Ab in den Untergrund

Die so genannte CO2-Sequestrierung könnte sich als Technologie erweisen, mit der sich zumindest Zeit im Kampf gegen den Klimawandel kaufen lässt. Doch manche fürchten ein neues Atommüll-Problem

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Lesezeit: 24 Min.
Von
  • Astrid Dähn
Inhaltsverzeichnis

Das Versuchsfeld liegt mitten im Revier. Eine kleine Wiese zwischen Steinbrüchen, Wäldern und hoch aufragenden Fördertürmen - die Hügellandschaft südlich von Kattowitz gehört zu den größten Kohlereservoiren Europas. Wer hier das Erdreich aufgräbt, hat gewöhnlich nur ein Ziel: dem Boden seine Schätze zu entreißen. Seit kurzem jedoch testet ein internationales Forscherteam auf dem rohstoffreichen Grund genau das Gegenteil. Hinter hohen Maschendrahtzäunen haben die Wissenschaftler zwei Flüssiggastanks aufgestellt. Die tonnenförmigen Behälter sind über Rohrleitungen mit einer Pumpstation am Rande eines Bohrlochs verbunden. Neben der Bohrstelle blinkt ein großes gelbes Warnschild in der Sonne: "Rauchen strengstens verboten". Mehrere Gas-Sensoren überwachen die Öffnung rund um die Uhr.

Denn anstatt Kohle aus der Tiefe nach oben zu befördern, wollen die Forscher durch den Bohrkanal in den kommenden Monaten mehr als 40 Tonnen Kohlendioxid in den Untergrund pressen, etwa 1200 Meter tief, bis zu einer Steinkohleschicht, in deren feinen Poren sich das Gas festsetzen soll. Das Flöz sei schwer abbaubar und mit einer dicken, gasundurchlässigen Lage aus Ton bedeckt, erläutert der Koordinator des "Recopol" genannten Projekts, Pawel Krzystolik. "Es eignet sich daher bestens als Kohlendioxid-Grab."

Noch stammt das CO2 in den beiden Tanks auf der Wiese aus einer französischen Düngemittelfabrik und musste eigens für das Experiment nach Polen gekarrt werden. Für die Zukunft schwebt Krzystolik jedoch ein anderes Szenario vor: "Wenn sich die Speichermethode bewährt, könnte man das CO2 aus allen Kraftwerken der Region abfangen und im Boden verschwinden lassen", sagt der Bergbauingenieur. "Dann wären wir die Sorge um das Treibhausgas mit einem Schlag weitgehend los."

EIN TRAUM VON DER SAUBEREN ENERGIEPRODUKTION, den man nicht nur in Polen träumt. Auf der ganzen Welt laufen zurzeit umfangreiche Experimente zur "Sequestrierung", wie die neue Form der Schutzhaft für Kohlendioxid im Fachjargon heißt. Allein die US-Regierung investiert inzwischen jährlich knapp 50 Millionen Dollar, um mögliche Speicherkonzepte für CO2 zu erproben - von der Lagerung in unterirdischen Gesteinsschichten bis zum Versenken im Meer. Die EU-Kommission, die unter anderem Recopol mitfinanziert, hat gerade erst mehr als 30 Millionen Euro für fünf neue Sequestrierprojekte freigegeben. Und auch das Engagement der Industrie ist groß. Nahezu alle namhaften Energieanbieter und Ölkonzerne beteiligen sich an Versuchen zur Kohlendioxidlagerung. Schon wirbt die Kohlebranche mit dem "CO2-freien Kraftwerk", von einer "Sonnenenergie, die auch bei Regen funktioniert", ist die Rede. "So wie wir heute unseren Müll ganz selbstverständlich auf Deponien sichern, werden wir eines Tages die CO2-Abgase routinemäßig in Speichern unschädlich machen", fasst Howard Herzog, Kohlenstoff-Forscher am Massachusetts Institute of Technology, das Bild seiner Zunft von einer künftigen CO2-Wirtschaft zusammen.

Und selbst Klimaexperten wie Hans Joachim Schellnhuber, die gewiss nicht im Verdacht stehen, Lobbyarbeit für Kohle oder Erdöl zu betreiben, hoffen auf die Lagertechnik. Der Direktor des britischen Tyndall Centre gehört zu den Leitern des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), einem weltumspannenden Wissenschaftlerverbund, der neueste Daten aus der Klimaforschung bewertet und in regelmäßigen Berichten zusammenfasst. Anfang nächsten Jahres will das IPCC einen Sonderreport zur Sequestrierung veröffentlichen. Schellnhubers Vorab-Resümee: "Wenn wir die Erderwärmung tatsächlich stoppen möchten, werden wir ohne das Speichern nicht auskommen."

DEN KLIMAKILLER ALSO einfach fangen und wegschließen – die Idee klingt bestechend. Aber lässt sie sich auch umsetzen? Laut Statistik der Internationalen Energieagentur (IEA) produziert die Menschheit jährlich gut 24 Milliarden Tonnen CO2. Soll man derart große Abgasmengen wirklich in die Erde pumpen? Wird da nicht ein gigantisches Geoexperiment in Gang gesetzt, das am Ende womöglich zusätzliche Umweltprobleme schafft oder lediglich als Imagepolitur dient, um den angeschlagenen ökologischen Ruf der fossilen Brennstoffe aufzubessern? Lohnt sich der Aufwand überhaupt?

Die Klimafakten sprechen dafür. Kohlendioxid spielt der gängigen wissenschaftlichen Lehrmeinung zufolge eine entscheidende Rolle beim Wandel des irdischen Klimasystems. Dabei ist das Gas eigentlich kein Umweltzerstörer. Im Gegenteil. Die Natur ist auf den ungiftigen Luftbestandteil angewiesen, ohne ihn gäbe es auf unserem Planeten keinerlei Grün. Denn Pflanzen benötigen CO2 für ihren Stoffwechsel. Bei der Photosynthese wandeln sie den Kohlenstoff der dreiatomigen Verbindung in neue Zellbausteine um, während sie die beiden Sauerstoff-Teilchen freisetzen. Mit zunehmendem Kohlendioxid-Gehalt in der Erdatmosphäre beschleunigt sich allerdings nicht nur das Wachstum der Vegetation. Die Gas-Moleküle fungieren auch als Wärmespeicher: Sie schlucken vom Erdboden reflektierte Sonnenstrahlung und heizen so die Lufthülle auf.