Weltweit größte Power-to-Gas-Anlage zur Methan-Erzeugung geht in Betrieb

Stromgas in Reichweite

Bereits heute wird je nach Wetterlage schon mehr Strom produziert als abgenommen werden kann. Schade um die kostenlose, saubere Energie – solange wir sie nicht speichern können. Daher gehen jetzt und im Mai 2013 zwei Pilotanlagen zur Stromgaserzeugung in Betrieb

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  • Florian Pillau
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München, 5. November 2012 – Ausgerechnet, wenn es gerade wieder besonders gut läuft mit der Ökostromproduktion, müssen Windräder stillgesetzt und Solaranlagen vom Netz genommen werden. Denn bereits heute wird je nach Wetterlage schon mehr Strom produziert als abgenommen werden kann. Schade um die kostenlose und saubere Energie – solange wir sie nicht speichern können. Und das ist erst der Anfang: Zwischen 2020 und 2030 sind deutschlandweit zu bestimmten Jahreszeiten überschüssige Stromleistungen im Gigawattbereich zu erwarten. Ohne Langfristspeicher mit hohen Kapazitäten, die bis dahin aufgebaut werden müssen, ist eine Energiewende kaum denkbar.

Energiewende ohne Energiespeicher?

Eine Möglichkeit der Speicherung über lange Zeit und mit großem Volumen bieten die chemischen Speichermedien Wasserstoff und Methan. Sie sind lagerfähig und können in das große, gut ausgebaute deutsche Erdgasnetz eingespeist werden, von wo aus sie Blockheizkraftwerke und die Industrie erreichen. So lässt sich die Energie durch Rückverstromung, etwa in Gaskraftwerken oder dezentral in Blockheizkraftwerken, bei Bedarf ins Stromnetz zurückführen. Viele Kraftwerke existieren bereits. Neue dezentrale Kraftwerke mit Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) können dabei den Wirkungsgrad weiter erhöhen. Darüber hinaus eignet sich Methan auch für die Gasversorgung von Haushalten oder zur Bereitstellung von Hochtemperatur-Prozesswärme für die Industrie.

Fahren mit Stromgas: erst thermisch, dann elektrisch

Doch nicht nur Kraftwerke, Industrie und Haushalte können das erneuerbare Gas nutzen: Auto-Interessierte kennen das "e-gas"-Projekt, das Audi seit einiger Zeit verfolgt – eine analoge Geschichte, die deshalb so gut zum Auto passt, weil sein Verbrennungsmotor schon heute nach einer vergleichsweise günstigen Umrüstung Methan im Wechsel mit Benzin verbrennen kann. Audi möchte mithilfe von Ökostrom per Elektrolyse Wasserstoff produzieren und ihn mit CO2 zu Methan verbinden, was Audi "e-gas" nennt. Fahren mit Synthesemethan wäre also eine rasch umsetzbare Brückentechnologie-Variante der Mobilität mit Stromgas und zwar so lange, bis eine Infrastruktur mit einem Verteilungssystem und Tankstellen für den Wasserstoff aufgebaut ist. Vor allem daran mangelt es noch, wenn man mit Stromwasserstoff fahren möchte. Klar ist aber auch, dass die Elektroautos, deren Energiespeicher kein herkömmlicher Akku ist sondern eine Brennstoffzelle, noch zu teuer sind. Flüssig tankbarer Wasserstoff, der bedarfgerecht zu elektrischem Strom für den lokal emissionsfreien Antriebsmotor wird, ist auf lange Sicht natürlich viel vernünftiger, denn dann würde der beschränkte Wirkungsgrad von Stromgas im Verbrennungsmotor zu einem hübschen Wirkungsgrad von Stromwasserstoff in der Brennstoffzelle. Und das Kohlendioxid bliebe außen vor.

Größte Ökostromgasanlage der Welt

Ein Schritt auf dem Weg zur Power-to-Gas-Energiespeicherung ist die soeben in Betrieb gegangene Forschungsanlage mit einer elektrischen Anschlussleistung von 250 kW des Zentrums für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW). Die vom Bundesumweltministerium geförderte und mit der Firma SolarFuel GmbH errichtete Anlage wandelt Ökostrom in Wasserstoff und Methan um. Mit einer möglichen Methanproduktion von bis zu 300 Kubikmetern pro Tag ist sie die größte Anlage ihrer Art weltweit und zehnmal leistungsstärker als die drei Jahre zuvor am ZSW entstandene Versuchsanlage. Damit kommen die Wissenschaftler aus Stuttgart in unmittelbare nähe zur industriellen Anwendung. Während des Betriebs wollen die ZSW-Forscher mit ihren Kollegen vom Fraunhofer IWES und der Firma SolarFuel die Technologie weiter optimieren. Das Hochskalieren künftiger Power-to-Gas-Anlagen im energiewirtschaftlich relevanten Bereich von 1 bis 20 MW soll dadurch erleichtert werden. Auch eine Abschätzung des künftigen Speicherbedarfs soll die Anlage ermöglichen.

Flexibilität ist gefragt

Sie besteht aus einem alkalischen Druckelektrolyseur, einer Methanisierungseinheit sowie dem Prozessleitsystem für die Steuerung und Regelung. "Unsere Forschungsanlage arbeitet dynamisch und intermittierend. Anders als die erste Anlage kann sie flexibel auf das rasch wechselnde Stromangebot aus Wind und Sonne und auf plötzliche Unterbrechungen reagieren", erklärt Dr. Michael Specht, Leiter des ZSW-Fachgebiets Regenerative Energieträger und Verfahren. Für den Mitentwickler der neuen Technologie ist das "eine Bedingung künftiger Energiesysteme mit einem hohen Anteil erneuerbaren Stroms." Ein weiterer Vorteil für die Anwendung: Die Steuerungs- und Regelungstechnik entspricht der Technik künftiger industrieller Großanlagen.

Es geht bald noch viel größer

Bereits nächstes Jahr im Mai wird im niedersächsischen Werlte eine 6-Megawatt-Anlage im Auftrag der Audi AG fertiggestellt, mit der die industriellen Anwendung ausprobiert wird. Die Erfahrungen aus der Forschungsanlage des ZSW werden auch in das "e-gas-Projekt" des Ingolstädter Konzerns einfließen. Insbesondere geht es um die Steuerung des Hoch- und Herunterfahrens wegen des intermittierenden Betriebs aufgrund des schwankenden Ökostromangebots. Audi beziffert den Wirkungsgrad der e-gas-Pilotanlage – vom Windrad zum Methangas – mit etwa 54 Prozent. Bei Nutzung der entstehenden Abwärme durch Kraft-Wärme-Kopplung ist dieser Wert noch deutlich steigerbar. Für spätere Ausbaustufen sei laut Audi ein Wirkungsgrad von über 60 Prozent das Ziel.