Ab in den Untergrund

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Zumal es den Transportaufwand verringern würde, die Sequestrierung schon bei der Standortwahl mitzubedenken und Kraftwerke mit CO2-Fänger gleich in die Nähe eines geeigneten Speichers zu stellen. Lassen sich weite Reisewege nicht vermeiden, soll das Kohlendioxid nach Vorstellung der Energiekonzerne künftig in riesigen Schiffen um die Welt geschippert werden, ähnlich den Tankern für flüssiges Erdgas. Für kürzere Entfernungen genügen Pipelines, die das CO2 - bei 100 bar Druck zur Flüssigkeit komprimiert - direkt zu seinem Lagerort verfrachten.

ALS KERKER FÜR DEN KLIMAKILLER kommen dabei ganz unterschiedliche Speicherarten in Frage. Seit vier Jahren strömen beispielsweise täglich rund 5000 Tonnen CO2 durch Rohrleitungen von einer Fabrik für synthetische Treibstoffe im Norden der USA nach Kanada, zu einem nahezu ausgebeuteten Ölfeld namens Weyburn. Dort lässt die kanadische Ölgesellschaft EnCana das Gas in stillgelegten Bohrlöchern verschwinden – mit einem willkommenen Nebeneffekt: Das in den Untergrund gepumpte Kohlendioxid vermischt sich mit den Ölresten in der Lagerstätte, vergrößert das Volumen der Rohöls und erhöht so den Förderdruck. Ein Teil des Gases gelangt später mit dem Öl wieder nach oben, doch bis zur endgültigen Aufgabe des Feldes in zwanzig Jahren will EnCana netto etwa 19 Millionen Tonnen CO2 im Boden versenken und zugleich rund 130 Millionen zusätzliche Barrel Öl aus dem Reservoir herausquetschen.

"Diese Version des Sequestrierens rechnet sich schon sehr gut für die Konzerne", sagt Julio Friedmann, Leiter eines CO2- Versuchs, der demnächst auf einem Ölfeld in Wyoming starten soll. Ähnlich lukrativ könnte es sein, das Gas in halb leere Erdgaslager zu injizieren. Oder in tief liegende Kohleflöze, wie zurzeit in Polen getestet. Die Kohleschichten enthalten nämlich als Beiprodukt oft große Mengen Methan, das beim Einpressen des Kohlendioxids verdrängt wird. 150 Meter von der CO2- Injektionsstelle entfernt haben die Mitarbeiter des Recopol-Projekts deshalb auf ihrem Versuchsgelände ein zweites Loch in den Boden gebohrt, wo sie das ankommende Brenngas auffangen wollen – mindestens einige tausend Kubikmeter pro Tag, schätzen sie. Um den drohenden Klimaumschwung abzuwenden, reicht die Aufnahmekapazität der Öl-, Gas und Kohlereservoire allerdings kaum aus. Wollte man in ihnen das gesamte von Menschen produzierte CO2 einlagern, wären die Speicher spätestens nach 30 Jahren voll, so die Analysen der Internationalen Energieagentur.

Weit mehr Stauraum bieten so genannte salinare Aquifere, ausgedehnte, salzwasserhaltige Sandsteinschichten, die das CO2 gleich einem Schwamm in ihren Poren aufsaugen. In ein solches Gesteinsbecken auf dem Sleipner-Gasfeld zwischen Norwegen und Schottland, tausend Meter tief unter dem Nordseegrund, pumpt der norwegische Ölkonzern Statoil seit 1996 Kohlendioxid, das bei der Erdgasförderung mit aus dem Boden quillt. Wie Messungen des Unternehmens ergaben, könnte allein das geräumige Sleipner-Reservoir gut hundert Jahre lang die CO2-Emissionen sämtlicher europäischer Kraftwerke aufnehmen (siehe Tabelle Seite 40). Der Speicherplatz aller salinaren Aquifere auf der Erde reicht vermutlich noch um ein Vielfaches länger.

ZUMINDEST, WENN SICH DIE HOCHRECHNUNGEN der internationalen Energieinstitute als richtig erweisen. "All diese Zahlen sind vorläufig noch sehr unsicher", gibt Franz May von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover zu bedenken. Die systematische Diskussion über die Speichermöglichkeiten habe gerade erst begonnen - ein flächendeckendes Verzeichnis aller brauchbaren Depots könne noch gar nicht existieren. "Momentan ist ja nicht einmal die Rechtslage geklärt."

Wer darf den "Gas-Müll" wo hinpacken? Fällt die Lagerung unter das Abfallgesetz? Oder unter das Berggesetz wie bei Erdgas? Wer haftet für die Sicherheit der Speicher? Und wie lange sollen sie überdauern? Jahrzehnte? Jahrhunderte? Oder mindestens bis zur nächsten Eiszeit?

Unter der Leitung des Geoforschungszentrums Potsdam wurde vor vier Monaten "CO2Sink" gestartet, das erste groß angelegte Experiment zur Lagerung von CO2 auf deutschem Boden. In Ketzin, einer Kleinstadt westlich von Berlin, wollen die Wissenschaftler Kohlendioxid in ein salzwasserhaltiges Aquifer unterhalb eines ehemaligen Erdgasspeichers pumpen. "Im Verlauf dieses Projekts muss man sämtliche offenen Rechtsfragen einmal bis ins Detail durchspielen", sagt May. Hinterher sei der nationale Gesetzesrahmen vielleicht so weit abgesteckt, dass der Lagerung "in bestimmten Gesteinsformationen nichts mehr entgegensteht", hofft er.