Gezähmte Zeit

Die exakte Uhrzeit spielt eine erstaunlich wichtige Rolle für das Funktionieren von Telecom-Netzen, Satelliten-Kommunikation oder Stromleitungen. Neuartige Zeitmesser auf Ionen-Basis könnten irgendwann das Internet schneller machen.

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Lesezeit: 16 Min.
Von
  • Astrid Dähn
Inhaltsverzeichnis

Sandford Flemings Kampf um die Zeit begann mit einem kleinen Druckfehler. Als der Chefingenieur der Canadian Pacific Railway an einem sonnigen Juninachmittag des Jahres 1876 vom irischen Landstädtchen Bandoran Richtung Londonderry reisen wollte, wartete er vergeblich auf seinen Zug: Im offiziellen Fahrplan der Bahn war die Abfahrtszeit aus Versehen um zwölf Stunden zu spät angegeben. Kein besonders erstaunliches Missgeschick, denn damals lebte noch nahezu jede Kleinstadt im Rhythmus ihrer eigenen, am Stand der Sonne ausgerichteten Uhrzeit, und die Eisenbahngesellschaften ließen ihre Züge gewöhnlich nach den Ortszeiten ihrer Hauptsitze pendeln.

Die Folge waren dicke, unübersichtliche Fahrpläne mit einem Wirrwarr verschiedener Zeitangaben, in das sich Fehler leicht einschleichen konnten. "Kolossal verärgert" über dieses "an Barbarei grenzende" Durcheinander verbrachte Fleming die Nacht auf einer Bahnhofsbank von Bandoran, verpasste seine Anschlussfähre nach London -- und warb von da an bei zahlreichen Expertentreffen, in Denkschriften und Fachvorträgen Meridiankonferenz, die Erde in 24 Zeitzonen einzuteilen, der Anfang für eine länderübergreifende Uhrensynchronisation war gemacht.

Inzwischen ist das erdumspannende Zeitgeflecht feiner gewoben, als Fleming wohl je zu träumen gewagt hätte. Ob Stromnetze, Datenleitungen oder Navigationssysteme -- fast die gesamte technische Welt pulsiert heute in sorgsam koordiniertem Einheitstakt. Und ein Verbund aus etwa 250 über den Globus verteilten Atomuhren ermittelt die internationale Standardzeit bis in die vierzehnte Nachkommastelle der Sekunde genau.

Präzise genug, möchte man meinen. Uhren ordnen zwar unser Leben, ohne Uhren würde die moderne Welt nicht funktionieren. Aber wer weiß schon, was Zeit eigentlich ist? Mal verrinnt sie wie im Flug, mal zieht sie sich wie eine Ewigkeit. Weshalb sollte man etwas so schwer Fassbares immer exakter ausmessen? Lohnt sich die Mühe überhaupt?