Ab in den Untergrund

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Für ein anderes Modell der CO2-Entsorgung könnten genaue juristische Gutachten indes das endgültige Aus bedeuten: Die Ozeane sind mit Abstand die größten natürlichen Kohlendioxid- Reservoire der Erde. Und ihr Aufnahmevermögen ist noch längst nicht erschöpft. Länder wie Japan, die über wenig geologischen Speicherplatz verfügen, würden sich das gern zunutze machen und ihre CO2-Abgase direkt ins Meer einleiten, entweder hinunter bis auf den Grund, wo das flüssige Kohlendioxid unter dem hohen Wasserdruck zu einer Art See zusammengeballt liegen bliebe. Oder nur bis in mittlere Wasserschichten, in denen sich das Gas vollständig lösen würde. Gelöstes CO2 bildet jedoch Kohlensäure und senkt den pH-Wert des Wassers. Da die CO2-Konzentration der Atmosphäre in den letzten Jahrzehnten zugenommen hat, sind die Ozeane an ihren luftdurchmischten Oberflächen schon heute leicht übersäuert – was wiederum den Stoffwechsel mancher Meeresbewohner beeinträchtigt. Bei steigendem Säuregrad nimmt zum Beispiel die Wachstumsrate von Miesmuscheln merklich ab, wie Biologen des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung vor kurzem herausfanden.

Naturschützer wollen deshalb verhindern, dass weiteres CO2 im Wasser versenkt wird. Sie berufen sich auf die London Convention von 1972, die das Verklappen von Industrieabfällen im Ozean verbietet. Noch ist unklar, ob Kohlendioxid tatsächlich als "Abfall" einzustufen ist. Doch wegen des heftigen Protests der Umweltorganisationen mussten bereits mehrere Sequestrierexperimente im Meer abgeblasen werden. Lediglich einige Versuche, pflanzenarme Meeresregionen großflächig mit Algen "aufzuforsten" und damit die CO2-Aufnahmekapazität der Gewässer zu steigern, konnten wie geplant stattfinden (siehe Kasten Seite 41). "Wir kennen die Tiefsee längst nicht gut genug, um in das Leben dort dermaßen stark einzugreifen", begründet die Greenpeace-Mitarbeiterin Gabriela von Goerne den Widerstand der Öko-Aktivisten.

EINE HALTUNG, DIE NICHT ALLEIN das Verklappen im Meer betrifft. Grundsätzlich fürchten Greenpeace, der WWF und andere Umweltgruppen, dass zu viele Fördermittel in die Sequestrierung fließen, die dann beim Ausbau der erneuerbaren Energien fehlen. Dabei, so argumentieren sie, verschlinge die gesamte Speicher- Prozedur auch noch zusätzliche Energie. Statt Treibhausgas zu vermeiden, erzeuge man also mehr und verbuddele es für kommende Generationen - womöglich mit gefährlichen Folgen. Kohlendioxid ist zwar nicht giftig, aber schwerer als Luft, kann sich am Boden sammeln und alles Lebendige ersticken. Bei einer plötzlichen CO2-Eruption an einem Vulkansee in Kamerun beispielsweise kamen 1986 mehr als 1500 Menschen ums Leben. Die Sicherheit der Lagerstätten sei bisher deutlich zu wenig erforscht, warnt Gabriela von Goerne. "Stellt man die Weichenbfürs Sequestrieren, ohne über die potenziellen Risiken Bescheid zu wissen, beschert uns die Technologie vielleicht ein zweites Atommüllproblem."

Den Vergleich mit Nuklearabfällen halten Geologen wie Franz May für "absolut überzogen". "Bei sämtlichen Speicherarten, die wir im Augenblick ernsthaft in Betracht ziehen, ist das CO2 so im Gestein verankert, dass es kaum schlagartig in tödlichen Dosen austreten kann", wendet er ein. Ehemalige natürliche Erdgas- und Ölreservoire hätten überdies jahrtausendelang bewiesen, dass sie dichthalten.

Gleichwohl stimmen die Befürworter den Gegnern der Sequestrierung zu, dass die Zuverlässigkeit der verschiedenen Lagerarten in zukünftigen Experimenten noch besser ausgetestet werden muss. Auf dem norwegischen Sleipner-Feld etwa haben Geologen anhand regelmäßiger seismischer Messungen beobachtet, wie das verpresste CO2 langsam nach oben stieg, um schließlich unter der Deckschicht seines Steingefängnisses hängen zu bleiben. Vergleichbare Kontrollen sollen auch das polnische Recopol-Experiment und die Versuche in Ketzin begleiten. "Wenn wir wollen, dass die Technologie auf breite Akzeptanz stößt, müssen wir mit der Zeit ein vertrauenswürdiges, standardisiertes Überwachungssystem aufbauen", sagt May. Gleichzeitig gilt es, wirtschaftliche Anreize zum CO2-Sparen zu schaffen. Sequestrieren ist teuer: Einfang, Transport und Lagerung von einer Tonne Kohlendioxid addieren sich derzeit, je nach Fangmethode und Speicherart, zu Beträgen zwischen 40 und 85 Euro, wobei das Abtrennen am Kraftwerk ungefähr drei Viertel der Gesamtsumme ausmacht. Indem sie weiter an der Abtrenntechnik feilen, wollen Anlagenbauer die Gesamtkosten langfristig auf 20 bis 30 Euro drücken. Zum Vergleich: Die CO2-Vermeidungskosten für Windkraft liegen momentan mit 40 bis 70 Euro je Tonne in derselben Größenordnung, die für Solarenergie noch eine ganze Zehnerpotenz höher.

DOCH SELBST WENN DER PREIS WEITER SINKT - "warum sollte jemand sein Abgas mühsam in den Boden pumpen, solange es überhaupt nichts kostet, das CO2 in die Luft zu pusten?", gibt Ottmar Edenhofer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung zu bedenken. Der Ökonom plädiert dafür, gezielte politische Lenkmechanismen einzuführen.

Das könnten zum einen Steuern sein. Norwegen zum Beispiel verlangt eine Abgabe für Kohlendioxid, das bei der Erdgasförderung freigesetzt wird - einer der Hauptgründe, weshalb Statoil sich entschlossen hat, das Treibhausgas im Sandstein unter der Nordsee zu versenken. Pro verpresster Tonne CO2 vermeidet das Unternehmen 40 Dollar Steuern. Sechs Millionen Tonnen hat es nach eigenen Angaben bislang in den Boden injiziert; insgesamt also 240 Millionen Dollar gespart, bei Investitionskosten von gerade mal 80 Millionen Dollar für das Sequestriersystem.

Aus Angst vor Nachteilen im globalen Wettbewerb wehren sich die meisten Energiekonzerne jedoch gegen eine nationale Steuer. Eher akzeptieren sie den länderübergreifenden Handel mit CO2-Zertifikaten, wie er 2005 in der Europäischen Union beginnen soll (siehe nebenstehenden Kasten). Für Edenhofer gleichfalls ein "viel versprechendes Steuerinstrument". "Bei den strengen Emissionsbeschränkungen, die ein ambitionierter Klimaschutz fordert, stehen die Chancen nicht schlecht, dass der Handel mit den Verschmutzungsrechten das Speichern irgendwann wirtschaftlich macht", prognostiziert er.

DANN KÖNNTE DIE SEQUESTRIERUNG die Palette aller Kampfmaßnahmen gegen das Klimagas sinnvoll ergänzen. Und dann wird sie auch zum Einsatz kommen. Darin herrscht unter vielen Energieexperten aus Wirtschaft und Wissenschaft Einigkeit. Weitgehend einig ist man sich allerdings ebenso, dass die Technologie nur der Überbrückung dienen kann. Nach zwei bis drei Kraftwerksgenerationen muss sie abgelöst werden, schon weil gut zugängliche, sichere Lagerplätze sonst voraussichtlich knapp werden. "Das Sequestrieren ist gewiss keine Dauerlösung", resümiert der Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber. "Aber es eignet sich perfekt, um Zeit zu kaufen." Zeit, die man braucht, um die weltweite Strom- und Wärmeproduktion allmählich fast vollständig auf erneuerbare Energien umzustellen.

Ein Projekt auf dem Weg in diese CO2-freie Energiezukunft wird vielleicht sogar die Kritiker der Sequestrierung ein bisschen mit der Speichertechnik versöhnen: In unmittelbarer Nähe des geplanten Kohlendioxid-Depots in Ketzin soll eine Vergasungsanlage für Pflanzenabfälle gebaut und an das Reservoir angeschlossen werden. Ein solches Biomasse-Kraftwerk hat schon im Normalfall eine ausgeglichene CO2-Bilanz. Es stößt nur so viel Kohlendioxid aus, wie die Pflanzen zu Lebzeiten aufgenommen haben. Fängt man dieses Abgas nun noch im Speicher auf, wird das Kraftwerk gewissermaßen zum Klimaschützer: Statt Treibhausgas abzugeben, fischt es CO2 aus der Luft -– und entlastet die Atmosphäre.

Entnommen aus Technology Review 09/04; Das Heft können sie hier versandkostenfrei bestellen (sma)