Das alte Stollenrezept

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Mandello (I), 21. Januar 2016 – Es kommt Moto Guzzi sehr gelegen, dass Motorräder im Retro-Look voll im Trend liegen. Die V2-Modelle aus Mandello müssen gar nicht auf alt getrimmt werden, denn sie haben sich seit Jahrzehnten kaum verändert. Das bescherte der Moto Guzzi V7 eine ungeahnte Renaissance. Tatsächlich griffen wieder vermehrt Käufer, die nicht zwingend zum althergebrachten Moto-Guzzi-Hardcore-Fanclub zählten, zu den legendären Italo-Bikes mit dem luftgekühlten 90-Grad-V2. Um genau diese Zielgruppe bei Laune zu halten, legen die Italiener jetzt ein limitiertes Sondermodell auf und benennen es nach einem Vorbild aus der langen Geschichte der Marke.

Hauptsache „Scrambler“

Vor einem halben Jahrhundert beglückte die damals noch wesentlich erfolgreichere Firma mit dem Adler im Logo die Welt mit der Stornello Scrambler America. Dass es sich damals um einen kleinen 125-Kubikzentimeter-Einzylinder handelte, der mit dem aktuellen 744-Kubikzentimeter-V2 nichts mehr zu tun hat, interessiert heute nicht mehr sonderlich. Hauptsache, im Namen taucht „Scrambler“ auf. Als erstes verfiel Triumph auf die Idee, aus ihrer Bonneville einen Scrambler zu basteln, indem sie die Auspuffanlage hochlegten und Stollenreifen aufzogen. Moto Morini folgte kurz darauf dem Scrambler-Trend, Ducati tat es den Briten vorletztes Jahr gleich, diese Saison schiebt BMW die R nineT Scrambler nach (obwohl die Bayern in ihrer Historie nie einen Scrambler gebaut haben) und die wieder ins Leben gerufene Marke SMW präsentiert die Silver Vase 440.

Die V7 II Stornello ist eigentlich eine ganz normale V7 II Special, die allerdings mit ein paar netten Teilen aufgehübscht wurde, darunter die hochgelegte Zwei-in-eins-Auspuffanlage. Von der italienischen Firma Arrow gefertigt, besticht sie mit piekfeinen Aluminium, einem Hitzeschild für das Hosenbein des Sozius und eng um den Motor geschlungene Krümmer. Der basslastige V2-Sound ist betörend und er trägt einen nicht unerheblichen Teil zur Faszination der Moto Guzzis bei. Die massierenden Vibrationen sind bei ihr serienmäßig. Auf einen Scrambler gehören selbstverständlich Stollenreifen, die V7 II Special trug schon die passenden Drahtspeichenräder.

Allerdings werden die modernen Scrambler von ihren Besitzern nicht mehr ins Gelände ausgeführt, auch wenn das die ursprüngliche Idee dieser Gattung war. Aber mit über 200 Kilogramm Gewicht und kurzen Federwegen will niemand mehr so recht vom Asphalt runter. Ein paar Schotterwege mit minimalem Kurvenanteil sind da schon das höchste der Gefühle. Moto Guzzi griff selbstverständlich zu italienischen Pneus und die Pirelli MT 60 RS glänzen mit gutem Grip auf der Straße.

Unanständig modern

Bei losem Untergrund ist Vorsicht geboten, aber zum Glück gibt es die V7 II jetzt endlich mit ABS. Fast schon unanständig modern für Moto-Guzzi-Verhältnisse ist die Traktionskontrolle. Wer die beiden elektronischen Systeme für Stilbruch hält, kann sie auch abschalten. Außerdem spendierte der Hersteller seiner V7-II-Modellreihe ein neues Getriebe, das deutlich weniger kracht und sich präziser schalten lässt sowie eine verbesserte Ergonomie. Außerdem sind die ersten und letzten beiden Gänge enger gestuft. Die Teleskopgabel wird von Faltenbälgen wie anno dazumal geschützt. Mehr Federweg erhielt die Stornello nicht, auch einen Schutz für die Rahmenunterzüge sucht man vergeblich.

Die Sitzposition auf einer V7 II ist sehr entspannt und auch nach längerer Tour fühlt sich der Fahrer noch frisch. Ein hoher und breiter Lenker versteht sich bei einem Scrambler von selbst und der Kniewinkel passt sogar groß gewachsenen Guzzisten. Die Sitzbank der Stornello wurde etwas aufgepolstert, auch für den hinteren Passagier. Den Heckrahmen verlängerte Moto Guzzi bis zum Rücklicht über dem kleinen Kennzeichenträger. Der Heckfender aus gebürstetem Aluminium ist kürzer als bei den anderen V7-Modellen und passt perfekt zum Look der Stornello. Aus demselben Material ist der Vorderradkotflügel gefertigt. Auf dem 21-Liter-Tank kleben Knie-Pads aus Gummi.

Unterhalb der Sitzbank finden sich auf beiden Seiten ovale Startnummerntafeln aus gebürstetem Aluminium, über dem Rundscheinwerfer wurde eine halbrunde Maske aus demselben Material platziert. Auch wenn sicher niemand mehr Rennen mit der V7 fahren will, wirken die Komponenten sehr stilvoll. Die Fußrasten sind ebenfalls aus Aluminium und auf der Trittfläche schachbrettartig eingeritzt, um den Sohlen etwas mehr Grip zu bieten. Der Alu-Bremshebel für den hinteren Stopper wurde verlängert, damit man ihn auch im Stehen besser betätigen kann.

Der Motor bietet keine Überraschungen, er leistet 48 PS bei 6250 U/min und 59 Nm bei 3250 U/min – mit Luftkühlung und nur zwei Ventilen pro Zylinder, die über Stoßstangen und Kipphebel betätigt werden. Das gibt es heute nur noch bei Lkw-Dieselmotoren, hier meist schon mit Vierventiltechnik, oder stilecht mit zwei Ventilen in der aktuellen Corvette. Von den technischen Daten her mag das Motorrad etwas dürftig erscheinen, aber man muss die V7 II gefahren haben, um die Faszination dieses Konzepts zu begreifen.

Gekippt und tiefer

Dumpf böllert der V2 unter dem Fahrer und die Guzzi lässt sich locker in die Kurve abwinkeln, um dann mit sattem Punch aus dem Drehzahlkeller zu beschleunigen. Eine verbesserte Handlichkeit resultiert daraus, dass der Motor im Zuge einer Überarbeitung letztes Jahr um vier Grad nach vorne gekippt und zehn Millimeter tiefer platziert wurde. Auch der Kardanantrieb wurde 50 Millimeter tiefer gelegt, was dem Hinterrad mehr Grip und dem Motorrad mehr Stabilität bescherte. Ja, Vibrationen sind präsent, aber erst bei hohen Drehzahlen aufdringlich. Das Fahrwerk mag kein Ausbund an Sensibilität sein, aber funktioniert ordentlich, das gleiche Urteil kann man über die Bremsen fällen. Alle V7 II quälen sich nur mit viel Anlauf über die 160 km/h-Marke, die Scrambler macht da keine Ausnahme.

Im hauseigenen Zubehör kann der V7-Eigner aus dem Vollen schöpfen. Ein Satz Federbeine von Bitubo zum Beispiel. Die sind nicht nur komplett einstellbar, sondern verfügen auch über mehr Federweg. Für die Tour bietet Moto Guzzi ein Paar Lederpackaschen und einen aus Leder und Nylon gefertigten Tankrucksack. Für noch mehr Komfort sorgt ein Gel-Sattel, den es auch in einer zwei Zentimeter niedrigeren Ausführung gibt, dabei hat die Stornello ohnehin nur eine Sitzhöhe von 790 Millimetern. Ganz besonders hübsch, aber kürzer als die Originale sind die schwarzen Alu-Rückspiegel mit gravierten Moto-Guzzi-Schriftzug und dem Adler.

Der Preis für die Stornello beträgt 10.300 Euro und es wird sie ausschließlich in weiß mit roten Streifen auf den Tankflanken und knallrot lackiertem Rahmen geben. Bei der Wahl zur schönsten Moto Guzzi aller Zeiten hätte die Stornello gute Chancen zu gewinnen. Die Marke will eintausend Stück der Stornello auflegen. Womöglich viel zu wenig, um dem Bedarf nach dieser Schönheit aus Italien gerecht zu werden.