Fußball-Europameisterschaft: So funktioniert das Spielertracking technisch

Seite 2: Kein Robo-Schiri

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Zurück zur Technik selbst, die schließlich das Fundament des künftigen Datensegens bildet: Ohne das SAOT muss ein Schiedsrichterassistent bei Abseitsverdacht die entscheidenden Frames selbst suchen und darin manuell Linien ziehen, um die Positionen der Spieler relativ zueinander und zum Ball beurteilen zu können. Kritiker bemängelten, dass das rein videogestützte System schon aus technischen Gründen keine ausreichend präzisen Daten liefert, um den Zeitpunkt des Abspiels sowie die Spielerkoordinaten exakt zu bestimmen: Die Bildwiederholrate von 50 Frames pro Sekunde reiche dafür schlicht nicht aus. Und Wissenschaftler der Universität Bath konnten nachweisen, dass Menschen dabei den Abspielzeitpunkt im Schnitt 132 Millisekunden zu spät ansetzten. In einem dynamischen Spiel wie Fußball kann sich die Situation während dieser Zeitspanne komplett geändert haben.

Vor allem bei engen Konstellationen gestaltete sich das gesamte Prozedere vom Verdacht bis hin zur Entscheidung recht zäh. Dem Fußball-Dachverband zufolge verstrichen beim klassischen VAR im Schnitt 70 Sekunden bis zur Entscheidung, im Extremfall konnten es aber auch mal 5 Minuten sein. So viele lange Pausen zum Chips- und Getränkeholen brauchen nicht mal Fußballfans. Mit der neuen Methode soll es nur 15 bis 25 Sekunden dauern. Noch weiter lässt sich die Zeit laut FIFA nicht drücken, obgleich die SAOT das fragliche Bildmaterial binnen 5 Sekunden liefert. Dieses muss aber in jedem Fall von einem Menschen gesichtet werden, weil die Technik nur Abseitsstellungen identifiziert, aber nicht jede Finesse des Regelwerks interpretieren kann.

Außerdem handelt es sich zum Teil um ein statistisches, vorhersagengestütztes System, das vermutlich nicht in jeder turbulenten Spielsituation verlässlich funktioniert. Unsere Fragen zu technischen Details wie etwa die verwendeten Trainingsdaten und Algorithmen ließ die FIFA unbeantwortet, weshalb wir die grobe Funktionsweise und potenzielle Schwächen des SAOT lediglich anhand von Forschungsarbeiten und öffentlich verfügbarem Material der beteiligten Firmen nachvollziehen konnten.

Um eine Abseitsstellung zu erkennen, muss das System im Wesentliche folgende zentrale Fragen beantworten: Wo ist der Ball und wann genau wurde er abgespielt? Zu welchem Team gehört der Abspieler? Wo befinden sich die anderen Spieler der eigenen und gegnerischen Mannschaft, beziehungsweise genauer: deren torgefährliche Körperteile?

  • Ein Spieler befindet sich in einer Abseitsstellung, wenn er der gegnerischen Torlinie näher ist als der Ball und der vorletzte Gegenspieler, einschließlich Torwart. Zudem muss er sich in der gegnerischen Feldhälfte befinden. Entscheidend ist exakt der Moment, in dem der Zuspieler den Ball trifft – und dass das Zuspiel von einem Mitspieler kommt.
  • Es zählen alle Körperteile, mit denen man ein Tor erzielen darf, also Fuß bis in die Schuhspitze und Kopf bis hin zur Nasenspitze. Hand und Arm hingegen nicht.
  • Bei Einwurf, Ecke und Abstoß gibt es kein Abseits.
  • Ein Regelverstoß liegt aber nur vor, wenn der im Abseits stehende Spieler aktiv ins Geschehen eingreift, also den Ball spielt, die Sicht eines Verteidigers behindert oder den Verteidiger angreift. Oder wenn er aus seiner Position einen Vorteil zieht, zum Beispiel einen Abpraller verwerten kann.

Die ersten drei Anforderungen kann die neue VAR-Technik selbstständig checken, für die letzte braucht es ein geschultes Schiedsrichterauge.