Gebrauchte Elektroautos: Wie man den Batteriezustand bestimmen kann
Nur wenige gebrauchte Elektroautos haben ein Batterie-Zertifikat. Dabei läge darin das Potenzial, das Vertrauen zu stärken. Wie funktionieren die Tests?
- Christoph M. Schwarzer
Der Verkauf von gebrauchten Elektroautos läuft derzeit zäh. Zum einen, weil die Preise trotz der Rabattaktionen bei Neuwagen zu hoch sind und die Binnenkonjunktur schwächelt. Zum anderen, weil das Vertrauen in die Traktionsbatterie fehlt: Wer sich für ein gebrauchtes Elektroauto interessiert, will eine verlässliche Aussage über den Zustand – abgekürzt SOH für State Of Health – des elektrochemischen Speichers. Niemand möchte ein Elektroauto, bei dem sich ein Defekt bereits ankündigt, auch wenn der Hersteller noch mehrere Jahre Garantie gibt. Eine Möglichkeit zur substanziellen Überprüfung des SOH sind Tests und Zertifikate. Aber wie funktionieren die eigentlich?
Im Grundsatz sind die Bedingungen für den Kauf eines gebrauchten Elektroautos ideal. Das Angebot ist groß, was unter anderem eine politisch gewollte Folge des sogenannten Umweltbonus ist. Viele moderne Elektroautos wie Hyundai Ioniq 5, VW ID.3 oder Peugeot e-208 kommen aus der Mindesthaltedauer von zwei Jahren als Leasingrückläufer auf den Markt. Im Klartext: Die aktuelle Situation ist ein Käufermarkt.
Auslesung genĂĽgt nicht
Manche Verkäufer haben keine Informationen über den SOH der Traktionsbatterie. Andere bieten lediglich eine Auslesung des BMS (Batterie-Management-System) an. Diese Daten sind nicht ausreichend: Nach einer Untersuchung von 1000 BMS durch das Diagnostikunternehmen Aviloo und dem Vergleich mit dem tatsächlichen SOH ergab sich eine Abweichungsspanne von minus 38 bis plus 91 Prozent. Obwohl die meisten Werte ungefähr stimmten, zeigte ein BMS also im Extremfall nahezu das Doppelte der Realität an. Ein ausführlicher Test der Traktionsbatterie enthält im Regelfall das Laden, Leerfahren und Nachladen. Selbst Laien können so den Energieinhalt bestimmen, wobei dabei die unvermeidlichen Ladeverluste einkalkuliert werden müssen. Sie unterscheiden sich je nach Art der Aufladung zum Teil erheblich.
Beim Premium-Test von Aviloo kann in diesem Verfahren – allerdings mit deutlich aufwendigerem Mess- und Softwarehintergrund – auch ein abweichender Innenwiderstand auf Zellebene nachgewiesen werden. Entscheidend hierbei ist die dynamische Belastung im Messablauf. Der Kunde erhält anschließend ein detailliertes Zertifikat mit dem realen Energieinhalt in Prozent des Neuzustands sowie die Beschreibung von eventuellen Defekten auf Zellebene und anderswo. Das Unternehmen aus Österreich hat auf diese Weise weit über 30.000 umfangreiche Datensätze unterschiedlichster Elektroautos und Plug-in-Hybride erhoben.
Vergleich mit Datenbanken
Diese Sammlung ist die Basis für den Flash-Test. Der Flash-Test muss den Anforderungen eines Gutachters genügen, der nur wenige Minuten hat, um einen Leasingrückläufer zu begutachten. Er vergleicht die aus dem BMS ausgelesenen Daten mit jenen, die Aviloo aus den Premium-Tests geholt hat. Dieser Vergleich erlaubt eine grundsätzliche Aussage über die Funktionsfähigkeit und zeigt die meisten Fehler auf.
Eine Angabe wie beim Premium-Test, wie viel Prozentpunkte der ursprünglichen Reichweite noch zur Verfügung stehen, ist dagegen nicht vorhanden. Stattdessen gibt es einen Score mit maximal 100 Punkten. Kaufwillige, die letzte Sicherheit wollen, sollten den Anbieter fragen, ob sie – vielleicht sogar auf eigene Kosten – einen Premium-Test machen können, auch wenn dadurch mehrere hundert Kilometer mehr auf den Tacho kommen.
Schnelltests sind wichtig, weil die Realität des Autohandels keine zeitintensiven Detailüberprüfungen erlaubt. Auf dieses Anforderungsprofil ist auch der wichtigste Konkurrent von Aviloo zugeschnitten: Der Battery Quick Check von Twaice, der in Kooperation mit dem TÜV Rheinland angeboten wird. Hier wird zwar die Traktionsbatterie nicht komplett leer gefahren, sondern nur stationär für etwa eine Stunde geprüft. Trotzdem ist der Battery Quick Check qualitativ ähnlich einzuschätzen wie der Premium-Test von Aviloo, weil nicht ausschließlich auf BMS-Daten und die Algorithmen des Herstellers zugegriffen, sondern mit einer Simulationssoftware gemessen wird. Twaice vergleicht die Daten mit einer perfekten Traktionsbatterie im Neuzustand, dem sogenannten digitalen Zwilling. Ergebnisse sind ein SOH-Wert und eine mögliche Fehleranalyse.
Noch sind Zertifikate die Ausnahme
Eine flächendeckende SOH-Überprüfung von gebrauchten Elektroautos ist das wichtigste Mittel, um Vertrauen in den Gebrauchtmarkt zu schaffen. Aber diese Entwicklung steht ganz am Anfang, wie die Stichprobe einer Suche bei mobile.de zeigt: 5,7 Prozent aller zum Suchzeitpunkt angebotenen Pkw waren Elektroautos. Von diesen 81.528 Elektroautos hatten nur 1669 ein nicht näher definiertes Batterie-Zertifikat. Das Spektrum reicht vom hochwertigen Test bis zur reinen BMS-Auslesung.
Gewerbliche und die wenigen privaten Verkäufer haben die Bedeutung einer zertifizierten SOH-Feststellung offensichtlich noch nicht auf dem Schirm. Vielleicht wissen sie nicht, dass das überhaupt möglich ist oder sie verweisen auf die Herstellergarantie. Damit sollten sich die potenziellen Käufer keinesfalls zufriedengeben: Es gibt gute Methoden, um den SOH mit einiger Sicherheit zu prüfen und auszuweisen. Der Handel muss lernen, diese Tests nicht als lästige Kostenstelle zu verstehen, sondern als Möglichkeit, nach dem Abschluss des Vertrags zufriedene Käufer zu haben. Das nützt beiden Seiten.
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(mfz)