfreie Vorzugspapiere umgewandelt. 20.000 Arbeiter, also die Hälfte der damaligen Belegschaft, mussten gehen, insgesamt dreißig Werke wurden geschlossen. 33 von 50 Topmanagern bekamen einen Tritt.

Doch allen Experten zum Trotz überlebte Chrysler. Auch weil Iacocca ein Baukastensystem für die Kompaktklasse installierte, das Ford abgelehnt hatte. Daneben folgten Modelle wie der Jeep Cherokee und der Chrysler Voyager, die jeweils das richtige Auto zur richtigen Zeit auf dem richtigen Markt waren. Es folgte, was schier unmöglich schien: 1982 meldete Chrysler erstmals wieder Gewinn. Immerhin 170 Millionen Dollar. Die basierten zwar vor allem darauf, dass der Staat für Kreditzinsen Chryslers aufkam und deren Buchhaltung dank saftiger Verlustvorträge aus den vergangenen Jahren keine Steuern zahlen musste – aber immerhin. Und 1986 bekam die Buchhaltung vor lauter Überschuss ohnehin die Tür nicht mehr zu: 2,3 Milliarden Dollar.

Als Iacoccas Ego die irdische Umlaufbahn verließ

Iacocca hatte ein Gespür für Marketing. Es wurden Werbespots mit ihm als Hauptfigur gedreht, in denen er den Kunden empfahl: „Wenn Sie ein besseres Auto finden, kaufen Sie es.“ Es war dieser Zeitraum, in dem Iacoccas Karriererakete die nächste Stufe zündete und sein Ego die irdische Umlaufbahn verließ. Denn 1985 hatte Iacocca seine Autobiographie veröffentlicht: „Eine amerikanische Karriere“. Einerseits eine Abrechnung mit Henry Ford II, andererseits ein Managementhandbuch. Das Buch verkauft sich sieben Millionen Mal und machte Iacocca zum populärsten Firmenlenker seiner Zeit.

Seine Verehrung wuchs ins Lächerliche. Das Magazin People fragte seine Leser, mit wem sie gerne für 24 Stunden das Gehirn tauschen würden. Nach Einstein, Kennedy und Reagan folgte schon Iacocca. Immerhin noch vor Gott, Edison und Mozart. Iacocca galt als Genie. Als Wunderwaffe. Eltern schrieben ihm Briefe, in denen sie fragten, wie sie ihren Sohn von den Drogen wegbringen könnten. Oder wie sie ihre Hunde am besten aufziehen sollten. Die Vereinigung der „Hog Callers“, also der Schweinerufer, wollte ihn als Ehrengast. Nie in seinem Leben hatte er ein Schwein gerufen. Er selbst schrieb einmal: „Dem Kerl, der ich sein soll, dem würde ich gerne mal begegnen. Ich würde ihn sofort engagieren.“

1986 schaffte es Iacocca auf das Cover der Business Week - als höchstbezahlter Manager Amerikas – und damit, nach dem eigenen Selbstverständnis, wohl auch der Welt. Den Titel sicherte er sich mit einem Salär von 20,5 Millionen Dollar.

Darauf Iacocca: „Eine Million hier, eine Million dort – und ehe Sie es merken, haben Sie tatsächlich Geld.“ So spektakulär das klingen mag, gerade zur damaligen Zeit, so bodenständig hatte er sich diese Summe verdient. Sein Grundgehalt betrag nämlich „nur“ 1,7 Millionen Dollar, weitere 975.000 Dollar stammten aus Prämien. Der Rest? Dividendenzahlungen. Anfangs hatte sich Iacocca nur einen symbolischen Dollar Jahresgehalt und wertlose Aktienpakete ausgezahlt. Letztere brachten bei einem Überschuss von 2,3 Milliarden aber rund 18 Millionen Dollar Dividende. Vom Kursgewinn (etwa 860 Prozent) ganz abgesehen.

Zuliefererjagd in Fernost

Immer wieder mischte sich Iacocca wortgewaltig und öffentlichkeitswirksam in die Politik ein. Die Demokraten boten ihm angeblich den Posten des Präsidentschaftskandidaten an. Vor allem die Handelspolitik hatte es ihm angetan. Er führte einen kleinen Privatkrieg gegen Japan. Die lieferten Jahr für Jahr milliardenschwere Handelsüberschüsse ab. Iacocca sah darin eine Gefahr für die USA und kritisierte alle Beteiligten heftig. Das brachte ihm auf der einen Seite den Spitznamen „Japanfresser“ ein, hielt ihn auf der anderen Seite aber nicht davon ab in Japan, Taiwan und Südkorea auf Zuliefererjagd zu gehen.

Ende 1992 musste Iacocca bei Chrysler zurücktreten. Der Aufsichtsrat wollte eine jüngere Firmenspitze. Der Abgang schmerzte ihn. Auch, weil er Robert Eaton als Nachfolger Platz machen musste, obwohl er eigentlich seinen Wunschkandidaten Bob Lutz schon in Stellung gebracht hatte.

Wohl auch deswegen fiel ihm das Loslassen schwer. 1995 plante er zusammen mit einem Finanzinvestor die feindliche Übernahme Chryslers, scheiterte aber. Stattdessen kooperierte Chrysler mit Daimler-Benz. Bis heute in der Betriebswirtschaftslehre ein Musterbeispiel dafür, wie so ein Merger nicht ablaufen sollte. Iacocca diente sich Jürgen Schrempp, dem damaligen Konzernchef an, blitzte aber ab. Erst 2005 – Iacocca war zu diesem Zeitpunkt bereits 80 Jahre alt – durfte er nochmal als Werbefigur ran. Er bewarb „The Deal“. Eine Preisschlacht-Aktion Chryslers.

Für jedes verkaufte Auto erhielt die Iacocca-Diabetes-Stiftung einen Dollar. Der Manager hatte sie gegründet, nachdem Mary McCleary, seine erste Frau, 1983 im Alter von 57 an den Folgen des Diabetes starb.

Bis vor kurzem kommentierte Iacocca immer wieder Politik und Wirtschaft. Er rief Plattformen ins Leben, die den gesellschaftlichen Wandel diskutierten und brachte Themen wie das Gesundheitssystem oder die Entwicklung umweltschonender Fahrzeuge auf die politische Agenda.

In den vergangenen Jahren – quasi seit er 2012 die Kandidatur von Mitt Romney unterstützte – wurde es allerdings ruhiger um ihn. „Drei Jahre Ruhestand sind schlimmer als 47 Jahre Automobilindustrie“, schrieb er einmal. Aber vielleicht hatte er doch Einsehen.