Test: Kia e-Niro mit 64-kWh-Batterie

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Für das langsame Laden an Wechselstrompunkten wie etwa der heimischen Wallbox ist der Kia e-Niro einphasig ausgelegt. Hier schafft er wegen der Schieflastverordnung nur rund 4,8 kW. Die Nacht muss also ziemlich lang sein, damit eine völlig leere Batterie ganz gefüllt ist. Aber einen so reichlich dimensionierten elektrochemischen Speicher fährt man selten bis zur Neige, und das penetrante Vollladen auf 100 Prozent ist auch kaum nötig – beides schadet ohnehin der Dauerhaltbarkeit der Batterie. Wie von Elektroautos aus dem Hyundai-Kia-Konzern gewohnt fährt der Kia e-Niro mit niedrigen Verbrauchswerten sehr weit.

No sports, bitte!

Die Verarbeitungsqualität und die Haptik der Materialien sind erstklassig - kein Vergleich zum Opel Ampera-e. Es gibt kluge Lösungen wie die 220 Volt-Steckdose in der hinteren Mittelkonsole (nur im „Spirit“, dort serienmäßig), und das Gleiten mit per Lenkradwippe auf Null gestellter Rekuperation ist einfach schön. Dazu kommen Assistenzsysteme wie der adaptive Tempomat, die auf höchstem Niveau funktionieren.

Das heißt nicht, dass der Kia e-Niro perfekt wäre. So sind die 150 kW Leistung des Elektromotors nur eingeschränkt nutzbar – der e-Niro hat deutliche Traktionsschwierigkeiten. Darüber hinaus leidet das komfortable Fahrwerk stark unter dem Übergewicht des e-Niro: 1812 bis 1866 kg stehen im Fahrzeugschein. Davon entfallen laut Kia 453 kg auf die Batterie. In jeder Kurve, die nicht im betonten Cruisingmodus angegangen wird, wankt und rollt der e-Niro. Die unglückliche Lenkungsabstimmung kann dieses Manko nicht ausgleichen. No sports, bitte!

Das Übel beim Niro liegt gewissermaßen darin, dass er zwar von vornherein für den batterieelektrischen Antrieb, aber auch für den Benzinhybrid sowie den Plug-in-Hybrid konzipiert wurde: Unter der Motorhaube des e-Niro wurde Platz verschenkt. Der Beinraum für die Hinterbänkler ist dennoch klar größer als im Hyundai Kona EV, aber der Kofferraum wirkt für einen Pkw dieses Segments eher beschränkt. Kia gibt 451 Liter Volumen an – wenn man das schwer nutzbare Ablagefach im Gepäckraumboden dazu zählt. Die Batterie ragt einige Zentimeter nach unten aus dem Fahrzeug heraus, was den Eindruck verstärkt, dass Kompromisse eingegangen wurden. Ein weiterer Kritikpunkt ist der hohe Materialeinsatz, der sich im überreichlichen Leergewicht spiegelt. Batterieelektrische Autos haben die höchste Energie-, aber nicht die automatisch die beste Ressourceneffizienz.

Warten – oder Alternativen prüfen

Dennoch bleibt als Fazit, dass der Kia e-Niro eins der besten batterieelektrischen Autos ist. Qualität, Komfort und Praxistauglichkeit sind seine Pluspunkte. Angesichts der Lieferzeit stellt sich also die Frage, was Neugierige tun sollen. Sie können bestellen und warten. Oder auf die Konkurrenz blicken: Ein ähnliches Geduldsspiel gibt es beim VW ID.3, der „im Frühsommer“ 2020 ausgeliefert wird. Der ID.3 verspricht bei gleicher Außengröße allerdings mehr Platz, weil er konsequent fürs elektrische Fahren gebaut wurde, und wahrscheinlich passt die Wahl zwischen Heck- und Allradantrieb beim ID.3 besser zur hohen Motorleistung der Elektroautos als der Frontantrieb im Kia. Eine weitere Alternative ist der Nissan Leaf 62 kWh, der in diesen Wochen erstmals auf die Straßen rollt. Und natürlich das Tesla Model 3 als „Standard Plus“ (ab 44.500 Euro), das in kurzer Zeit lieferbar ist.

Kia hat den Testwagen kostenlos zu Verfügung gestellt und überführt. Der Autor hat die Stromkosten getragen. (mfz)