Die Megawatt-Bohrer

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Noch spielt die Geothermie im deutschen Energiemix eine recht bescheidene Rolle: 2008 deckte sie lediglich 0,2 Prozent des hiesigen Wärmebedarfs, zur Stromerzeugung trug sie so gut wie nichts bei. Nach einem Beschluss des Bundeskabinetts vom Mai letzten Jahres dürfte sich das jedoch bald ändern: Bis zum Jahr 2020 sollen in Deutschland allein zur geothermischen Produktion von Strom mindestens 280 Megawatt Leistung bereitstehen; bei rund fünf Megawatt pro Kraftwerk entspricht das mehr als 50 Anlagen. Zehn Jahre später soll der Kraftwerkspark schon auf 840 Megawatt aufgerüstet sein. Und bis 2050 werde man mit der Geothermie schließlich "in den mehrfachen Gigawattbereich" vorstoßen, prophezeit Kreuter. Rein technisch, so haben Geowissenschaftler errechnet, würde die verfügbare Hitze aus dem Untergrund sogar ausreichen, um ein Hundertfaches des gesamten deutschen Jahresetats an Wärme zu liefern, die Jahresnachfrage nach Strom ließe sich immerhin zu gut 50 Prozent decken.

Inwieweit das auch wirtschaftlich wäre, muss sich allerdings erst zeigen. Das unterirdische Wärmereservoir lässt sich hierzulande nämlich nur mit Mühe anzapfen. Ein Großteil der unter Tage gespeicherten Hitze stammt noch aus den Ursprungszeiten unseres Sonnensystems, als sich die Erde unter dem Einfluss ihrer Schwerkraft aus Gesteinsbrocken, Staub und Gasen zu einer festen Kugel zusammenballte und dabei gewaltige Mengen Gravitationsenergie in Wärme umwandelte. Natürliche radioaktive Zerfallsprozesse im Erdinneren haben seither zusätzlich für eine kontinuierliche Wärmezufuhr gesorgt. Geologen gehen in ihren Modellen heute davon aus, dass im Kern unseres Planeten Höllentemperaturen von bis zu 6000 Grad Celsius herrschen.

An den Grenzen der Kontinentalplatten und in vulkanisch aktiven Regionen kann diese Wärme relativ leicht an die Oberfläche dringen. Länder wie Island, die Philippinen oder die USA sind daher führend bei der Nutzung von Erdwärme. Weltweit haben mittlerweile geothermische Strommeiler mit einer Gesamtleistung von rund 10000 Megawatt den Betrieb aufgenommen. Vorreiter bei der Stromproduktion mittels Erdwärme war Italien: Schon 1904 stellte Graf Piero Ginori Conti in der toskanischen Ortschaft Larderello einen Dynamo auf, der von heißem Dampf aus dem vulkanischen Boden angetrieben wurde. Er brachte fünf Glühbirnen zum Leuchten – und sicherte dem Land jene Spitzenstellung in der Geothermie, die es mit mehr als einem Dutzend Kraftwerken bis heute in Europa innehat.

In Deutschland schlummert die Erdwärme dagegen vergleichsweise tief unter der Oberfläche: Einer groben Faustformel zufolge nimmt die Temperatur im hiesigen Boden alle hundert Meter durchschnittlich nur um drei Grad zu. Es gibt zwar Gegenden, in denen die unterirdische Hitze deutlich schneller ansteigt, etwa am Oberrheingraben zwischen Basel und Frankfurt; im sogenannten Molassebecken rund um München und in weiten Teilen der norddeutschen Tiefebene herrschen ebenfalls günstigere geologische Bedingungen als in den übrigen Landesregionen (siehe Karte Seite 52). Aber auch dort müssen Ingenieure mindestens drei Kilometer tief bohren, um auf 120 bis 150 Grad heißes Wasser oder Gestein zu treffen, die Minimaltemperaturen für jedes rentable Geothermiekraftwerk. "Allein schon dieser Anfangsaufwand macht alle Varianten der Erdwärmegewinnung in Deutschland von vornherein teuer", erläutert Ingo Sass, Professor für Angewandte Geothermie an der Technischen Universität Darmstadt.

Generell gibt es zwei verschiedene Techniken, die tiefgelagerte Energie zu erschließen. Zum einen hydrothermale Anlagen wie das geplante Heizwerk in Hannover. Sie nutzen heißes Wasser aus dem Untergrund, um damit ein Nahwärmenetz zu speisen oder Turbinen anzutreiben, die wiederum elektrischen Strom erzeugen. Der Nachteil: Das Verfahren funktioniert nur, wenn im Tiefengestein ausreichende Mengen an heißem Wasser vorhanden sind, eine Bedingung, die sich vielerorts nicht erfüllen lässt. Deshalb haben Geoingenieure noch ein zweites Verfahren entwickelt. Diesen petrothermalen Systemen, auch Hot-Dry-Rock-Kraftwerke genannt, dient der Untergrund nicht als Quelle für heißes Wasser, sondern als eine Art Durchlauferhitzer. Sie bestehen zumeist aus zwei Bohrlöchern. Durch die eine Röhre wird kaltes Wasser mehrere Kilometer tief in den Boden injiziert. Es wandert durch die Risse und Spalten des heißen Gesteins, bis es sich auf mehr als hundert Grad erhitzt hat und über die zweite Bohrstelle wieder nach oben gepumpt wird, um dort seine Wärme abzugeben.