Autos aus China: Welche Marken streben Richtung Europa?
Einige chinesische Automarken sind bereits in Europa angekommen, doch der eigentliche Ansturm steht noch bevor. Welche Marken planen einen Start in der EU?
Nicht nur, aber eben auch im Automobilbau hat China in den zurückliegenden Jahren eine bemerkenswerte Entwicklung vollzogen. Die Zeiten billiger und schlechter Kopien sind vorbei. Auf der Messe in Shanghai wurde zudem wieder einmal deutlich, dass sich die europäischen Hersteller mächtig strecken müssen, um den Anschluss nicht zu verlieren. Denn die Hersteller aus dem Reich der Mitte halten sich nicht mehr damit auf, den Verbrennungsmotor um ein paar Prozentpunkte weniger ineffizient zu machen. Sie setzen auf Elektromobilität und investieren kräftig in die Entwicklung von leistungsfähigen Batteriezellen. Das erste Großserien-Modell mit Natrium-Ionen-Batterie dürfte aus China kommen. Mit welchen chinesischen Marken bekommen es die etablierten Hersteller zu tun?
Dimensionen des chinesischen Automarkts
Zunächst müssen die Dimensionen des chinesischen Marktes noch einmal eingeordnet werden. In Deutschland werden je nach Konjunkturlage etwa zwischen 2,6 und 3 Millionen Neuwagen jährlich zugelassen. In der gesamten EU sind es zwischen 9 und 10 Millionen. Auf dem chinesischen Markt, der noch immer kräftig wächst, setzen die Autohersteller pro Jahr zusammen rund 23 Millionen Neuwagen ab. Volkswagen war dort über viele Jahre enorm erfolgreich – als Marktführer. Es zeichnet sich ab, dass damit bald Schluss sein könnte. Im ersten Quartal 2023 sank die Zahl der verkauften Autos bei Volkswagen, die von Build Your Dreams (BYD) stieg kräftig. Volkswagen ist mit Autos, die einen Verbrennungsmotor haben, erfolgreich, aber das wollen auch in China immer weniger Menschen in einem Neuwagen haben. Doch bei der Elektromobilität haben andere Hersteller einen Vorsprung.
BYD – der härteste Verfolger
Auf den Fersen ist Volkswagen in China vor allem BYD. In Asien ist der Konzern sehr erfolgreich, und auch in Europa wachsen die Zulassungszahlen, wenngleich derzeit noch auf sehr geringem Niveau. Starten wird BYD in der EU mit den Modellen Atto 3, Han und Tang. In China ist man mit dem luxuriösen SUV Yangwang U8 und dem Sportwagen U9 auch in der gehobenen Klasse unterwegs. Die Marke BYD selbst ist noch keine 30: 1995 startete Gründer Chuanfu Wang mit 20 Mitarbeitern, fünf Jahre später war BYD der Marktführer für wiederaufladbare Batterien.
Geely ist vielen Kenner der Autoszene auch in Europa ein Begriff. Der Konzern übernahm Volvo und verhalf der Marke zu einem glanzvollen Comeback. Stilsicher und eigenständig im Design, hochwertig ausgekleidet hat sich Volvo im Segment der selbsternannten Nobelhersteller etabliert. Geely hat zudem eine Kooperation mit Mercedes und belebt gerade die Marke Smart wieder. Vom eigentlichen Ursprungskonzept eines winzigen Stadtautos sind die neuen Smart-Modelle maximal entfernt. Der Zeekr X ist 4,45 m lang und teilt sich mit dem Smart #1 die variable SEA-Plattform (Sustainable Experimental Architecture). Auf dieser Basis steht auch der Zeekr 001, ein knapp fünf Meter langer Shooting Brake. Die Eckdaten sind durchaus beeindruckend: 400 kW Leistung, Batterien mit 86 bis 100 kWh. Das interne Ladegerät soll in der Spitze 360 kW Ladeleistung verarbeiten können. In fünf Minuten soll er so gerüstet 120 km E-Reichweite nachladen können.
Bisher ist Lynk & Co mit seinem 01 – ebenfalls zum Geely Konzern gehörend – auf vielen Märkten nur als Abo-Modell oder bei Autovermietungen zu bekommen. Auf der Shanghai-Messe kündigte der Hersteller selbstbewusst "eine neue Episode" an, zu der unter anderem auch die Serienumsetzung der gezeigten Sportwagenstudie gehören könnte. Doch auch Modelle wie der Lynk & Co 08 oder 09 hätten durchaus Chancen bei europäischen Kunden.
Im Herbst soll der Lotus Eletre auf den Markt kommen – ein E-SUV mit 450 kW in der Basis und 675 kW im Spitzenmodell. Auch hier hat das, was der Gründer der Marke Lotus einst im Sinn hatte, mit den kommenden Modellen nichts mehr zu tun. Statt leichtgewichtigem Minimalismus wird ausgerechnet unter dem Namen Lotus ein schweres Riesen-SUV auf den Markt gebracht, das mit jeder Faser dem entgegensteht, was die Marke einst ausdrücken sollte. Bestellt werden kann der Eletre schon, der Preis für das Einstiegsmodell liegt bei knapp 96.000 Euro. Ausgeliefert wird ab dem Sommer 2023.
Xpeng plant seinen Markteintritt in Europa ebenso wie HiPhi; beide hochwertig und entsprechend teurer positioniert. Hinter HiPhi steht das Unternehmen Human Horizons, die auf dem Heimatmarkt aktuell den HiPhi X und den Z anbieten, zu denen sich bald der neue Y gesellen soll. Die beiden europäischen Standorte sind München und Oslo, von wo aus noch in diesem Jahr die ersten Auslieferungen erfolgen sollen.
Chinesische Autos auf der Messe in Shanghai (12 Bilder)
(Bild: press-inform)
Great Wall Motors: Gut vernetzt
Einer der großen Player auf dem chinesischen Markt ist der Great Wall Motors mit seinen zahlreichen Marken und Kooperationen. Mit BMW zusammen betreibt der Konzern das Unternehmen Spotlight, das die nächste Mini-Generation auf den Markt bringt. Auch die Marken Ora und Wey gehören zum Great Wall-Konzern, die eine unterschiedliche Käuferschicht ansprechen. Ora soll als trendige E-Marke positioniert werden, Wey tritt mit Verbrennungsmotoren und Plug-in-Hybriden an.
Schon angekommen in Europa sind Nio und MG. Letztere haben den Massenmarkt als Ziel und sind dort derzeit unter anderem mit MG 4 und 5 sowie dem Marvel R vertreten. Sie bieten keine aktuelle Spitzenklasse bei der Technik, allerdings vergleichsweise humane Preise – eine Lücke, die europäische Hersteller derzeit geradezu sträflich offenlassen. Eine Strategie, die sich noch bitter rächen könnte, denn die Preise für elektrische Neuwagen von europäischen Herstellern können längst nicht alle mitgehen. Zur groben Orientierung: Ein Opel Corsa-e liegt inzwischen bei über 36.000 Euro, der am wenigsten teure VW ID.3 kaum unter 40.000. Da liegt ein Tesla Model 3 in Schlagdistanz. Inklusive Gebühren und Umweltbonus gibt der deutsche Konfigurator derzeit 42.970 Euro für das Basismodell aus. Tesla war zuletzt in der Lage, auf einigen Märkten mehrfach seine Preise zu senken, um seinen Marktanteil zu steigern, darunter auch in China. Das kostete die Marke einiges an Marge, doch der Plan scheint aufzugehen, denn Teslas Anteil auf dem chinesischen Automarkt ist beträchtlich. Mit rund 455.000 verkauften Model Y lag Tesla in China auf dem zweiten Platz der absatzstärksten Autos.
China ist nicht zu unterschätzen
Von solchen Zahlen sind die deutschen Hersteller in China weit entfernt. Die Verhältnisse auf dem chinesischen Markt lassen sich nicht ohne weiteres auf Europa übertragen. Hier zählen für viele Kunden andere Werte, die europäische Hersteller beherrschen. Die Abstimmung von Fahrwerken, Verarbeitung und Design, ein dichtes Händlernetz gehören unter anderem dazu. Doch niemand in der Branche wäre so naiv, anzunehmen, dass dies ausreichen könnte, sich der aufziehenden Konkurrenz erfolgreich zu stellen. Schließlich ist es schon Japanern und Koreanern erfolgreich gelungen, auf dem europäischen Markt einzubrechen. Damals haben sie das Konzept der hiesigen Hersteller mehr oder weniger kopiert und mit einem guten Verhältnis zwischen Preis und Leistung versehen. China tritt in Europa mitten in einer Zeit des Wandels an, und ist bei den Elektroautos vorn dabei.
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(mfz)