Ab in den Untergrund

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Dieser Treibhauseffekt hat in der Vergangenheit bereits Wirkung gezeigt. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist die CO2- Konzentration in der Atmosphäre stetig gestiegen, auf jüngste Rekordwerte von 379 Kohlendioxid-Partikeln pro Million Luftteilchen. Parallel dazu hat sich die globale Durchschnittstemperatur um 0,7 Grad erhöht. Stimmen die Prognosen der Internationalen Energieagentur, wonach die weltweite Energienachfrage und mithin auch die vom Menschen verursachten CO2-Emissionen bis 2020 um mindestens fünfzig Prozent wachsen werden, könnte die Fieberkurve der Erde künftig noch rascher nach oben schnellen; bis zum Ende des Jahrhunderts sagen Modellrechnungen des IPCC eine Temperatursteigerung von maximal 5,8 Grad vorher.

Um zu verhindern, dass das Wetter Kapriolen schlägt und die Erde immer häufiger von Hitzewellen, Wirbelstürmen oder monsunartigen Regenfällen heimgesucht wird, darf die globale Erwärmung nach Ansicht der IPCC-Mitglieder jedoch zwei Grad nicht überschreiten. Ein Grenzwert, der wahrscheinlich nur mit drastischen Emissionsbeschränkungen für CO2 einzuhalten ist; wesentlich drastischeren Beschränkungen als etwa im Kyoto-Protokoll festgelegt. Kämen die Unterzeichner ihren Reduktionsverpflichtungen darin nach, würde das den Temperaturanstieg bestenfalls um ein Zehntel Grad abschwächen. Expertengremien wie die Enquete-Kommission und der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen (WBGU) fordern deshalb, die weltweiten CO2-Emissionen bis zur Jahrhundertmitte um ein Drittel zu reduzieren, die der Industrieländer sogar um 80 Prozent.

"Angesichts solcher Vorgaben haben wir keine andere Wahl, als jede Sparoption auszuschöpfen", sagt Hartmut Graßl, Direktor am Max-Planck-Institut für Meteorologie und Vorsitzender des WBGU. Das heißt für ihn zunächst vor allem, die Effizienz der bestehenden Kohle- und Gas-Kraftwerke zu steigern und den Umstieg auf erneuerbare Energien voranzutreiben. "Auf europäischer Ebene können wir damit sehr weit kommen", vermutet der Meteorologieprofessor. Der Anteil von Sonne, Wind und Wasserkraft am weltweiten Energiemix wird allerdings nur langsam wachsen. Im Business-as-usual- Szenario der IEA liegt er 2030 erst bei sechs Prozent; nicht zuletzt, weil Schwellenländer wie China und Indien über riesige Kohlevorräte verfügen und den Abbau der Rohstoffe massiv fördern, um ihren Wirtschaftsaufschwung zu beschleunigen. Bleibt die Sequestrierung. Beim Aufbau eines klimafreundlichen Energiesystems sei sie "der Joker, den man in der Hinterhand haben muss, um zu gewinnen", sagt Graßl. In seinem jüngsten "Fahrplan für eine Energiewende zur Nachhaltigkeit" geht der WBGU davon aus, dass in den kommenden hundert Jahren bis zu 1000 Milliarden Tonnen CO2 in der Erdkruste gespeichert werden. VORAUSGESETZT, DIE WEGSPERRTECHNIK funktioniert. Bislang ist der gesamte Sequestrierprozess noch ziemlich unausgereift. Schwierigkeiten bereitet schon das Einfangen des unsichtbaren und geruchlosen Gases am Entstehungsort.

Im Moment konzentriert man sich dabei hauptsächlich auf Kohle- und Gaskraftwerke, die neben Raffinerien, Stahlwerken oder Zementfabriken zu den größten CO2-Schleudern der Gewerbeszene zählen; immerhin mehr als die Hälfte aller industriellen Treibhausgas-Emissionen gehen auf ihr Konto. Drei grundsätzlich verschiedene Abfangtricks haben Ingenieure für diese Großverschmutzer entwickelt: Am besten erprobt sind Verfahren, bei denen das Kohlendioxid nach der Verbrennung von Erdgas oder Kohle aus dem Rauch herausgefischt wird. Das Prinzip solcher CO2-Wäschen ähnelt der Entschwefelung: Ein chemisches Reinigungsmittel, zumeist ein Amin, wird von oben in das Rauchgas geschüttet. Die Kohlendioxid-Moleküle verbinden sich mit der Waschsubstanz, sinken nach unten, während das übrige Abgas aufwärts steigt und abzieht.

In der chemischen Industrie sind Amin-Wäschen längst Standard, etwa in Düngemittelfabriken, die das abgetrennte CO2 an Kunststoffhersteller oder Getränkefabriken weiterverkaufen. In Kraftwerken müssten jedoch erheblich größere Abgas- Mengen von CO2 gereinigt werden, was den Energieverbrauch stark in die Höhe treiben würde. "Für erdgas-befeuerte Anlagen gibt es derartige Waschsysteme inzwischen, aber die kauft niemand, weil sie viel zu teuer sind", sagt Johannes Ewers, Leiter der Abteilung Neue Technologien von RWE Power in Essen. Wesentlich bequemer lässt sich das Kohlendioxid abfangen, wenn man das Brennmaterial im Kraftwerk nicht, wie üblich, mit Luft, sondern mit reinem Sauerstoff verfeuert. Das Abgas besteht dann überwiegend aus zwei Komponenten - CO2 und Wasserdampf –, die durch Kühlen trennbar sind: Der Dampf kondensiert zu Wasser, das Kohlendioxid bleibt übrig. Der Haken an diesem "Oxyfuel-Verfahren": Üblicherweise gewinnt man reinen Sauerstoff, indem man ihn bei minus 200 Grad aus flüssiger Luft abdestilliert, ein Prozess, der ebenfalls sehr energieaufwendig ist. "Eine sparsamere Alternative könnten Trennmembranen darstellen", sagt Ewers. Chemiker forschen zurzeit an Folien aus bestimmten Oxiden, die nur für Sauerstoff-Ionen durchlässig sind und sich folglich als Luftfilter anbieten. Bisher hätten die hauchdünnen Trennwände ihre Filterqualität aber erst im Labormaßstab bewiesen, räumt Ewers ein.

WIE DIE MEHRZAHL SEINER KOLLEGEN in Energieunternehmen setzt der Ingenieur daher auf die dritte Abfangvariante. Bei dieser Methode wird das CO2 noch vor dem Verfeuern aus dem Brenngas geholt. Der Vorteil: Das Brenngas ist in der Regel komprimiert, sein Volumen klein und seine Kohlendioxid- Konzentration hoch, sodass es relativ einfach ist, das Treibhausgas abzutrennen (siehe Grafik Seite 42). Weil das natürlich nur bei gasförmigem Brennmaterial funktioniert, erfordert die frühe Reinigung in Kohlekraftwerken einen zusätzlichen Arbeitsschritt: Die festen Kohlebrocken müssen vor der Feuerung in ein Synthesegas umgewandelt werden - keine ganz neue Technik.

Kraftwerke mit integrierter Kohlevergasung (IGCC) hielten bereits in den achtziger Jahren Einzug in die Energielandschaft, allerdings ohne sich dauerhaft auf dem Markt durch- zusetzen. Zu geringe Zuverlässigkeit bei zu hohen Investitionskosten, befanden die Anlagenbetreiber damals. Jetzt könnte die Sequestrierung dem verschmähten Kraftwerksmodell zu neuer Beliebtheit verhelfen. Denn in einer IGCC-Anlage lässt sich das CO2 nicht nur besonders leicht einfangen. Das Kraftwerk bleibt trotz des Abfangsystems auch vergleichsweise effizient. Weil man in einem IGCC Gasturbinen und Dampfturbinen hintereinander schalten kann, ist sein Wirkungsgrad nämlich um einiges höher als bei konventionellen Kohlekraftwerken, die allein mit Dampfturbinen arbeiten. "Das gleicht die Energieeinbußen beim Abtrennen des Kohlendioxids größtenteils aus", erläutert Ewers. Im Rahmen des Cooretec-Programms, einer Forschungsinitiative des Bundeswirtschaftsministeriums, entwickelt RWE gemeinsam mit Vattenfall und anderen Energiekonzernen Entwürfe für eine neue, verbesserte Generation von IGCCKraftwerken. Spätestens in zehn Jahren wollen die europäischen Unternehmen die erste Demonstrationsanlage mit CO2-Fänger fertig gestellt haben.

Ihre Konkurrenz in Übersee hegt derweil noch ehrgeizigere Pläne. Das amerikanische Energieministerium hat vergangenen Sommer eine Milliarde Dollar ausgelobt, um "FutureGen" zu bauen, den Prototyp einer IGCC-Anlage mit CO2-Abspaltung, die nicht bloß zur Stromerzeugung taugt. Aus dem Synthesegas der Kohle sollen obendrein maßgeschneiderte Treibstoffe für Autos und reiner Wasserstoff für Brennstoffzellen hergestellt werden. "CO2-freie Wasserstoffwirtschaft" heißt die Überschrift, unter der das Projekt läuft. Den neuen IGCC-Typ gleich als "eierlegende Wollmilchsau" zu konzipieren, sei eigentlich "erst der übernächste Schritt", kommentiert Georg Rosenbauer von Siemens Power Generation in Erlangen das US-Vorhaben. Aber es lohne sich, beizeiten über weiterführende Anwendungen der Abtrenntechnik nachzudenken. Siemens arbeitet intensiv an speziellen Gasturbinen für die geplanten CO2-gereinigten Kraftwerke. "Je schneller die Kohlendioxid-Abtrennung großtechnisch einsatzbereit ist, desto besser", sagt Rosenbauer.

DENN DEM KRAFTWERKSPARK in Europa steht eine Generalüberholung bevor. Als Ersatz für alte Anlagen müssen in den kommenden 15 bis 20 Jahren EU-weit ungefähr 200 000 Megawatt elektrischer Leistung neu installiert werden. In Deutschland, wo der Atomausstieg zusätzliche Versorgungslücken reißt, entspricht der Zubaubedarf ungefähr 40 Groß- kraftwerken. "Wenn wir da nicht die Sequestrierung mit berücksichtigen, verpassen wir eine einmalige Gelegenheit", bestätigt Manfred Fischedick vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie. Herkömmliche Anlagen später nachzurüsten, sei möglich, aber kostspielig und deshalb "eher eine Notlösung".