Shared Space oder Unterwelt?

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Die Städte könnten viel schöner sein, großzügiger, offener. Eine Straße braucht eine Menge Platz und ist meistens sehr hässlich, vor allem, wenn seine Erbauer dem weltweit verbreiteten Schilderfetisch erliegen und zwanghaft einen bunt lackierten Blechwald aufstellen müssen. Zum Platz für den fließenden Verkehr kommt der für den ruhenden Verkehr: Parkplätze. Ja, Autofahrer zahlen eine Menge mehr ein in die Staatskasse als reine Radfahrer. Trotzdem: Vollgeparkte Straßen im Stau wirken mit jedem Jahr grotesker. Der größte Teil des Stadtraums wird von Blech-Immobilien eingenommen, die seine Insassen zur Wohnzeit sehr unglücklich machen und alle Menschen außenherum gleich mit.

Viva la Unsicherheit!

Lösungsansätze gibt es einige. Zum Beispiel ist offensichtlich, wie viel mehr Gewalt ein Motorfahrzeug gegenüber einem Fußgänger aufbaut, wie überlegen es ihn vernichten kann, ohne dass jemand das wirklich wollen würde. Je fragiler, leichter und unsicherer daher die Fahrzeuge sind, umso sozialer werden die Fahrer – rein aus Eigeninteresse. Ja, das ist die Fahrradfahrerargumentationslinie. Fahrt mehr Fahrrad! Aber bitte ohne Helm, mit dem fühlt ihr euch sonst zu sicher. Genauso sollten wir die Helmpflicht für Fünfziger-Roller in der Stadt abschaffen. Stattdessen könnte ein Gewichtsmaximum helfen, weitere Unsicherheit unter Rollerfahrern zu schüren: Ein Stadtroller darf nicht mehr wiegen als diese 45-km/h-Fahrräder, für die es schon heute keine Helmpflicht gibt. Rahmen, die in Dicke und Biegesteifigkeit an Lakritzstangen angelehnt sind, werden Rollerfahrer sehr vorsichtig machen und durch ihre einfache Verformbarkeit passive Sicherheit erzeugen.

Ein weiteres (beliebteres) Konzept für bessere Innenstädte ist die Aufhebung der Trennung zwischen Fußgängern, Radfahrern und KFZ-Fahrern. Die Grundidee ist dieselbe: Mehr Unsicherheit führt über alle Teilnehmer im statistischen Mittel zu mehr Sicherheit. Alle teilen sich einen Shared Space. Der Schilderwald wird abgeholzt. Das führt zu stets unklaren Verkehrssituationen. Es gibt keine eindeutige Vorfahrt, die ich mir mit 65 km/h nehmen kann, also krieche ich vorsichtig mit 30 km/h an den Querstraßen entlang und schaue in alle Gesichter. Es ist eine sehr italienische Art, kommunikativ zu fahren, die sich in Experimenten bis jetzt gut bewährt hat.

Viva Machiavelli!

Trotzdem hat es der Shared Space schwer in Deutschland, wie es alle Konzepte schwer haben, die Sicherheit aus Unsicherheit erzeugen wollen. Der Deutsche hasst Unsicherheit mehr als die meisten Menschen. Er möchte sich stets sicher fühlen, selbst dann, wenn sich sicher fühlen real unsicherer ist. Er möchte Recht haben beim Fahren. Gebt uns jederzeit eine neue, elektronische Fahrhilfe, aber lasst uns mit menschlicher Kommunikation in Ruhe. Das ist Teufelszeug für Italiener. Deshalb möchte ich einen dritten Weg vorschlagen: den „Divided Space“, das Gegenteil sozial gemeinsamen Fahrens.

Wir unterhöhlen alle Städte. Das Untergeschoss gehört den Kraftfahrzeugen, für die es dort großzügigst Platz gibt, zum Fahren wie zum Parken. Ein leuchtender Schilderwald lässt keine Zweifel darüber, wer im Recht ist. Überall führen Aufzüge nach oben in eine Stadt, die frei ist von KFZ aller Art. Pläne dazu sind wahrscheinlich längst im Gange, denn trotz der Steuerüberschüsse, die der Autoverkehr generiert, kommt 2016 die PKW-Maut, die es mit Angela Merkel nie geben sollte. Wenn diese Regierung Stuttgart für Autos unterhöhlt hat, werde ich sie sofort wählen. Es kann sich nur noch um Kleinigkeiten handeln. (cgl)