Energiekrise: Wo kommt die Energie in Zukunft her?

Seite 2: Vielleicht wird Putin ja in naher Zukunft gestürzt, und Europa hat plötzlich Gas im Überfluss?

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Auch technisch dürfte es nicht einfach werden, ausbleibendes russisches Gas zu ersetzen. Erdgas-Förderländer wie Norwegen und die Niederlande können ihre Lieferungen kaum noch steigern. Die Einspeisung von Biogas ließe sich zwar noch erhöhen, aber nicht in ausreichendem Maße. Und ob die bestehenden LNG-Terminals in Europa genug Kapazität haben, auch Deutschland mitzuversorgen, ist unsicher.

Deutschland selbst hat den Bau von eigenen LNG-Terminals jahrelang für überflüssig gehalten – es gab ja dicke Pipelines nach Osten. Wenige Tage nach Kriegsbeginn kündigte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck nun an, den Bau deutscher Terminals mit Bundesmitteln zu unterstützen. Die plötzliche Kehrtwende ist umstritten: "Stand jetzt sind deutsche LNG-Terminals nicht nötig, um die Versorgungssicherheit aufrechtzuerhalten", schreibt die Deutsche Umwelthilfe (DUH). "Sie würden uns vielmehr über Jahrzehnte an fossile Energien binden."

Ein Soldat begutachtet ein zerstörtes ukrainisches Gasheizwerk in Schytomyr. Die Stadt liegt rund 150 Kilometer westlich von Kiew.

(Bild: picture alliance / EPA / Miguel A. Lopes)

Energieexperten aus dem Umfeld der Beratungsgesellschaft Neon Neue Energieökonomik und der Hertie School halten dagegen: Weitere LNG-Terminals "öffnen Flexibilitätsoptionen, die wertvoll sind, auch wenn sie über ihre Lebenszeit kaum genutzt würden", schreiben sie in einem offenen Brief im Tagesspiegel. "Ihre bloße Existenz mindert das Erpressungspotenzial. Sie sind also eine Versicherung."

Dass sich nun ausgerechnet ein Grünen-Politiker für LNG einsetzt, zeigt auch, wie schnell der Krieg die Prioritäten auf den Kopf stellen kann. Denn für das Klima ist LNG tendenziell ein Schritt in die falsche Richtung: Verflüssigung und Transport von LNG kosten viel Energie; stammt es zudem auch noch aus amerikanischem Fracking-Gas, kommen hohe Treibhausgasemissionen bei der Förderung hinzu. Doch die damit verbundenen Umweltschäden seien unter diesen Umständen "das geringere Übel", so Energie-Ökonomin Claudia Kemfert in einer Kolumne für das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

Für den nächsten Winter würden die geplanten LNG-Terminals ohnehin zu spät kommen. Ihr Bau dürfte Schätzungen zufolge drei bis fünf Jahre dauern. Als Lückenbüßer kommt nun die Kohle wieder ins Spiel. "Kurzfristig kann es sein, dass wir vorsichtshalber, um vorbereitet zu sein für das Schlimmste, Kohlekraftwerke in der Reserve halten müssen, vielleicht sogar laufen lassen müssen", sagte Wirtschaftsminister Habeck, dessen Partei lange für einen zügigen Kohleausstieg gekämpft hatte, im Deutschlandfunk. Nun gelte: "Versorgungssicherheit geht vor Klimaschutz."

Selbst ausgewiesene Klimaschützer können sich offenbar damit anfreunden. So sprach sich sogar Ottmar Edenhofer, Direktor des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung, gegenüber dem Handelsblatt für den verstärkten Einsatz von LNG und Kohle aus. Unterstützt wird er dabei von Bruno Burger vom Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme. "Aktuelle Zahlen zum hohen Methanschlupf in Amerika und Russland legen nahe, dass die CO2-Äquivalente von Steinkohle und Methan ähnlich sind. Deshalb ist es für das Klima fast egal, ob wir Steinkohle oder Erdgas verbrennen. Nur Braunkohle hat noch mal deutlich höhere Emissionen."

In ihrem offenen Brief im Tagesspiegel ergänzen die Experten: "Alle Kohlekraftwerke sind im europäischen Emissionshandel reguliert. Damit ist die Gesamtmenge der Emissionen über die Zeit gedeckelt." Solange die EU nicht wegen der Krise die Obergrenze der erlaubten Emissionen anhebt – was bis Redaktionsschluss nicht ernsthaft zur Debatte stand –, würden die klimapolitischen Ziele auch nicht kompromittiert. Daraus folge allerdings nicht, den für 2030 angepeilten Kohleausstieg wieder infrage zu stellen: "Es besteht keine Notwendigkeit, jetzt über das Jahr 2030 zu diskutieren."