Meinung: Besser Chaos aushalten als Unglaubwürdigkeit

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Klingt komisch, ist aber so: Unser Rechtssystem geht stillschweigend von der Gesetzmäßigkeit von Verwaltung und Rechtsprechung aus. Wenn sich Behörden weigern, Urteile umzusetzen, verstößt das zwar gegen die Verfassung. Die Gerichte haben jedoch keine Mittel, Behörden zur Umsetzung von Urteilen zu bringen. Unser System setzt schlicht voraus, dass sich öffentliche Verwaltungen an Gerichtsurteile halten. Für den Fall der Missachtung von Urteilen gibt es daher nicht einmal eine Handlungsanweisung.

Verhältnismäßiges Urteil?

Die Versuchung ist nach dem Spruch aus Gelsenkirchen noch deutlich größer als in München, sich mit dem völlig berechtigten Hinweis auf die Verhältnismäßigkeit über Urteile hinwegzusetzen. Dann allerdings „sabotiert die zweite Gewalt die dritte“, wie es der münchner Jurist und Journalist Heribert Prantl einmal treffend ausdrückte. Das darf aber, bei allem Verständnis, nicht sein.

Sobald die Politik diese Ordnung anzweifelt, untergräbt sie das Fundament ihres eigenen Handelns. Der Staat benötigt den Rechtsfrieden, in dem alle Staatsgewalten die Autorität des Rechts anerkennen. Das Recht steht über ihnen, er ist daher ein Rechtsstaat. Populistisch motivierte Eigenmächtigkeit der Politik wie es Polen oder die Türkei bereits erleben, gefährdet damit einen Grundpfeiler der Demokratie.

Das Chaos notfalls aushalten

Nicht, dass wir jetzt ähnlich schlimmes für Deutschland befürchten würden. Aber damit es nicht so weit kommen kann, müssen wir in Essen das zu erwartende Chaos notfalls aushalten – trotz der offensichtlichen Unverhältnismäßigkeit und so absurd das Urteil auch sein mag. Die Gesetze sind ja nicht vom Himmel gefallen, weil sie von der EU kommen. Auch sie wurden einmal aus Gründen, über die man übereinstimmte, von gewählten Politikern beschlossen. Die Richter zu kritisieren, verfehlt das Ziel: Es ist nicht ihre Aufgabe zu beurteilen, wie sinnvoll die Gesetze sind.

Die Politiker, denen das jetzt teils aus eigenem Verschulden auf die Füße fällt, sollten ans Aufräumen denken statt mit dem Relativieren europäischer Gesetze die Unordnung noch zu vergrößern. Sonst erkennen sie durch tätiges Handeln an, was ihre Konkurrenten aus den populistischen Parteien täglich behaupten: dass wir angeblich von der EU entmachtet würden. (fpi)