Abgas-Skandal: Vor fünf Jahren bekam VW einen brisanten Brief

Seite 2: Zweiklassen-Entschädigung USA/Europa

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Zum wachsenden Misstrauen kam ein als unwürdig empfundener Umgang mit den Kunden. Das Image des "sauberen Diesels", wie der Selbstzünder in den Vereinigten Staaten beworben wurde, war dahin. Während Volkswagen US-Verbraucher auf Druck der Justiz bald entschädigte und dort auch strafrechtlich gegen Verantwortliche vorgegangen wurde, dauerte das in Europa sehr lange. Und Hunderttausende Beschäftigte des inzwischen global umsatzstärksten Autokonzerns zeigten sich tief verunsichert.

Heute mögen Viele im Unternehmen davon am liebsten nichts mehr hören. Die Lektion wurde gelernt, heißt es. Etliche sind genervt davon, das Thema – bei aller mutmaßlichen Verantwortung einer eingegrenzten Gruppe – immer wieder vorgesetzt zu bekommen. Die finanziellen Folgen halten indes auch fünf Jahre nach dem Auffliegen von "Dieselgate" an: Rund 32 Milliarden Euro an Rechtskosten hat der Skandal VW und Töchtern wie Audi, Porsche, Seat oder Skoda bisher gekostet.

Ab dem 20. September 2015 geht es Schlag auf Schlag. Die Wolfsburger müssen nach mehreren internen Sitzungen und Rückkoppelungen mit den US-Behörden öffentlich "Manipulationen" an Dieselmotoren einräumen. Kurz darauf tritt der bis dato ebenso geachtete wie gefürchtete Chef Martin Winterkorn – qualitätsversessener "Mr. Volkswagen" – zurück. In seiner Abschiedserklärung ist er sichtlich angegriffen, übernimmt die Verantwortung, ist sich aber "keines Fehlverhaltens bewusst".

Erste größere Summen werden zurückgestellt, auch wichtige Zulieferer beginnen zu bangen. Der Diesel scheint bei weltweit mindestens elf Millionen frisierten Abgassystemen wenigstens außerhalb Europas keine Zukunft zu haben. Rückrufe von Millionen Exemplaren mit älteren Antrieben bei VW, Audi, Skoda und Seat laufen nur schleppend an. Mit minus 1,6 Milliarden Euro steht 2015 für den bislang größten Verlust in der VW-Geschichte, eingebrockt vom Skandal-Motor EA 189.

Inzwischen haben sich die Verkäufe erholt, die Gewinne kehrten zurück – jedenfalls bis zur Corona-Krise. Doch das viele verbrannte Geld hätte Volkswagen gut für den radikalen Umbau gebrauchen können, den sich das Unternehmen auferlegt hat. Elektromobilität, Vernetzung, Automatisierung, Dienstleistungen sind die Schlagworte. Auf allen vier Feldern, die die neue Autowelt bestimmen, kam der Konzern erst recht spät in die Spur. Noch ist der US-Rivale Tesla teilweise meilenweit in Führung.

Dies könnte am Ende die "positive" Seite der Dieselkrise sein: Das schmutzige Erbe der falschen Abgaswerte bereitete letztlich auch den Boden für einen Neubeginn, sagen Branchenkenner. Wie viele Verbrenner lassen sich in Zeiten absetzen, in denen Klimadebatte und potenzielle Milliardenstrafen bei zu hohen Emissionen immer wichtiger werden, in denen weitere Fahrverbote drohen, in denen junge Leute das Auto nicht mehr als Statussymbol sehen? Für das Anpacken vernachlässigter Themen war "Dieselgate" der Beschleuniger – ein Katalysator im Wortsinn.