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Renault Espace: Unendliche Weiten

Der Renault Espace wollte Dinge anders machen – das machte schon die schmerzhafte Geburt klar. Denn er stammt aus ärmlichen Verhältnissen. Er rettete Matra zunächst vor dem Untergang, machte die Marke aber abhängig. Die Pleite war unausweichlich, der Erfolg des Vans aber nachhaltig

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Renault Espace 35 Bilder
Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Bernd Kirchhahn
Inhaltsverzeichnis

An diesem Auto hatte die Seele des Autovolks zu leiden. Verwirrt hangelte sich die Fachpresse durch halbgare Versuche, das Fahrzeug zu erklären. Ein Kleinwagen, der auf Bus macht. Ein Bus, der auf Kleinwagen macht. Oder doch ein Kärcher für das schmutzige Baustellen-Image der Kleintransporter? Der Renault Espace war 1984 tatsächlich etwas Neues – auch und gerade in Europa – und die Kunden hatten daran zu knabbern. Und damit auch die Händler. Im ersten Monat fanden sich gerade einmal neun Kunden für Renaults neue Nische. Damit sind nicht die Zahlen aus Deutschland gemeint, sondern der Gesamtabsatz der Marke.

Der Renault Espace wollte Dinge anders machen – das machte schon die schmerzhafte Geburt klar. Denn er stammt aus ärmlichen Verhältnissen. Sein Vorgänger war der Simca Matra Rancho. Ein Auto, das wie ein SUV aussah, aber keinen Allrad hatte. Ein Vorbote für die Eskalation an Crossover-Modellen, nach denen damals aber noch keiner gefragt hatte.

Der Designer hinter dem Rancho hieß Antonis Volanis. Ein Grieche, der bereits für Tefal gearbeitet hatte und später ins Yachtdesign einsteigen sollte. In der Automobilbranche hatte er ein Steckenpferd: Laderaum. Schon sein Vorbote auf den SUV-Boom, der Rancho, schluckte bis zu 2200 Liter. Ein Nachfolger für dieses Auto – den er zwischen 1978 und 1982 entwickelte – musste also zwangsläufig mehr aufnehmen. So Volanis Logik.

Für Matra fand sich kein Käufer

Doch gab es ein Problem. Matra gehörte damals zu Chrysler Europe und die brauchten Geld. Also sollten überflüssige Firmen – und dazu zählten die Amerikaner Simca und Matra – verkauft werden, um entweder Geld einzunehmen, oder Kosten zu senken. Das damalige Chaos auf dem Automarkt legt nahe, dass sie selbst nicht so genau wussten, was eigentlich das Ziel war. Jedenfalls ging Simca an Peugeot, für Matra fand sich aber kein Käufer.

Deren letzter Ausweg war die Eigenständigkeit, was nicht wenige als wirtschaftliches Selbstmordkommando werteten. Immerhin gab es in der Schublade noch das quasi fertig entwickelte Raumkonzept auf vier Rädern von Volanis. Um es straßenfertig zu kriegen, bediente sich Matra dank guter Verbindungen zu Peugeot in deren Technikregal. Als Teilespender musste fortan der Citroën BX herhalten.

Matra mühte sich redlich, doch Peugeot hatte kein Interesse an dem Fahrzeug. Mit dieser Absage war Matra an seiner finanziellen Leistungsgrenze angelangt. Renault war die letzte Chance des Unternehmens. Und umgekehrt. Denn bei Renault wusste zu diesem Zeitpunkt niemand so recht, was sie eigentlich tun sollten. Die letzten revolutionären Hits – R4 und R16 – waren schon zwanzig Jahre und länger her. Dazu musste sich im Alltag der Showrooms die Renault Alpine mit dem Matra Murena rumärgern, der erheblich Stückzahlen kostete. So die Meinung von Renault.

Und so sah der Deal mit Matra vor, dass Renault das Raumkonzept kauft, auf den Namen Espace tauft und bei Matra produzieren lässt. Dafür gab es neben Geld auch noch Renault-Technik. Im Gegenzug musste Matra sein letztes Modell, den Murena, einstellen.

Die Vorgabe mit der Technik sollte sich im Nachhinein als Glücksfall herausstellen. Denn eigentlich musste der Prototyp nur von Quer- auf Längsmotor gebürstet werden. Als 1988 der Espace mit Allradantrieb zu haben war, lohnte sich dieser Umbau, denn das 4x4-System war dadurch unkomplizierter einzupflegen.

Torsionssteif durch Verzinkung

Die Technik des Renault Espace ist überhaupt ein Punkt, der ob des neuartigen Raumkonzeptes und der Definitionsfrage, was das Fahrzeug eigentlich sei, oft nicht zu den Würden kam, die er verdient gehabt hätte. Über ein verzinktes Stahlskelett zog Matra eine Karosserie mit GfK-Planken. Durch die Verzinkung wurden alle Einzelteile zusätzlich verlötet (das flüssige Zink dringt dank Kapillarwirkung in alle Fugen und erstarrt dort). Dank der dadurch erhöhten Torsionssteifigkeit konnten es sich Matra und Renault erlauben, dünnere Bleche zu verbauen, was das Gesamtgewicht erheblich reduzierte. In Summe wogen die Modelle der ersten Generation gerade einmal 1200 Kilogramm.

Das eigentlich erstaunliche war aber das Raumkonzept. Zwar dürfte der Renault Espace in den Parklücken der Erinnerung reichlich Platz einnehmen, in der Realität war dieser Van aber gerade einmal 4,25 Meter lang. Ein Renault Mégane ist heutzutage elf Zentimeter länger, der aktuelle Espace gar 60 Zentimeter.

Sieben vollwertige Plätze auf VW-Golf-Grundfläche

Die 4,25 Meter nutzte der Wagen aber vorbildlich. Bis zu sieben Sitze fanden Platz, wobei die hinteren fünf einzeln montiert werden konnten. Oder eben demontiert. Wer alle Plätze entfernte, der fand sich einer Echokammer mit drei Kubikmetern Laderaum wieder. In einem Auto mit der Länge eines VW Golf.

Dazu gab es eine Vielzahl an Möglichkeiten die Sitze zu montieren. Beispielsweise konnte die erste Sitzreihe um 180 Grad gedreht und gleichzeitig die zweite Sitzreihe zu einer Art Tisch umgeklappt werden. So konnten die vorderen Passagiere mit den Passagieren der dritten Reihe quasi einen Stammtisch abhalten. Vertan wurde allerdings die Chance, die Sitze zu einer bettartigen Liegefläche umklappen zu können.

Angetrieben wurde die erste Generation des Renault Espace von einem Benziner mit zwei Litern Hubraum und 110 PS oder einem Diesel, der aus einem ähnlichen Hubraum 88 PS holte. 1986 folgte ein 2,2-Liter Benziner mit 110 PS, 1988 eine Zwei-Liter-Variante mit 120 PS und eine neue Einstiegsvariante mit 100 PS.

Leistung, die durch das geringe Gewicht und eine großartige Aerodynamik ausreichend war für eine souveräne Fortbewegung. Zum Marktstart – der mit neun verkauften Exemplaren in die Hose ging – bewarb Renault seinen Van gar als „TGV für die Straße“. Das war, zumindest was die Endgeschwindigkeit anging, stark übertrieben, doch die Assoziation stimmte. Wegen der starken Neigung der Frontscheibe, die einen Winkel von 58 Grad hatte, erreichte das Fahrzeug einen Luftwiderstandsbeiwert von immerhin 0,32.

Der US-Großraum-Lifestyle ging am alten Kontinent vorbei

Dass die Kunden erst einmal irritiert waren, lag natürlich am Gesamtdesign. Einerseits ging der Familienkeil auch als Raumschiff durch, andererseits waren die Europäer noch nicht an das Van-Konzept gewöhnt. Den Chrysler Voyager gab es erst seit kurzem und auch das nur in homöopathischen Dosen als Grauimport und der restliche amerikanische Lifestyle in Sachen Großraumlimousine ging am alten Kontinent vorbei. Hier hatten Busse noch einen Heckmotor.

Auch bei Renault hatte man ein wenig Angst. Matra wollte 50 Espace pro Tag bauen. Die erste Generation war von 1984 bis 1990 auf dem Markt und verkaufte sich beinahe 200.000 Mal. Damit hatten sich die Franzosen eine Vorreiter-Rolle in diese Segment erarbeitet, weswegen auch die zweite Generation – die nur fünf Jahre auf dem Markt war – satte 316.000 Käufer fand. Trotz plötzlich aufgetretener Konkurrenz.

Doch alle guten Dinge haben ein Ende. Renault versetzte Matra 2003 den Todesstoß. Matra produzierte den Espace, hatte aber alle anderen Projekte eingestellt. 2001 bekam Matra den Auftrag, den Renault Avantime zu produzieren. Der sollte sich mit gehobener Ausstattung oberhalb des Espace positionieren und mit nur drei Türen bewusst eine schrullige Nische besetzen.

Das Ende kam mit dem Umsteig auf eine Stahlkarosserie

Doch das eigentliche Alleinstellungsmerkmal von Matra war die GfK-Karosserie. Und als Renault beschloss, bei der vierten Generation des Espace auf eine konventionelle Stahlkarosserie zu setzen und sich gleichzeitig der Avantime selbst für ein Nischenauto katastrophal verkaufte, war die Pleite von Matra im Februar 2003 beschlossene Sache. Renault versuchte gar nicht erst, das Werk in Romorantin zu übernehmen und sperrte einfach alle Türen endgültig zu.

Anders der Espace, den es bis heute gibt und der zu den Cashcows der Marke gehört. Volanis war ein Visionär, der in der falschen Zeit arbeiten musste.