Nackttourer

Inhaltsverzeichnis

München, 29. April 2015 – Das Positive zuerst: Der Boxermotor in seiner neuen luft-/wassergekühlten Inkarnation war ein großer Fortschritt in Sachen Bedienkomfort. Egal ob Laufruhe für gemütliches Überland-Fahren oder Druck für kurze Überholvorgänge, das passt alles. Die Vibrationen halten sich in Grenzen, die Gegendrehmomente der Kurbelwelle brachte BMW mit der gegenläufig rotierenden Kupplung so weit unter Kontrolle, dass sie nicht mehr stören.

Von klassischen Sporttourer-Tugenden weicht die RS bei einem ganz wichtigen Punkt ab: Strecke machen. Auf Autobahnetappen fordert die Tanklampe bei 18 Litern Tankinhalt alle 200 km zum tanken auf. Der Verbrauch auf der Autobahn lag selbst bei gemütlicher Fahrweise im tempobegrenzten EU-Ausland bei 6,5 Liter auf 100 Kilometer. Zum Vergleich: Meine Kawasaki ZZR 1400 verbraucht bei gleicher Fahrweise trotz 192 PS 6 Liter. Im Volllastbereich offener Autobahnetappen zieht der Verbrauch der RS Boxer-typisch aufgrund der von BMW verwendeten starken Innenkühlung noch einmal stark an. Auf freier Bahn sind auch die doppelten Tempomatverbräuche möglich, früher als bei Vierzylinder-Sporttourern auch aus eigenem Haus. Der neue Boxermotor ist also wie der alte auf der Autobahn ein teurer Begleiter.

Dafür ist es im Windschatten der Scheibe gut auszuhalten und auch der Tempomat am E-Gas macht seine Sache hervorragend. Der „BMW Motorrad Navigator V“ ist eine BMW-Variante der letzten Generation des Garmin Zumo. Den großen Schritt des Garmin Zumo 590 LM mit dem transflektiven und gleichzeitig hintergrundbeleuchteten Display, der Kurvensuchfunktion und der neuen, deutlich durchdachteren Menüführung gibt es bei BMW noch nicht. Empfehlung: Garmin 590 kaufen statt BMW-Navigator.

Für Lange

Das Fahrwerk funktioniert super. Dabei habe ich fast nur den Modus "Dynamic" benutzt, da für mich kein Unterschied zu den anderen Modi festzustellen war. Ob das an mangelnder Feinfühligkeit liegt oder meiner Größe, kann ich nicht sagen. Für Große passt diese BMW auf jeden Fall sehr gut: Mit meinen 197 cm empfinde ich es als Segen, auch auf langen Etappen die Beine schmerzfrei unter den Tank zu bekommen. Überhaupt war die Ergonomie sehr gut: Einen Tag im Schwarzwald, mit anschließend 300 km Autobahnfahrt, das war alles bequem zu absolvieren. Im Touring-Teil kann die RS wirklich punkten.

Die Geometrie hat BMW im Vergleich zur unverkleideten R etwas verändert, der Nachlauf wurde kleiner. Dennoch merkt man dem Motorrad in schnellen Wechselkurven noch seine Kopflastigkeit an. So richtig viel Sport ist da nicht im Tourer. Auch die Fußrasten setzen für meinen Geschmack etwas früh auf, ich bin da schreckhafter als die meisten Anderen. Nur die Brembo-Bremse verzögert tatsächlich „Sport“-würdig.

Insgesamt passt die 1200 RS sehr gut in den Anforderungsbereich zwischen R 1200 R und R 1200 RT, und die Nähe zur Nackten tut dem Spaß gut. Wer einen Sporttourer wie die Kawasaki ZZR oder die Honda VFR erwartet, wird wahrscheinlich enttäuscht sein. Die BMW ist vielmehr ein Sporttourer, wie die Yamaha Fazer einer ist: ein Naked Bike mit Halbverkleidung. Wer so etwas sucht, findet hier die bayrische Bigbike-Variante mit Boxermotor und Werkszubehör, das es nirgendwo sonst gibt. Interessierten Tourenfahrern ohne Boxermotorzwang möchte ich allerdings als Underdog-Alternative die BMW F 800 GT ans Herz legen für eine Probefahrt: die ist etwas günstiger und macht in den Alpen dennoch eine praktisch genauso gute Figur.

[Update:] Den Tankinhalt gab der Text fälschlicherweise mit 22 Litern an. Die R 1200 RS hat jedoch einen 18-Liter-Tank, wie er im Datenblatt steht. Auf Bitte eines Leser haben wir zudem die Verbrauchspassage umgestellt, damit sie schwerer misszuverstehen wird.