Der perfekte Kraftstoff

Seite 2: Der perfekte Kraftstoff

Inhaltsverzeichnis

GTL: DIESEL OHNE ÖL

Das Drehmoment des Fortschritts in Sachen Effizienz, Klimawirksamkeit, Wirtschaftlichkeit und Technik wird sich jedoch erst mit der zweiten Generation von Biokraftstoffen erhöhen, so genannten synthetischen Treibstoffen, deren Entwicklung durch die jüngsten Turbulenzen am Erdölmarkt an Geschwindigkeit wohl weiter zulegen wird. Gerd Hagenow mag den Geruch von Benzin und Diesel. Wenn der Leiter der Kraftstoffentwicklung von Shell in Deutschland durch seine Labors in Hamburg führt, schraubt er zwischendurch gern eine der kleinen Flaschen auf, die hier reichlich herumstehen, und fächelt sich mit der Hand ein wenig Dieselduft vor die Nase, als ob er ein Parfüm für die Dame seines Herzens suchen würde. Doch, sagt er, er könne unterschiedliche Kraftstoffqualitäten allein am Geruch erkennen. Eine Probe fällt besonders auf, weil sie kristallklar wie stilles Mineralwasser und für die ungeübte Nase so gut wie geruchsfrei ist: GTL, ein Diesel, der Hagenows Vorstellungen von einem idealen Kraftstoff ziemlich nahe kommt. Der saubere, aus Erdgas erzeugte Kraftstoff, von dem Hagenow so schwärmt, stammt aus Bintulu in Malaysia, wo Shell die weltweit bislang einzige, relativ kleine GTL-Raffinerie mit einer Jahreskapazität von knapp einer Million Tonnen betreibt.

GTL steht für "Gas-to-liquid" und für ein Verfahren, das schon in den Zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts in Deutschland erfunden und nun wieder entdeckt wurde: die Fischer-Tropsch-Synthese, mit der sich aus Erdgas, aber auch aus Kohle und Biomasse, verflüssigte Kohlenwasserstoffe herstellen lassen. Ob Sasol, ExxonMobil oder Shell: Alle großen Mineralölkonzerne errichten derzeit große GTL-Anlagen, vorzugsweise in Katar mit dem größten Erdgasfeld dieser Erde, dem North Field. Bis 2015 sollen Produktionskapazitäten von knapp 30 Millionen Tonnen pro Jahr aufgebaut sein. GTL sieht nicht nur sauber aus, sondern ist es auch: Mit dem schwefel- und aromatenfreien Kraftstoff können die Partikelemissionen selbst eines EU-4-Aggregats um weitere 25 Prozent reduziert werden, um nur ein in jüngster Zeit oft diskutiertes Beispiel zu nennen. Dazu kommt eine hohe Cetanzahl von über 70, Kennwert für die Zündwilligkeit des Treibstoffs und damit für die effiziente Verbrennung des Selbstzünders. Trotz knapper Kapazitäten gibt es GTL schon an der Tankstelle, wenn auch nur als 5-Prozent-Anteil zu Shells Premium- Diesel namens V-Power, laut Hagenow mit "15 bis 20 Prozent Anteil an unserem Dieselverkauf ein toller Erfolg". Erstaunlich, bedenkt man die landesweiten Klagen über die hohen Treibstoffpreise, immerhin kostet der gute Sprit acht Cent mehr als normaler Diesel. Denkbar sind natürlich auch wesentlich stärker mit GTL angereicherte Dieselkraftstoffe. Untersuchungen zeigten, dass bei 40 bis 60 Prozent Zumischung bereits die gesamten Emissionsvorteile erreicht werden.

GTL-Diesel hat aber einen gravierenden Nachteil: Selbst in reinster Form bringt er für die klimarelevante Kohlendioxid- Bilanz keine Erleichterung, da er aus der fossilen Quelle Erdgas stammt, so genanntem "stranded gas", das bei der Erdölförderung bislang abgefackelt wurde. Trotzdem eröffnen sich mit GTL die spannendsten Perspektiven der gegenwärtigen Treibstoff- Entwicklung.

Erstens, weil synthetische Kraftstoffe wie GTL ebenso aus Biomasse erzeugt werden können (BTL, Biomass-to-liquid) – mit überzeugender CO2-Bilanz, mit wesentlich größerer Effizienz, als wir das bisher kennen. Sie können auch aus Kohle (CTL, Coal-to-liquid) gewonnen werden, für den Klimahaushalt der Erde kein wünschenswertes, weil CO2-intensives, für Länder wie China mit reichen Kohleressourcen jedoch ein nahe liegendes Szenario.

Zweitens, weil synthetische Kraftstoffe in ihrer chemischen Zusammensetzung und Struktur gestaltbar sind und damit zu einem konstruktiven Merkmal zukünftiger Antriebskonzepte werden wie variable Ventilsteuerungen oder Hochdruckeinspritzsysteme. Wenn heute an Motoren geforscht wird, welche die Eigenschaften des Diesels (= sparsam) mit jenen des Benziners (= sauber) verknüpfen sollen, braucht man entsprechende Kraftstoffe, die Eigenschaften beider Treibstoffqualitäten vereinen, was Gemischbildung und Zündfähigkeit betrifft. Drittens, weil synthetische Kraftstoffe nahtlos in die üblichen Versorgungskanäle eingegliedert werden können, ein entscheidendes Kriterium für den Erfolg neuer Technologien. Alles, was neue Infrastrukturen braucht, siehe Erdgas-Tankstellen, wird allein durch die Macht des Faktischen gebremst und durch die natürliche Scheu der betroffenen Konzerne, hohe Investitionskosten zu tragen.

Viertens schließlich, weil synthetische Kraftstoffe sofort wirken. Im Unterschied zu Partikelfilter und neuen Verbrennungsverfahren erzielen Treibstoffe, die weniger Schadstoffe und weniger Verbrauch produzieren, wesentlich schneller eine wesentlich größere Breitenwirkung.