Mercedes "Experimentalsicherheitsfahrzeug"

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Die kleine Warndreiecks-Drohne (siehe Fotos) ist für die fahrerlose Unfallstellen-Sicherung gedacht. Ich halte sie eher für einen Aufmerksamkeits-Gag, da zu aufwendig für zu wenig Nutzen. Ein fahrerloses Auto kann die Behörden verständigen und weiterfahren, wenn es überhaupt in der Lage ist, einen Crash sinnvoll zu beurteilen. Ein menschlicher Unfallhelfer muss sowieso aussteigen, wenn er helfen will.

Gurt: immer noch ein Thema

Mich persönlich hat überrascht: Selbst in Deutschland spielt bei 28 Prozent der Verkehrstoten als Mittodesursache immer noch ein nicht oder falsch angelegter Gurt – nach Jahrzehnten der Verkehrserziehung und einer Gurtanlegequote von 97 Prozent. In den USA sehen Unfallanalysten sogar bei 40 Prozent der Verkehrstoten, dass sie nicht angeschnallt waren. In China schnallen sich Passagiere vorne an, weil das die allgegenwärtigen Kameras ja sehen, hinten aber eher ungern. Und in Teilen Indiens steht die Verkehrserziehung mit dem Gurt als wichtigstes passives Sicherheitssystem noch fast am Anfang.

Um für eine konsequentere Gurtnutzung zu sorgen, mahnt uns schon seit vielen Jahren stetes Gebimmel schon beim Rangieren, den Gurt zu schließen. Diese Peitsche will Mercedes künftig komplementieren mit einigen Zuckerbrot-Mechanismen. Vorne sollen beheizte Gurte dafür sorgen, dass Fahrer und Beifahrer sie im Winter gern anlegen, statt die sicherheitstechnisch schlechtere dicke Jacke anzubehalten. Das hilft sogar beim elektrischen Fahren, weil Menschen direkt wärmen weniger Strom verbraucht als sie indirekt über die Kabinenluft zu wärmen. Auf der Rückbank verbaut Mercedes anhand der Erfahrungen aus China USB-Stromversorgungsbuchsen in den Gurt-Rastern, die Strom aufschalten, sobald der Passagier den Gurt gesteckt hat.

Kindersitz: immer noch ein Thema

Der andere unerwartete Risikofaktor: falsch montierte Kindersitze. Fast jeder zweite Kindersitz ist nach einer Studie der Unfallversicherer falsch befestigt. Man kann davon ausgehen, dass Eltern ihre Kinder wichtig sind. Die fehlende Sorgfalt hier lässt sich also am ehesten damit erklären, dass wie beim Gurt der Mensch die im Fahrzeug aufgebauten Kräfte massiv unterschätzt. Er muss also an die nötige Sorgfalt erinnert werden. Im ESF haben Ingenieure die Idee umgesetzt, die Kindersitz-Montage mit einem helfenden Interface auszustatten. Symbole direkt am Sitz und auf dem Infotainment-Display leiten Eltern durch den korrekten Vorgang und zeigen an, was sie richtig und falsch machen.

Hängt das Kind zu lose in den Gurten oder hat es sich locker gestrampelt, erscheint eine Warnung. Ebenso warnt das System, wenn der herausnehmbare Sitz nicht richtig in der Basisplatte einrastet. Eine Kamera mit KI-Bildverarbeitung und eine Sensormatte im Sitz überwachen Temperatur, Puls, Atmung, Schlafzustand und Gesicht des Kindes. Vorne zeigt das Display an, ob es schläft, wach ist oder unruhig wird. Aufgrund der enormen Aufmerksamkeit, die das Gesicht des eigenen Kindes zieht, darf der Fahrer erst im Stand oder bei automatischer Fahrt direkt den Kamera-Feed anschauen. Gedacht ist das vor allem für die Montage des Sitzes gegen die Fahrtrichtung. Die ist im Crash-Fall sicherer für Kopf und Halswirbel, dafür ist das Kind vom Fahrersitz aus schlechter kontrollierbar.

Für die passive Sicherheit zeigt Mercedes, dass Gurtstraffer und ein Seitenaufprall-Element in einen Kindersitz passen. Das ESF versorgt deren Steuerung über eine Langzeit-Batterie. Denkbar wäre auch eine induktive Stromversorgung über die Montageplatte. Schlau gelöst: Nachdem der Sitz bequem von außen auf die Montageplatte geschoben wurde, spannt die Drehung in Fahrtposition die Gurtstraffer-Feder.

Airbag für Liegende

Wenn Menschen künftig nicht mehr aktiv am Lenkrad drehen, sondern entspannt liegen, hat das Auswirkungen auf die Konstruktion von Airbags. Beim Liegesitz der Mercedes S-Klasse verklemmt beispielsweise ein Airbag im Oberschenkelbereich den Passagier gegen den gestrafften Gurt, damit er nicht nach vorne herausrutscht. Wer bei der autonomen Autobahnfahrt döst, muss genauso gesichert werden. Das heißt vor allem, dass der aufgrund von Gewicht und Kosten zwischenzeitlich beinahe ausgestorbene in den Sitz integrierte Gurt zurückkehren wird.

Zu ihm gesellen sich neue Airbag-Konzepte. Das erste betrifft den Front-Airbag. Das ESF trägt ein flaches Lenkrad, das nicht mehr mehrere Umdrehungen von Lenkanschlag zu Lenkanschlag braucht, sondern situativ passend den nötigen Lenkwinkel aus den Eingaben ableitet, damit der Fahrer nie umgreifen muss. Bei einem Crash reißt das Airbag-System das Lenkrad nach vorne weg, was nach Experimenten nicht zu Fingerverletzungen geführt hat. Gleichzeitig entfaltet sich aus dem Armaturenbrett über dem Lenkrad ein Airbag ähnlich dem Beifahrersystem. Da er nicht mehr ans sich drehende Lenkrad gebunden ist, muss dieser Aufprallschutz nicht mehr rund sein, sondern kann eine ergonomischere Form annehmen.