Autos der 60er-Jahre
In den 60er Jahren warfen die Autos die schwere Last der Nachkriegsjahre ab. Die Hersteller konnten nach vorne blicken und Trends gestalten.
- Christian Domke Seidel
In diesem Jahrzehnt hat die Geschichte alles rausgefeuert, was der Köcher hergab. Vietnamkrieg und Kubakrise waren Geburtshelfer für die Friedensbewegung. Die wiederum riss in Form der Swinging Sixties auch Kunst, Kultur und Mode mit sich. In Person von Ken Kesey machte ein Hippie aus dem militärischen Chemie-Experiment LSD eine beinahe religiöse Party- und Friedensdroge (es sei "Electric Kool-Aid Acid Test" von Tom Wolfe ans Herz gelegt). Träume gab es auch – allen voran den vom All.
In Deutschland setzte 1962 eine Jahrhundert-Flut Hamburg unter Wasser, was Helmut Schmidt als Krisenmanager auf die bundesweite politische Landkarte spülen sollte. War gerade keine Krise, schauten alle Bonanza oder die ZDF-Hitparade und das ab 1967 sogar in Farbe. Der Zweite Weltkrieg schien Äonen her. Diese alles umfassende neue Lockerheit schlug sich auch im Automobilbau nieder. Die 60er-Jahre waren eher sportlich geprägt und selbst deutsche Hersteller versuchten sich (mit gebotenem Ernst) an etwas bella vita.
Porsche 911
Allen voran natürlich Porsche. Die hatten sich mit dem 356er als veritabler Hersteller von Sportwagen etabliert und Fans wie Konkurrenz warteten auf den nächsten Wurf. Der landete im September 1963 auf der Internationalen Automobilausstellung in Frankfurt und hörte auf die Bezeichnung Porsche 901. Peugeot protestierte gegen die Modellbezeichnung, Porsche gab nach. Als Porsche 911 sollte dieser Wagen zum Inbegriff einer ganzen Marke und zum Urmeter für den Sportwagenbau werden. Lange bevor Porsche sich erst als SUV-Marke, dann als Hedgefonds, dann wieder als SUV-Marke etablieren sollte.
Der 911er richtete sich gezielt an eine neue, wohlhabendere Kundschaft. Ferdinand Alexander Porsche und Erwin Komenda (Porsche 356) nahmen ein Set Golfschläger als Basis für den Kofferraum. Der lag vorne. Hinten gab ein neuer Zweiliter-Sechszylinder mit 130 PS die Dimensionen vor. Dazwischen liegt ein um elf Zentimeter verlängerter Radstand, was den Fahrkomfort enorm erhöhte. Doch nicht alles passte Porsche an den neuen Wohlstand an. Das Zündschloss blieb links, wie es sich für Sportwagen gehört. Stichwort: Le-Mans-Start.
Mercedes SL Pagode
Auch andernorts in Baden-Württemberg zog ein neues Lebensgefühl ein. Mercedes zeigte auf dem Genfer Automobilsalon 1963 den W113. Auch SL oder "Pagode" genannt. Der letztgenannte Name erhielt der Wagen wegen des nach innen gewölbten Hardtops. Das Fahrzeug war der Versuch, den ebenfalls legendären Vorgänger – 300 SL – etwas maskuliner zu gestalten. Mercedes verstand darunter klare Kanten, gerade Linien, weniger Babyspeck. Chefdesigner Paul Bracq erfüllte die Anforderungen, trotzdem gilt das Fahrzeug sechzig Jahre später als "Schönheitskönigin", die durch "feminine Ausstrahlung" besticht. So ändern sich die Zeiten.
Derart gestaltet sollte der Wagen den amerikanischen Markt erobern. Was auch gelang. Rund die Hälfte der gebauten Exemplare ging nach Übersee (vor allem nach Kalifornien). Das Motorenprogramm war in den 1960er-Jahren noch erfrischend übersichtlich. Es gab drei Varianten. Vom Start weg den 230 SL (1963 bis 1967 – 150 PS), den 250 SL (1967 – 150 PS, aber mehr Hubraum) und den 280 SL (1968 bis 1971 – 170 PS). Auf die Verwendung des 6,3-Liter V8 verzichtete Mercedes.
BMW 2000 CS
BMW hat ein neues Auto nicht gereicht, die haben gleich eine neue Zeitrechnung auf den Markt gebracht. Im Jahr 1959 waren die Münchner nahezu pleite. Mercedes galt als aussichtsreicher Interessent. Dann schoss Herbert Quandt Geld in die Firma und das Entwicklerteam, samt Designer Wilhelm Hofmeister, konnte sich an die Arbeit machen. Das Ergebnis war im Jahr 1961 die "Neue Klasse". Fahrzeugmodelle, die oberhalb der Nachkriegskleinwagen positioniert waren (Isetta, 700), aber unterhalb der Oberklasse (502). Zur Einordnung: Im Jahr 1972 wurde der BMW 5er der Nachfolger.
Erkennungsmerkmal der Neuen Klasse war der Hofmeister-Knick. Ein Designelement, das fortan typisch für BMW werden sollte und nicht einmal von Chris Bangle abgeschafft werden konnte. Das vielleicht auffälligste Auto der Neuen Klasse ist der BMW 2000 CS mit dem vorne postierten Außenspiegel auf der Fahrerseite. Das Geschäftsjahr 1963 – also das erste volle Jahr der Neuen Klasse – brachte ein Umsatzwachstum von 47 Prozent und den ersten Gewinn seit zwei Jahrzehnten.
Renault 4
Pierre Dreyfus, seit 1955 Chef der halbstaatlichen Renault S.A., las Ende der 1950er-Jahre Zeitung. Darin stand, dass die Welt vor einer demografischen Herausforderung stand. Es würde immer mehr Familien geben, die eher wenig Geld zur Verfügung haben werden. Also schickte er seine Ingenieure los, einen billigen und robusten Wagen oberhalb der Citroën 2CV zu entwerfen. Heckmotor und -antrieb seien zu vermeiden. Heraus kam der Renault 4, den Dreyfus im Jahr 1961 der Öffentlichkeit präsentierte. Allerdings nicht auf einer Messe. Er ließ einfach 200 Stück rund um den Eiffelturm fahren.
Renault griff beim R4 auf eine Plattformstrategie zurück. Das drückte die Preise. Die nichttragende Karosserie des R4 ist außerdem mit dem Rahmen nur verschraubt. So ließen sich schnell neue Karosserievarianten entwickeln. Ein Hit. 8,1 Millionen Stück bauten die Franzosen zwischen 1961 und 1992 (!) und verkauften die Autos in rund hundert Länder.