Forscher warnt vor neuen Mutationen durch das COVID-Medikament Molnupiravir

Molnupiravir soll SARS-CoV-2 "kaputtmutieren". Allerdings sei das Medikament nicht stark genug, Viren restlos zu beseitigen, sagt ein Stanford-Wissenschaftler.

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Person in Schutzkleidung.

(Bild: Cryptographer/Shutterstock.com)

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Inhaltsverzeichnis

Noch sind Therapien gegen die COVID-19-Erkrankung rar. Mit Molnupiravir hat Merck Sharp & Dohme (MSD) in den USA nun eine Pille auf den Markt gebracht, die bei rechtzeitiger Anwendung den Ausbruch der Krankheit verhindern oder zumindest abmildern soll.

Das Hoffnung machende Medikament ist allerdings nicht unumstritten. Michael Z. Lin, Associate Professor und Arzt an den Instituten für Neurobiologie und Bioingenieurwesen der Stanford University, sieht Probleme bei der Wirkweise, wie er im Interview mit Technology Review sagt.

Technology Review: Herr Lin, es ist klar, dass wir neben Impfstoffen auch Medikamente gegen COVID-19 brauchen. Wie weit sind wir schon gekommen?

Michael Z. Lin: In den letzten zwei Jahren sind wir sehr weit gekommen. Wir können den Bedarf in stationäre (Krankenhaus) und ambulante (präklinische) Bereiche unterteilen und die Auswahl in zu injizierende sowie orale Medikamente. Wir haben mittlerweile Beispiele für alle Kombinationen. Die ersten Medikamente waren injizierbare und orale Medikamente für Krankenhaus-Patienten: Remdesivir und Dexamethason – mit einer Wirksamkeit von etwa 50 Prozent bei der Verhinderung des Todes, wenn sie zum optimalen Zeitpunkt verabreicht wurden.

Inzwischen gibt es auch injizierbare monoklonale Antikörper, zunächst für den ambulanten und später für den stationären Bereich, die eine Wirksamkeit von etwa 80 Prozent bei der Verhinderung von Krankenhausaufenthalten haben. Allerdings wirkt nur einer von ihnen, Sotrovimab, gegen Omikron und ist derzeit nur begrenzt verfügbar. Seit kurzem gibt es Paxlovid als orales Virostatikum für den ambulanten Bereich mit einer Wirksamkeit von 89 Prozent bei der Verhinderung von Krankenhausaufenthalten.

Molnupiravir, eine weitere Pille gegen COVID-19 von Merck Sharp & Dohme, ist von der FDA gerade im Rahmen einer Notfallzulassung (Emergency Use Authorization) genehmigt worden. Sie kritisieren es – auch breitenwirksam in einem Artikel in der Washington Post.

Meiner Meinung nach – und das ist eine Meinung, die auf einer gründlichen Analyse aller vorgelegten Daten beruht – war die Zulassung von Molnupiravir durch die amerikanische FDA ein Fehler. Es ist die am wenigsten wirksame Medikation, die wir für COVID-19 zugelassen haben – und sie birgt das größte Schadenspotenzial. Auch wenn es in den USA kaum eingesetzt wird, könnte die Zulassung dazu beigetragen haben, dass andere Länder es zugelassen haben. Eine meiner Meinung nach unverantwortliche Bewerbung sowie die Anwendung in anderen Ländern haben bereits begonnen.

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Wie sieht die Nutzung von Molnupiravir in der Praxis aus? Wie soll es den Patienten helfen?

In den USA soll es Menschen verabreicht werden, bei denen COVID-19 diagnostiziert wurde und bei denen ein hohes Risiko für einen Krankenhausaufenthalt besteht. Außerdem soll es nur dann eingesetzt werden, wenn keine anderen Optionen verfügbar sind.

Wie wirksam ist Molnupiravir?

Die Daten zeigen, dass es Krankenhausaufenthalte um 30 Prozent verhindert. Da man jedoch nicht weiß, wer tatsächlich ins Krankenhaus eingeliefert wird, müsste man das Medikament mindestens zehnmal so vielen Menschen verabreichen, als ins Krankenhaus eingeliefert werden würden, so dass der Nutzen nur bei 3 Prozent der verabreichten Mengen eintritt. Darüber hinaus wurde in den klinischen Studien der Nutzen nur bei Personen mit der Gamma-Variante beobachtet, die nicht mehr häufig vorkommt – und bei Personen, die keine vorherige Immunität hatten, was ebenfalls nicht mehr häufig vorkommt. Daher ist nicht klar, inwieweit das Medikament in der Praxis helfen würde.

Können Sie die Wirkungsweise von Molnupiravir gegen SARS-CoV-2 beschreiben?

Die Wirkungsweise von Molnupiravir ist sehr einfach: Es fügt Fehler in das SARS-CoV2-Genom ein. Die Idee ist, dass sich bei einer ausreichend hohen Konzentration genügend Fehler ansammeln, so dass das Virus nicht mehr funktionieren kann.

Sie sagen, dass die Verwendung von Molnupiravir eine Gefahr darstellt. Was genau ist Ihrer Meinung nach an der Wirkungsweise gefährlich?

Das Problem besteht darin, dass die Dosen, die den Patienten verabreicht werden, nicht ausreichen, um die Viren wirklich zu inaktivieren. Nach den von MSD veröffentlichten Daten werden die für die Inaktivierung der Hälfte der Viren erforderlichen Konzentrationen bei den meisten Patienten nicht einmal in der empfohlenen Dosis erreicht. Es findet also eine gewisse Mutation statt, aber nicht genug, um das Virus schnell abzutöten. Wenn Patienten eine Dosis auslassen oder sich entscheiden, das Medikament vorzeitig abzusetzen, können die mutierten Viren sogar noch länger in den Patienten verbleiben.

Gibt es Studien über die Mutationen, die Molnupiravir verursachen könnte?

Der Hersteller MSD ist der einzige, der Studien durchgeführt hat – und die Ergebnisse sind eher dürftig. Sie haben gezeigt, dass nach fünf Tagen bei Patienten Mutationen an fünfmal mehr Stellen im Virusgenom auftreten. Aber was wir wirklich wissen müssen, ist, wie hoch der Anteil lebensfähiger Viren nach jedem Behandlungstag ist – und wie hoch die Mutationen in diesen lebensfähigen Viren sind.

Wenn Molnupiravir nicht besonders gut funktioniert und wir damit weitere Virusvarianten riskieren, warum wird es dann eingesetzt? Haben Sie eine Erklärung dafür, dass die Behörden den Einsatz zugelassen haben?

Die einzige Erklärung, die Sinn ergibt, ist ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren: Erstens stehen die Zulassungsbehörden möglicherweise unter einem gewissen Druck, Medikamente vor dem Omikron-Anstieg schnell zuzulassen; zweitens verlangen ihre Statuten für die Zulassung eines Medikaments nur eine gewisse Wirksamkeit und ein geringes unmittelbares Risiko für den Patienten; und drittens hoffen sie, dass das Medikament in begrenztem Umfang und verantwortungsvoll eingesetzt wird.

Wir haben jedoch bereits erlebt, dass Hersteller von Molnupiravir-Generika in Indien für das Medikament als Allheilmittel geworben haben, ohne dass offensichtlich versucht wurde, diese Werbung auf die am stärksten gefährdeten Patienten zu beschränken. Daher denke ich, dass die Entscheidung wahrscheinlich unter Druck und mit engem Fokus auf die Patienten getroffen wurde – und nicht auf die Menschen in ihrem Umfeld. Auch scheint ein ausreichendes Verständnis dafür zu fehlen, wie das Medikament in der realen Welt wahrscheinlich missbraucht werden könnte.

(bsc)