Die Megawatt-Bohrer

Der Anstieg der Brennstoffpreise bringt den Bau von Geothermiekraftwerken in Schwung. Die Anlagen könnten eine wichtige Rolle in der deutschen Energielandschaft übernehmen - wenn es gelingt, die Technik serienreif und erdbebensicher zu machen.

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Von
  • Astrid Dähn
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Der Anstieg der Brennstoffpreise bringt den Bau von Geothermiekraftwerken in Schwung. Die Anlagen könnten eine wichtige Rolle in der deutschen Energielandschaft übernehmen – wenn es gelingt, die Technik serienreif und erdbebensicher zu machen.

Von der Straße aus fällt die Anlage kaum auf. Nur ein kleines Hinweisschild "Zur Bohrlokation" zeigt Besuchern, dass sie auf dem richtigen Weg sind. Wer dem Schild an einer Wohnsiedlung vorbei über einen Parkplatz folgt, steht in Hannovers Stadtteil Lahe plötzlich vor haushohen, dunkelgrünen Lärmschutzwänden. Vor den Wänden sind mehrere Schallmessstationen aufgebaut. "Horchen Sie mal, wie still es ist; wir nehmen hier fast nur Vogelgezwitscher auf", sagt Michael Kosinowski von der Bundesanstalt für Geowissenschaft und Rohstoffe (BGR) lächelnd.

Dabei geht es auf der anderen Seite der Schutzmauern keinesfalls ruhig zu: Von einem 50 Meter hohen Stahlturm aus hat sich dort bis vor Kurzem ein Bohrer ins Erdreich gefressen und dabei Tonnen von Gesteinsbröckchen losgeschlagen, die mit einer Spülung nach oben geschwemmt und abtransportiert wurden. 3900 Meter tief ist der Bohrkopf in den letzten sechs Monaten in den Untergrund vorgedrungen, bis zu einer rund 150 Grad warmen Buntsandsteinschicht. Als Nächstes sollen kleine Löcher in das untere Ende der betonverkleideten Bohrlochwände gesprengt werden, um Verbindungskanäle zwischen der Röhre und dem heißen Tiefengestein zu schaffen. "Wir wollen beweisen, dass solche Arbeiten auch mitten in der Stadt, in nächster Nachbarschaft zu Wohnsiedlungen möglich sind, ohne die Anwohner im Geringsten zu stören", erläutert Kosinowski ein Hauptanliegen des sogenannten GeneSys-Projekts.

Denn was da so sorgfältig abgeschirmt im Osten von Hannover getestet wird, könnte dereinst zum Stadtbild vieler Kommunen in Deutschland gehören: ein Geothermiekraftwerk, das einzelne Straßenzüge oder ganze Stadtviertel in die Lage versetzt, sich selbst mit Wärme und Strom zu versorgen. In den Poren und Rissen der angezapften Buntsandsteinschicht hoffen Kosinowski und seine Mitarbeiter auf Adern mit mindestens 130 Grad heißem Wasser zu stoßen. Mittels Pumpen zu Tage gefördert, soll das Wasser seine Energie über einen Wärmetauscher an ein Heizsystem abgeben. Rund zwei Megawatt Wärmeleistung könnte die Anlage liefern, genug, um damit das benachbarte Bürogebäude der BGR komplett zu beheizen. Ist das Wasser abgekühlt, wird es über eine isolierte Leitung durch das Bohrloch wieder in den Untergrund gepresst, um sich dort erneut aufzuwärmen.

Insgesamt 18 Millionen Euro haben die verantwortlichen Forschungszentren – die BGR und das Leibniz-Institut für Angewandte Geophysik in Hannover – für GeneSys veranschlagt, den größten Teil finanziert das Bundeswirtschaftsministerium. "Läuft alles nach Plan, wird unser System Anfang 2013 seine erste Wärme abgeben – und der BGR von da an über 20 bis 30 Jahre hinweg ungefähr 15 Millionen Euro Kosten für Brennstoff ersparen", sagt Kosinowski.

Gute Aussichten, die nicht nur die Tiefbohrexperten in Hannover begeistern. Landesweit ist die Geothermie im Kommen, die Zahl der Beschäftigten in der Branche verdoppelte sich in den vergangenen zwei Jahren von 4500 auf mehr als 9000. Ein Großteil des Booms ist den oberflächennahen Wärmesonden zuzuschreiben, die im Schnitt nur 10 bis 40 Meter tief in die Erde ragen und zur Beheizung von Wohnhäusern beitragen; mehr als 60000 solcher elektrischen Wärmepumpen wurden im letzten Jahr neu installiert. Doch in jüngster Zeit erleben auch Geothermiesysteme einen Aufschwung, die mehrere Kilometer weit in die Erde vordringen.

Nach Angaben des Bundesumweltministeriums sind derzeit für etwa 180 Tiefbohrprojekte Bewilligungen erteilt, ungefähr 30 Geothermiekraftwerke sollen sich bereits in Planung befinden, darunter mehrere größere Anlagen, die neben Wärme auch Strom produzieren können. "Erdwärme hat als Energiequelle einige entscheidende Vorteile", begründet Horst Kreuter, Leiter der Sektion "Tiefe Geothermie" beim Bundesverband Geothermie, das zunehmende Interesse. Sie sei umweltfreundlich, verbrauche wenig Raum, und sie stehe tags wie nachts bei jedem Wetter zur Verfügung. "Solche Anlagen können also tatsächlich zur Grundversorgung mit Energie beitragen und klassische Stromlieferanten wie etwa Kohlekraftwerke oder Atommeiler ersetzen", sagt Kreuter.