Elektromobilität: Sinkende Strompreise beim Ad-hoc-Laden in Sicht

Ad-hoc-Laden ohne Vertragsbindung könnte die derzeitige üble Lage an den Ladesäulen auflösen. Die AFIR erzwingt Bezahl-Terminals, und das verändert einiges.

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Tesla an Ladestation

Tesla-Besitzer haben ohne Grundgebühr Zugriff auf das Netzwerk der Supercharger. Sie können aber auch wie hier zu sehen bei anderen Betreibern laden. Im Hintergrund zu sehen ist hier übrigens eine dysfunktionale Batterie-Tauschstation von Nio.

(Bild: Christoph M. Schwarzer)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Christoph M. Schwarzer
Inhaltsverzeichnis

So wie es ist, kann und wird es nicht bleiben: Die Strompreise an der öffentlichen Ladeinfrastruktur sind viel zu hoch. Ein Beispiel von vielen sind die gerade vorgestellten Tarife von ADAC e-charge. Der Club hat den Partner gewechselt – statt EnBW ist nun Aral Pulse der assoziierte E-Mobility Provider (EMP). Die Kilowattstunde Fahrstrom kostet ab 1. Oktober pauschal 57 Cent, wenn an Standorten von Aral Pulse geladen wird. Bei anderen Betreibern, abgekürzt CPO für Charge Point Operator, sind es 75 Cent. Das sind "Wucherpreise" , meinen die Initiatoren einer Petition. Abhilfe könnte ab 2025 als Folge der Alternative Fuels Infrastructure Regulation (AFIR) entstehen: Das heute besonders teure Ad-hoc-Laden wird zur günstigen Konkurrenz des Roamings.

Die Idee des Roamings, nämlich mit einem einzigen Vertrag bei einem Anbieter überall in Deutschland oder sogar in Europa laden zu können, ist faktisch abgeschafft worden – und das durch die EMPs, die eigentlich vom Roaming profitieren wollen, weil sie Kunden durch Grundgebühren an sich binden. So verlangt EnBW im Vielfahrertarif "L" bei 17,99 Euro monatlicher Grundgebühr 39 Cent/kWh an den eigenen Ladestationen. Bei anderen CPOs sind es bis zu 89 Cent/ kWh. So versuchen EnBW und viele andere Marktteilnehmer, die eigene Auslastung zu steigern und Konkurrenten zu verdrängen – auf Kosten der Elektroautofahrer. Der Ärger ist bei jenen besonders groß, die manchmal oder immer auf die öffentliche Ladeinfrastruktur angewiesen sind. Der Spott der Diesel-Dieters ist ihnen sicher. Das ist die aktuelle Lage.

Auch wenn der Verband der deutschen Automobilindustrie (VDA) etwas anderes behauptet: Die Ladeinfrastruktur ist ausreichend, und einen Zubau gibt es auch. Allerdings ist zu Stoßzeiten wie am Wochenende oder zu Ferienbeginn das Queuing zu beobachten. Elektroautofahrer müssen warten. Die meiste Zeit aber ist der Andrang gering.

(Bild: Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur)

Johannes Pallasch von der Nationalen Leitstelle Ladeinfrastruktur sagt dazu: "Wir haben die Situation erkannt. Was wir brauchen, ist ein Level Playing Field, also gleiche Voraussetzungen für alle Marktteilnehmer zur Vermeidung von Oligopolen. Die konsequente Umsetzung der AFIR könnte zu einer Verbesserung führen." Was Pallasch meint, ist unter anderem eine höhere Preistransparenz für die Kunden sowohl beim punktuellen als auch beim vertragsbasierten Laden. Im B2B-Geschäft wiederum orientieren sich die Preise häufig an den Ad-hoc-Tarifen, und die werden von einigen CPOs künstlich hochgehalten.

Das lateinische "Ad hoc" bedeutet übersetzt ungefähr "aus dem Augenblick heraus". Bezogen auf die Ladeinfrastruktur ist gemeint, dass ein Elektroautofahrer ohne Vertrag an eine Säule kommt und Strom freischalten kann. Wegen der meistens überhöhten Tarife war Ad hoc bisher aber eher eine Notfalloption.

Abhilfe für die aktuelle Tarifsituation könnte durch die Alternative Fuels Infrastructure Regulation (AFIR) der EU entstehen: Die AFIR erzwingt seit 13. April Bezahl-Terminals an allen DC-Standorten mit 50 kW und mehr Ladeleistung, also faktisch bei allen. Ab 1. Januar 2027 müssen auch die Standorte entlang der wichtigsten europäischen Verkehrswege (TEN-V) nachgerüstet sein.

(Bild: Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur)

Die aktuelle Gemengelage könnte das Ad-hoc-Laden aber mittelfristig zur attraktivsten, weil preisgünstigsten Wahl und so zur harten Konkurrenz für die Vertragsanbieter machen. Die Basis für die mögliche Veränderung kommt von der Europäischen Union, die über die AFIR die Installation von Payment-Terminals verlangt: Sämtliche seit dem 13. April 2024 neu errichteten DC-Standorte mit mindestens 50 kW Leistung müssen einen Bezahlterminal haben. Ab dem 1. Januar 2027 ist das auch bei den Bestandsladesäulen entlang der wichtigsten europäischen Verkehrsrouten (TEN-V) der Fall. Bei AC-Säulen wiederum genügt der verpflichtende QR-Code zur Freischaltung. Die AFIR verursacht zuerst also Kosten, worüber die Betreiber regelmäßig klagen. Für den Nutzer mit seinem Elektroauto bedeutet das im Gegenzug die Möglichkeit, direkt mit jeder gängigen Karte und ohne Vertrag zahlen zu können.

Für den Betreiber selbst – also nicht den im Roaming assoziierten EMP – kann hier ein großer Kostenvorteil entstehen. Wie das funktioniert, hat auf der Messe Power2Drive in München das Unternehmen ev-pay gezeigt. Mit der Software von ev-pay lässt sich das Ad-hoc-Laden an Payment-Terminals eichrechtskonform und backendneutral vereinfachen. Das Prinzip: die vielen Zwischenverdiener wie die sogenannten CPO-Aggregatoren fallen einfach weg. Im Ergebnis hat der CPO eine höhere Marge; er verdient also mehr und kann zugleich dem Endkunden einen viel besseren Preis machen.

Ad hoc-Laden wird günstiger (3 Bilder)

Ev-pay bietet eine eichrechtskonforme Lösung an, bei der die Zwischenverdiener wie die CPO-Aggregatoren wegfallen. Das Ad hoc-Laden ohne Vertrag, das heute vielfach künstlich verteuert wird, hat so das Potenzial, die günstigsten Tarife überhaupt anzubieten.
(Bild: ev-pay)

"Wir ermöglichen dem Betreiber den Direktverkauf, ohne über Drittanbieter gehen zu müssen", erklärt Dominik Freund von ev-pay. Sogar eine dynamische Preisgestaltung in Abhängigkeit des Börsenstrompreises wie bei Tesla sei problemlos umsetzbar. ev-pay plant, ab September 2024 in den Feldversuch zu gehen und das fertige Produkt inklusive aller für den CPO notwendigen Abrechnungsformate ab 2025 auszurollen.

Das Laden wird mit der Lösung von ev-pay simpler: Der Elektroautofahrer benötigt keinen Vertrag mit monatlicher Grundgebühr und findet entweder in einer Web-App oder direkt am Ladepunkt einen Preis pro Kilowattstunde. Die vielbesprochene Preistafel hat so die Chance, Realität zu werden. Die Bezahlung wird vorab durch das Payment-Terminal autorisiert und ein für den Ladevorgang spezifischer QR-Code angezeigt. So kann bei ev-pay auch der Ladevorgang selbst überwacht werden; wer im Supermarkt einkauft, kann jederzeit den SOC (State Of Charge), die Ladeleistung, die bereits geladenen kWh und den Gesamtpreis prüfen. Dominik Freund und Felix Blum von ev-pay hatten den Vorläufer dieser Lösung einstmals für Wallbe entwickelt. Noch heute setzt der wichtigste Ad-hoc-Anbieter in Deutschland darauf: Aldi Süd.

An mehr als 550 Filialen von Aldi Süd gibt es Ladesäulen. Die Kilowattstunde kostet beim schnellen DC-Laden 39 Cent und AC-seitig 29 Cent. Wer bietet weniger? Das alles ohne Grundgebühr und ohne Vertrag. Eben Ad hoc. Wer unbedingt will, kann bei Aldi Süd natürlich mit dem Vertrag seines EMPs laden; das wird mutmaßlich kaum jemand tun, der die elektrische Energie selbst bezahlen muss, weil es teurer ist. Bei Aldi Nord gibt es dieses Angebot noch nicht; das Unternehmen teilt aber auf Anfrage mit, dass "wir derzeit einen kundenorientierten Aufbau von Lademöglichkeiten auf unseren Parkplätzen vorbereiten". Der Discounter hat 2200 Märkte. Das Laden vorm Laden bekommt bald eine noch größere Relevanz.

Sollte sich der Direktverkauf des Stroms nach dem Muster von ev-pay oder Aldi Süd etablieren, wäre das ein Kostenvorteil für die Elektroautofahrer. Wo Gewinner sind, gibt es auch Verlierer. Das wären jene EMPs, die zurzeit versuchen, Kunden mit hohen Grundgebühren an sich zu binden und mit krassen Tarifunterschieden zwischen eigenen Ladestationen und jenen von Fremdanbietern einseitig zu lenken.

Eine Änderung dürfte frühestens 2025 spürbar werden. Klar ist: Es bewegt sich etwas im Markt der Fahrstromanbieter. Das Ad-hoc-Laden wird zur Konkurrenz oder zumindest zu einer bedeutenden Alternative zum vertragsgebundenen Roaming. Auch aus Brüssel gibt es immer wieder Hinweise, dass die Wettbewerbskommission auf den verzerrten Markt in Deutschland aufmerksam geworden ist. Dass hier noch nicht gehandelt wurde, liegt wahrscheinlich an den jüngsten Wahlen zum Europäischen Parlament: Die neue Kommission hat sich noch nicht konstituiert. Wenn das passiert ist, wird es mutmaßlich auch von dort eine Initiative geben.

(mfz)