Forscher zum Batteriemarkt: "Deutschland hat sich zum Musterknaben entwickelt"

Seite 3: Chemie und Batteriedesign verbessern sich

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Was kommt denn in Zukunft auf uns zu?

Die Ereignisse überstürzen sich etwas. Es gibt gleichzeitig Verbesserungen bei der Chemie und beim Batteriedesign. Allein bei der Anode kann man 30 bis 40 Prozent an Reichweite gewinnen, indem man dem Grafit speziell behandeltes Silizium beimischt, wie Varta das bereits macht. Und das Kathodenmaterial ist auch noch nicht am Ende.

Auf einem Batteriekongress im Februar haben die Teilnehmer darüber abgestimmt, was sie für das Batteriematerial der Zukunft halten. Das Ergebnis war Lithium-Eisenphosphat. Das hat mich etwas überrascht, denn das ist ja nichts wirklich Neues.

Lithium-Eisenphosphat hat Vorteile bei Kosten, Nachhaltigkeit und Sicherheit. Sie können einen Nagel in die Batterie reinschlagen und es passiert nichts. Zudem kostet es nur etwa ein Achtel des herkömmlichen NMC-Materials (siehe Kasten). Das heißt: Das Ziel von unter 100 Dollar Zellkosten pro Kilowattstunde, bei dem das Batterieauto billiger wird als der Verbrenner, wurde im Prinzip letztes Jahr erreicht. Interessanterweise hat McKinsey das in einer Studie von 2017 erst für 2030 vorhergesagt. Es ist unglaublich, was für eine Dynamik da drin ist.

Ich dachte immer, Lithium-Eisenphosphat sei wegen zu geringer Energiedichte aus dem Rennen.

Es war immer klar, dass das Material in dieser Hinsicht keine Chancen hat gegen NMC. Die Dichte von Lithium-Eisenphosphat ist 2,75, die von Kobaltoxid ist 6. Sie brauchen also mehr als das doppelte Volumen an Lithium-Eisenphosphat für die gleiche Kapazität. Aber das eigentliche Speichermaterial macht nur etwa 25 Prozent von einem Batteriepack aus, die Kathode nur 15 Prozent. Der Rest sind die Kollektorfolien, Gehäuse, Verdrahtung, Elektrolyt, Grafit und so weiter – also totes Material. Wenn ich nun die Kapazität der Kathode verdoppele, spare ich nur rund acht Prozent des gesamten Batteriegewichts.

Wie lässt sich bei der Gewichtseinsparung ein größerer Hebel nutzen?

Genau das machen Tesla und CATL sowie BYD. Statt kleinteiliger Zellen in Schokoladentafelgröße bauen sie eine Zelle, die man als Folie über den ganzen Pack ziehen kann. Die chinesische Version des Tesla Model 3 hat dadurch nur noch 4 statt 16 Module. CATL sagt, sie gewinnen dadurch 20 Prozent Raum für die Speichermaterialien und sparen 40 Prozent an Aufbau- und Verbindungstechnik. Das ist gigantisch.

Und was macht BYD?

BYD ist noch einen Schritt weiter gegangen. Ihre „Blade Battery“ ist eine etwa 15 Zentimeter dicke Platte im Unterboden. Wie sie es genau gemacht haben, weiß man noch nicht, aber sie sagen, sie haben für die Kathode 50 Prozent mehr Raum geschaffen. Und jetzt kommt Lithium-Eisenphosphat ins Spiel. Sie könnten natürlich diesen zusätzlichen Platz mit einem NMC-Material ausfüllen. Dann hätten Sie eine Batterie für 900 oder 1 000 Kilometer Reichweite. Aber mit Lithium-Eisenphosphat sind es immer noch 600 Kilometer.

Reicht ja.

Genau. Ich fahre seit fünf Jahren elektrisch. Ich brauche nicht unbedingt 900 Kilometer Reichweite. Ich finde es wichtiger, schnellladefähig zu sein.

Und bei der Schnellladefähigkeit sieht es bei Lithium-Eisenphosphat ja wieder ganz gut aus.

In der Formel 1 gibt es das „Kinetic Energy Recovery System“, KERS. Das ist eine Batterie, die beim Bremsen auflädt und beim Überholen wieder Energie abgibt. Lewis Hamilton hatte 2008 bei seinem ersten Weltmeistertitel ein KERS-System mit einer Lithium-Eisenphosphatbatterie im Kreuz. Vor allem, weil sie leicht und sicher ist. Das zeigt, welches Potenzial sie beim Schnellladen hat.

Hat Lithium-Eisenphosphat auch Nachteile?

Es wurde berichtet, dass Leute beim Tesla Model 3 mit Lithium-Eisenphosphat-Batterien im Winter Probleme mit der Schnellladefähigkeit hatten. Das liegt an der besonderen Struktur des Eisenphosphates. Es gibt aber eine technische Lösung: dünne Nickelfolien zwischen den Elektroden, die den Pack beim Beladen vortemperieren.

Wie sieht es mit der Haltbarkeit aus?

Wenn Sie heute ein Elektrofahrzeug kaufen, dann hält die Batterie etwa 2 000 Vollzyklen. Mit Lithium-Eisenphosphat können Sie 10 000 Zyklen machen. Bei 400 Kilometern Reichweite sind das vier Millionen Kilometer.

Wer braucht so etwas?

Wenn es tatsächlich dazu kommt, dass man autonome Autos per App bestellen kann, dann sind die fast rund um die Uhr unterwegs. Das entspricht 150 000 bis 200 000 Kilometern pro Jahr. Als Flottenbetreiber kann ich mich zwischen einem Verbrenner entscheiden, der nach zwei Jahren schon das Ende seiner Lebensdauer erreicht, und einem Elektroauto, das mindestens fünf Jahre fahren kann. Interessanterweise hat die amerikanische Firma Waymo vor ein paar Monaten bei Tesla 63 000 autonom fahrende Mini-Vans bestellt, obwohl es die noch gar nicht gibt. Das heißt, die haben einfach mal eine Milliarde Dollar Investment festgelegt auf etwas, was es noch nicht gibt. Das ist unglaublich! Das heißt umgekehrt aber auch, dass sie sich relativ sicher sind, was kommt.

Lange Zeit galt die Feststoffzelle wegen ihrer potenziellen Energiedichte als Zukunft der Batterietechnik. Wenn ich mir anhöre, was schon alles mit Lithium-Eisenphosphat geht – was kann die Feststoffzelle darüber hinaus eigentlich noch bieten?

Ich glaube, dass die Feststoffzelle durchaus ihre Berechtigung hat. Ich sehe aber nicht alles so rosig wie ihre Befürworter. Ihre Energiedichte kommt daher, dass man auf der Anodenseite metallisches Lithium verwendet. Allerdings bilden sich auf der Oberfläche des Lithiums beim fortgesetzten Be- und Entladen Nadeln, die dann durch die Zelle wachsen und einen Kurzschluss verursachen. Wenn wir einen festen statt einen flüssigen Elektrolyten nehmen, ist der erstens nicht mehr brennbar und verhindert zweitens, dass Dendriten da durchwachsen. Trotzdem haben wir immer unverdünntes Lithium, das an feuchter Luft anfangen könnte zu brennen, zum Beispiel bei einem Unfall. Zudem sind Feststoffzellen aus lauter dünnen Keramikschichten aufgebaut. Ich kann noch nicht sagen, ob so ein System im alltäglichen Betrieb sicher und robust genug sein wird. Und vor allem: Bei der klassischen Batterie haben wir einen dramatischen Abfall der Kosten. Das wissen wir bei der Feststoffzelle noch nicht.

Was ist sonst noch zu erwarten?

Der Stationärmarkt, also etwa Hausspeicher oder Pufferspeicher für das Stromnetz, boomt im Augenblick unglaublich. Wir haben 40 Prozent Zuwachs pro Jahr. In Australien konnte man dank großer Batterien von Tesla zwei Kohlekraftwerke abschalten, die nur zur Netzstabilisierung da waren. Batterien sind ja in den letzten zehn Jahren um 90 Prozent billiger geworden. Das setzt sich weiter fort. Ab einem bestimmten Punkt können Sie auch über Speicher nachdenken, die eine Versorgung über mehrere Tage ermöglichen, sodass keine Saisonalspeicher mehr benötigt werden. Dafür muss aber eine andere Chemie her, auf der Basis von Rohstoffen, die häufiger vorkommen.

Auf Basis von Natrium-Ionen, nehme ich an?

Das ist im Augenblick am weitesten fortgeschritten. CATL will jetzt als größter Batterieproduzent weltweit Natrium-Ionen-Batterien produzieren. Zunächst wollen sie damit Bleibatterien ersetzen, dann Zwei- und Dreiräder ausrüsten und dann in den stationären Markt gehen. Sie sagen, dass das Material für Natrium-Ionen-Batterien zwei bis drei Mal billiger ist als Lithium-Eisenphosphat. Ich glaube, wir werden uns noch wundern, was noch alles möglich sein wird. Ich verfolge das mit großen Augen wie ein kleines Kind.

Batteriematerialien

(Bild: Lightboxx/Shutterstock.com)

Das Prinzip aller hier vorgestellten Batterietypen ist gleich: Positiv geladene Ionen wandern beim Laden von der Kathode zur Anode, beim Entladen in die Gegenrichtung. Die derzeit gebräuchlichste Variante ist NMC, aber andere holen auf.

Lithium-NMC

Kathode: Lithium-Nickel-Mangan-Kobaltoxid. Früher bestanden die Kathoden meist aus jeweils gleichen Teilen an Nickel, Mangan und Kobalt (NMC 111), der Trend geht aber zu niedrigeren Kobalt-Anteilen. Derzeit sind NMC 622 und NMC 811 gängig, die ersten kobaltfreien Materialien („NMX“) kommen gerade auf den Markt.

Anode: Grafit

Elektrolyt: flüssig

+ bewährt

+ hohe Energiedichte (entscheidend für Reichweite)

- "thermisches Durchgehen" (ungebremste Verbrennung) möglich

- teilweise problematische Rohstoffe

Lithium-Eisenphosphat

Kathode: Lithium-Eisenphosphat (LiFePO4)

Anode: Grafit

Elektrolyt: flüssig

+ preiswert

+ sicher

+ langlebig

+ hohe Leistungsdichte (entscheidend für Schnellladefähigkeit)

+ unproblematische Rohstoffe

- relativ niedrige Energiedichte

- Probleme bei niedrigen Temperaturen

Lithium-Feststoffzelle

Kathode: poröser Kohlenstoff

Anode: metallisches Lithium

Elektrolyt: fest

+ hohe Energiedichte

- noch nicht marktreif

- Kosten unklar

Natrium-Ionen

Kathode: Preußisch Weiß (bei CATL)

Anode: poröser Kohlenstoff

Elektrolyt: flüssig

+ preiswert

+ sicher

+ langlebig

+ hohe Leistungsdichte

- niedrige Energiedichte

(bsc)