Biogas statt Erdgas: Die Vermaisung der Landschaft geht weiter

Die EU will die Biomethan-Produktion bis 2030 fast verzwölffachen, um unabhängiger von russischem Erdgas zu werden. Doch dafür braucht es riesige Ackerflächen.

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(Bild: Claudia Harms-Warlies / Shutterstock.com)

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Bis vor zehn Jahren förderte Deutschland die Verstromung von Nahrungsmitteln mit einem "NaWoRo"-Bonus. Die Folge war eine Vermaisung der Landschaft mit allen Folgen für die Artenvielfalt, die Monokulturen eben so mit sich bringen. Mit der Novelle des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes von 2012 begann ein Umdenken. Gefördert wird seitdem vor allem die Erzeugung von Biogas aus Abfällen, nicht mehr aus eigens dafür angebauten Pflanzen.

Seitdem stagniert der Mais-Anbau auf hohem Niveau. In einigen Landkreisen in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen oder Bayern nimmt er immer noch fast die Hälfte der Ackerflächen ein. Etwa ein Drittel davon wandert laut FNR in Biogasanlagen, der Rest dient als Viehfutter.

Wenn es nach der EU-Kommission geht, soll sich der Mais nun noch weiter ausbreiten. In ihrem Programm "REPowerEU" hat sie ihr (bereits sehr ehrgeiziges) Ziel von 17 Milliarden Kubikmetern Biomethan für 2030 fast verdoppelt – auf 35 Milliarden Kubikmeter. Aktuell sind es gut drei Milliarden. (Zum Vergleich: 2021 hat Europa insgesamt knapp 400 Milliarden Kubikmeter Erdgas verbraucht.) Und auch Deutschland will die Produktion von Biogas nicht länger deckeln, wie Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck kürzlich bekanntgab.

Nachhaltige Ausgangsstoffe wie Stroh, Gülle, Biomüll oder Klärschlamm werden für die EU-Ziele nicht reichen. Nach einer aktuellen Studie des Instituts für Energie- und Umweltforschung (IFEU) Heidelberg ist ihr Potenzial bereits weitgehend ausgereizt, beziehungsweise nur eingeschränkt zu nutzen. Um zu verstehen, wie die EU ihre Ziele erreichen will, brauche man "unglaublich viel Phantasie", sagt IFEU-Forscher Horst Fehrenbach.

Ein Problem dabei: Biogas aus Mist und Gülle wird meist dezentral hergestellt, mit vielen kleinen Anlagen auf dem Land. Um es als Biomethan ins Erdgasnetz einspeisen zu können, muss es aufwendig aufbereitet und transportiert werden. Zudem sind bestimmte Reststoffe wie Stroh auch bei den Produzenten von Biosprit begehrt.

In einer Studie vom Mai 2022 schätzt das IFEU, dass aus diesen Gründen realistischerweise nur 50 Prozent der Gülle und anderer landwirtschaftlicher Abfälle bis 2030 zu Biomethanerzeugung herangezogen werden können. Klärschlamm und Siedlungsabfälle könnten hingegen zu hundert Prozent genutzt werden. Doch auch damit kommt das IFEU nur auf 17 Milliarden Kubikmeter – nicht einmal die Hälfte des anvisierten Ziels.

Die restlichen 18 Milliarden müssen ergo aus eigens dafür angebauten Energiepflanzen stammen. In der Regel dürfte das Mais sein. Dazu wäre eine Anbaufläche von 5,3 Millionen Hektar nötig. Das entspricht etwa 5 Prozent der gesamten Ackerfläche der EU oder 20 Prozent der Anbaufläche für Weizen. Alternativ könnte man auf dieser Fläche laut IFEU auch mehr als 80 Prozent der Weizenproduktion der Ukraine anbauen.

Eine Vermaisung der Landschaft ist nicht nur aus Sicht der Lebensmittelversorgung problematisch, sondern auch aus Sicht der Umwelt: "Grundsätzlich gilt beim Mais wie bei anderen Kulturen auch, dass ein langjähriger, großflächiger Anbau die Artenvielfalt einschränkt", heißt es auf landwirtschaft.de. Ein weiteres Problem sei die Bodenerosion, weil der Boden "wegen der langsamen Entwicklung der Pflanze nach der Aussaat im Frühjahr relativ lange ungeschützt bleibt". Allerdings schneide Mais bei "Pflanzenschutz und Düngung besser ab" als viele andere Kulturen wie Weizen oder Raps.

Erschwerend kommt hinzu: Es gibt von der EU bisher keinerlei Maßgaben, woher der Mais stammen soll. Das REPowerEU-Programms setze "exzessiv hohe Mengenziele ohne weitere Konditionen", so das IFEU. Der Mais könnte theoretisch also auch auf gerodetem Wald oder umgepflügtem Grasland angebaut werden. "Hauptsache, es kommen am Ende 35 Milliarden Kubikmeter raus", kommentiert IFEU-Forscher Fehrenbach.

Die Klimabilanz dürfte dadurch ins Negative kippen. Zwar entsteht bei der Verbrennung von Biomethan nur die Menge an Kohlendioxid, welche die Pflanzen zuvor aus der Luft aufgenommen haben. Ein wirklich klimaneutraler Kreislauf ist dies aber noch lange nicht, denn Anbau, Transport und Verarbeitung brauchen ebenfalls Energie. Werden für den Anbau auch noch ökologisch intakte Kohlenstoff-Senken zerstört, wäre Biomethan für das Klima schädlicher als fossiles Erdgas.

Das IFEU hat diesen Gedanken noch ein Stück weitergedreht: Was wäre, wenn man die für Energiepflanzen genutzte Ackerfläche einfach der Natur überließe? Dann würden sich dort über kurz oder lang Biotope bilden, die möglicherweise mehr Kohlenstoff binden, als man durch die Nutzung der Biomasse einsparen würde. Das IFEU hat diese "CO2-Opportunitätskosten" in einer Studie über Biosprit berechnet und kam zum Ergebnis: "Der verschenkte Klimagewinn ist mehr als zehn Mal größer als die Einsparungen durch den Ersatz fossiler Treibstoffe." Das lässt sich tendenziell auch auf Mais übertragen.

Das IFEU empfiehlt der EU, Biomethan ähnlich zu regulieren wie Biosprit – also die Herstellung aus Anbaupflanzen zu deckeln und stattdessen Abfalle und Reststoffe zu priorisieren. Nationale Regierungen warnen die Forschenden davor, falsche Anreize zu setzen. In ländlichen Gebieten sei es oft sinnvoller, Biogas vor Ort zu nutzen statt es aufzubereiten und ins Erdgasnetz einzuspeisen.

Doch das eigentliche Motiv hinter dem Mais-Revival dürfte ja ohnehin nicht das Klima, sondern die Versorgungssicherheit sein. Doch auch hier sieht das IFEU wenig Potenzial: "Die Biomethan-Produktion spielt nur eine kleinere Rolle beim Ersatz für russisches Gas. Während die nachhaltigen Potenziale ausgereizt werden sollten, sollten die größten Bemühungen auf effektivere Maßnahmen wie Elektrifizierung, Energiesparen und höherer Effizienz liegen, um die Gasnachfrage zu reduzieren."

(grh)