Arbeiten nicht nur in der Pandemie: Mit Mikrotasks besser in den Flow

Arbeit wird kleinteiliger, unsere Aufmerksamkeitsspanne kürzer. Kleine Aufgaben und neue Technologien können helfen, unsere Arbeit sinnvoll zu strukturieren.

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Lesezeit: 18 Min.
Von
  • Eva Wolfangel
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Das Bild ist zu schön: Die Programmiererin sitzt im Cafe, schlürft gedankenverloren an ihrem Kaffee, lässt nebenbei die Finger über die Tasten fliegen, taucht erst nach drei Stunden wieder auf und geht mit einem seligen Lächeln nach Hause. Feierabend! Richtig was geschafft, und das ganz mühelos. Nur: so läuft es eigentlich nie. Viele kreativ Arbeitende – Forscher, Programmiererinnen, Künstler – träumen vom Flow. Diesem Zustand, in dem man Zeit und Raum vergisst, vertieft in die Arbeit, und irgendwann mit dem befriedigenden Gefühl auftaucht, wirklich was geschafft zu haben.


Dieser Artikel stammt aus Ausgabe 4/2021 von MIT Technology Review (als pdf bestellen).


Doch es gibt kein Patentrezept, ihn zu erreichen. Im Gegenteil: Wir scheinen uns immer weiter von diesem Zustand zu entfernen. Aktuelle Studien zeigen, dass die durchschnittliche Zeitspanne abnimmt, in der wir uns am Stück konzentrieren können – weil wir unterbrochen werden oder uns selbst unterbrechen.

Diese Situation spitzte sich für viele in der Pandemie zusätzlich zu: Im Home Office unterbrechen wir uns nicht mehr nur selbst, sondern auch Kinder, Haustiere, der Postbote oder die Waschmaschine. Allein in den vergangenen 15 Jahren sei die Aufmerksamkeitsspanne von einst 2,5 Minuten auf heute durchschnittlich 47 bis 50 Sekunden gesunken, sagt Gloria Mark, Professorin für Informatik an der University of California. "Wir haben Menschen über viele Jahre an ihrem natürlichen Arbeitsplatz beobachtet und sie wechseln heutzutage nach etwa 50 Sekunden den Task." Sie werden unterbrochen – "und mindestens ebenso oft unterbrechen sie sich selbst".

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In Zukunft könnte uns Technologie und eine bestimmte Technik helfen: "Dafür sind Mikrotasks bestens geeignet", sagt Shamshi Iqbal, Forscherin bei Microsoft Research. Das Interview führt sie morgens um sieben, die einzige unterbrechungsfreie Zeit für sie im Home Office während der Pandemie, denn später "kommen kleine Wesen und unterbrechen mich". Für diese Zeit, wenn sie später neben ihren Kindern im Heimunterricht sitzt und immer mal wieder eine Frage beantworten muss, hat sie sich ihre Arbeit in kleine Happen geteilt, die sie zwischen Unterbrechungen und in ungewollten Pausen erledigen kann – sogenannte Mikrotasks. Das ist auch der Schwerpunkt ihrer Forschung.

Der Begriff kommt eigentlich aus dem Crowdworking, wo beispielsweise über Plattformen wie Amazon Mechanical Turk Menschen auf der ganzen Welt kleine Teile von Aufgaben abarbeiten, die andere für ein größeres Projekt brauchen. Sogenannte Crowdworker können diese häppchenweise erledigen oder auch am Stück. Sie brauchen keinen Überblick über die gesamte Aufgabe.

Lässt sich das nicht auch übertragen auf eine Person? Kann ich mehr erledigen, wenn ich meine eigene Arbeit in Mikrotasks aufteile? Diese Frage hat sich Iqbal vor rund zehn Jahren gestellt – und hat sie nicht mehr losgelassen.

Denn die Informatikerin hatte sich diese mundgerechten Stücke an Arbeit auch schon vor der Pandemie für kleine Pausen gewünscht – sei es, weil der Rechner Zeit braucht, etwas zu berechnen oder wenn sie auf den Beginn einer Besprechung wartet. Schließlich erarbeitete sie zusammen mit Kolleginnen ein Konzept, das seit einigen Jahren in der Szene der Mensch-Maschine-Interaktion populär ist: Mikrotasks nicht für andere, sondern für sich selbst zu entwickeln. "Relativ große Teile unserer täglichen Arbeit lassen sich in kleine Happen teilen", sagt sie. Und wer diese Pausen nutzt, anstatt sie mit Warten oder auf Facebook zu verbringen, erledigt Arbeit und hat am Ende sogar mehr Freizeit. So zumindest die Hoffnung.

Doch in jüngster Zeit bekommt sie immer mehr kritische Nachfragen von Kollegen. "Sollten wir wirklich alle unsere kleinen Pausen mit Arbeit füllen?", fragte beispielsweise ein Kollege nach einem virtuellen Vortrag Iqbals am US-Wellesley College. Braucht das Gehirn nicht auch Pausen? Wie sollen wir so jemals in den Flow kommen?

Viele Wissensarbeiter berichten in der Pandemie von einer bisher ungekannten Art der Erschöpfung und zumindest nach Iqbals Vortrag führen ihn manche auf die aktuelle Arbeitssituation zurück: Wer von einer Zoom-Konferenz zur anderen springt, dem fehlen die Pausen zwischendrin, in denen sich das Gehirn erholen kann. "Normalerweise wechsle ich zwischendurch zumindest den Raum oder sogar das Gebäude", sagt ein Professor aus dem Publikum. Ganz zu schweigen vom Weg zur Arbeit, der ihm zumindest morgens und abends 20 Minuten Zeit auf dem Fahrrad schenkte – Pause für das Gehirn. Doch das endete für viele im März 2020.