Die Stadt ist zuerst für Menschen da, dann erst für Autos. Oder?

Shared Space oder Unterwelt?

Wohin mit den ganzen Autos, die neunzig Prozent ihrer Zeit im öffentlichen Raum der Städte stehen? Konzepte der Sicherheitserzeugung durch Unsicherheitsschürung versprechen Abhilfe, so wie der "Shared Space"

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 13 Kommentare lesen
Stuttgart, Nebenstraße 3 Bilder
Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Als ich mit Daimlers Zukunftsforscher Alexander Mankowsky redete, hatte er neben den autonomen Autos ein weiteres wichtiges Thema, das sehr bald sehr viele von uns beschäftigen wird: Autos im öffentlichen Raum. Nächste Rastung auf der Relevanz-Skala: Der Deutschlandfunk hat in einer Sendung daran erinnert, dass die Stadt nicht für Autos da ist, sondern für Menschen. Ob diese Menschen ein Auto haben, kann erst die sekundäre Abwägung sein. Und schließlich machte es auch bei einem Hardcore-Verfechter der Variante „Baut einfach mehr Straßen!“ Klick: bei mir. Dazu brauchte es einen Besuch in Dubai und eine Erinnerung an meine langjährige Wohnstadt Würzburg.

Viva Dubai!

Zuerst freut den Dubai-Gast, dass die Straßen außenherum zwölfspurig und flammneu sind. Sowas brauchen wir auch! Und da: Brücken, die nicht zerfallen! Neid! Ich bleibe weiterhin dabei, dass Deutschland viel zu wenig Geld in Verkehrsinfrastruktur steckt, dass wir gute Bauwerke aus falscher Politik heraus verrotten lassen, bis eine Instandsetzung richtig teuer wird oder sie (andere Richtung der Problemlösung) einstürzen. Doch diesen Gedanken bis in die Stadtzentren zu ziehen, wird wahrscheinlich nicht so viel helfen, wie man das hoffen könnte. Im Gegenteil freunde ich mich in meiner konservativ langsamen Art mit dem Gedanken an, dass weniger Autoinfrastruktur dort mehr Lebensqualität für alle bedeutet. In Dubai ist das mit dem Fahren nämlich nur so lange toll, wie man außerhalb bleibt. Im Kern des Ballungszentrums wird es so zäh wie in Stuttgart. Wir stiegen irgendwann aus, um zu laufen. Der Bus war sehr schnell aus dem Blickfeld verschwunden – nach hinten.

Viva Herbipolis!

Eine alte Erinnerung wurde wach. Früher konnte man vom Bahnhof Würzburgs quer durch die gesamte Altstadt fahren, inklusive einer Überquerung des Mains auf der historischen Alten Mainbrücke. Irgendwann deklarierte die Stadt Würzburg alle diese Straßen zu einer einzigen, großen, zusammenhängenden Fußgängerzone. Nur die Straßenbahn und Lieferfahrzeuge für die Läden dort dürfen noch durch. Zunächst nervte diese Nachricht. Wie soll ich da denn in die Altstadt und was kaufen? Die Läden werden alle dicht machen müssen! Die Realität zeigte jedoch bald, dass die Fußgängerzone viel besser war. Ja: Vorher konnte man dort durchfahren. Man tat das auch. Es brachte einem aber nichts, denn in der Altstadt kann man sowieso nur an sehr wenigen Orten parken, zum Beispiel in der Tiefgarage unterm alten Marktplatz. Diese Orte sind weiterhin gut erreichbar. Der Rest der Altstadt gehört dem Fußgänger, was zu mehr Einkäufen dort führte (zumindest bei mir), gepaart mit mehr Pausen in mehr Straßenrandcafés. Win-wins allüberall.

Den größten Gewinn fahren jedoch die Anwohner ein. Wer heute in der Stadt ein Kind erwartet, plant schnell die Flucht in einen Retortenvorort, in dem das Kind seine ersten Laufjahre ohne nennenswerten KFZ-Verkehr verleben darf. Das passiert ja nicht, weil es dort so viel schöner wäre, sondern weil die Alternative ist, das Kind ständig zu ermahnen, wie gefährlich sein Lebensraum ist. Vorsicht! Ein riesiges Suff kommt um die Ecke, dessen Fahrer dich hinter der Frontkulisse nicht sehen kann! Schon ein bisschen steinzeitlich: Vorsicht! Ein riesiges Mammut kommt um die Ecke, das trampelt dich nieder! Da waren wir bestimmt schon mal weiter als in der Stadt heute.