Gewerkschaften: Die Tech-Branche organisiert sich

Seite 2: Wie alles begann

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Ifeoma Ozoma hatte 2020 als Whistleblower zusammen mit ihrer Kollegin Aerica Shimizu Banks rassistische und sexistische Diskriminierung bei Pinterest angeprangert. Seitdem bietet sie anderen Whistleblowern Hilfestellung.

(Bild: Adriana Malcolm/The New York Times/Redux/laif)

Doch es wird wohl nicht dabei bleiben. Eine von Ozoma angeführte Koalition von Unternehmen drängt andere Tech-Firmen dazu, diesen Schutz auch Mitarbeitern außerhalb Kaliforniens zu garantieren. Unternehmen wie Expensify und Twilio haben bereits zugestimmt. Aber "bei Apple, Google, Facebook und weiteren Firmen sieht es anders aus", so Ozoma.

Unbeeindruckt davon hat die Transparency in Employment Agreements Coalition bei sieben Tech-Konzernen Aktionärsanträge eingereicht, den Schutz von Silenced No More auf alle Mitarbeiter auszudehnen. Apple hatte vergeblich versucht, sich dagegen zu wehren – auf der Jahreshauptversammlung am 4. März nahmen die Aktionäre den Antrag knapp an. Nun muss Apple einen Bericht veröffentlichen, wie es NDAs bei einschlägigen Fällen nutzt.

Die Vorgeschichte begann schon 2018: Zunächst meldete ein Whistleblower von Cambridge Analytica den Datenmissbrauch bei Facebook. Dann kämpften Tausende von Google-Mitarbeitern gegen das Militärprojekt Maven. Und die Enthüllungen, dass der wegen Vergewaltigungsvorwürfen geschasste Google-Manager Andy Rubin eine Abfindung von 90 Millionen Dollar bekommen hatte, führte zu einer massiven, weltweiten Arbeitsniederlegung bei Google.

Seit diesem Streik haben sich jedes Jahr mehr Beschäftigte zu Wort gemeldet, wie das Projekt "Collective Action in Tech" dokumentiert hat. Das Image der Tech-Konzerne als freundliche Giganten bröckelte. "Den Menschen wurde vor Augen geführt, was die kapitalistische Maschine ist und was sie tut", sagt Claire Stapleton, eine der Organisatorinnen.

2021 ging die absolute Zahl der kollektiven Aktionen allerdings wieder zurück. Dafür habe sich aber die Art dieser Aktionen verändert, wie JS Tan und Nataliya Nedzhvetskaya von Collective Action beobachtet haben. "Im Vergleich zu 2018 gibt es heute eine viel realistischere Vorstellung davon, was es bedeutet, Arbeitnehmer zu organisieren", meint Nedzhvetskaya, Doktorandin in Berkeley. "Möglicherweise erkennen die Leute, dass dies individuell nur schwer zu machen ist."

Statt einfach offene Briefe zu schreiben (was ziemlich schnell gehen kann), begannen die Beschäftigten, Arbeitnehmervertretungen zu gründen, was bekanntermaßen eine langwierige Angelegenheit ist – aber dafür auch eine Investition in die Zukunft. Laut Collective Action wurden 2021 zwölf Arbeitnehmervertretungen für Tech-Beschäftigte gegründet, mehr als in jedem Jahr zuvor. Die meisten davon sind in kleineren Betrieben angesiedelt, wo es weniger Hindernisse gibt. Aber auch Beschäftigte größerer Unternehmen beteiligen sich daran. So haben auch die Angestellten eines Subunternehmens von Google Fiber für die Gründung einer Gewerkschaft gestimmt – die erste ihrer Art im gesamten Alphabet-Konzern.

Demonstration von rund hundert Uber-Fahrern im Oktober 2021 in London. Sie richtet sich unter anderem gegen die Sperrung von Fahrern ohne Möglichkeit des Einspruchs.

(Bild: Imago images/ZUMA Wire)

Viele der Betroffenen entsprechen nicht der allgemeinen Vorstellung von Tech-Beschäftigten als fest angestellte Softwareentwickler oder ähnlichem. Eine große und weiter wachsende Gruppe lebt von Einzelaufträgen ("Gigs"), etwa die Fahrer für Uber. Nader Awaad weiß, wo er sie findet: An den Parkplätzen vor Londons belebten Flughäfen, während sie auf Kunden warten. Dort spricht Awaad mit ihnen, verteilt Flugblätter und wirbt für den Beitritt zu einer Gewerkschaft. Dabei hört er sich geduldig die immer gleichen Klagen an.