Gezähmte Zeit

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Zumindest einen sicheren Kunden gäbe es jedoch. "Ich denke, dass wir auf die neuen Zeitmesser umstellen, sobald sie einigermaßen erschwinglich sind", sagt Wolfgang Schlüter von der Messstation Wettzell des Bundesamts für Kartographie und Geodäsie. Der deutsche Geodät und seine Berufskollegen in aller Welt benutzen Cäsium-Uhren unter anderem, um den Abstand zwischen ihren Forschungsstationen regelmäßig millimetergenau abzugleichen. Aus den ermittelten Veränderungen können sie dann auf die Driftbewegung zwischen den Erdplatten schließen. "Optische Uhren würden uns vielleicht in die Lage versetzen, Höhen ebenso exakt auszumessen wie die Entfernungen zu Nachbarkontinenten", sagt Schlüter.

Die Idee dahinter stammt aus Albert Einsteins Kuriositätensammlung. Nach den merkwürdigen Spielregeln seiner Allgemeinen Relativitätstheorie verstreicht die Zeit in einem schwachen Gravitationsfeld schneller als in einem starken. Weil das Schwerefeld der Erde mit steigender Höhe abnimmt, vergeht die Zeit auf Bergspitzen ein wenig rascher als in den Tälern. Der Effekt ist zwar gering: Ein Meter Höhengewinn bewirkt gerade mal eine Zeitabweichung in der 16ten Stelle nach dem Komma.

Mit Uhren, deren Genauigkeit mindestens hundertfach darüber liegt, ließe er sich aber eindeutig feststellen. "Das hätte sicher Auswirkungen auf das Vermessungswesen", sagt Schlüter. "Exakte Höhenangaben werden schließlich überall gebraucht, im Straßenbau genau wie beim Berechnen von Satellitenbahnen."

Umgekehrt eignen sich die Uhren natürlich auch als Prüfstein für Einsteins Vorhersagen. Allgemeiner noch: Mit den feinsinnigen Messinstrumenten kann man das gesamte Theoriegebäude der modernen Physik auf Risse untersuchen, zum Beispiel testen, ob die fundamentalen Naturkonstanten tatsächlich über beliebige Zeiträume konstant sind. Wegen solcher Kontrollaussichten interessieren sich neben den staatlichen Zeitverwaltern immer mehr Grundlagenforscher für die Chronometer, darunter Atomphysiker, Teilchenexperten und Kosmologen.

Einige von ihnen tüfteln bereits an der übernächsten Uhrengeneration, die mit hochfrequenter Gammastrahlung getaktet sein soll, die also noch exakter ticken wird als ihr optischer Vorgänger. "Theoretisch, laut Schulphysik, gibt es für die Präzision beim Zeitmessen kein Limit", sagt Theodor Hänsch vom Max-Planck-Institut für Quantenoptik. Praktische Hindernisse werden dem Sekundenzerstückeln aber wohl mit der Zeit doch eine Grenze setzen: Irgendwann reagieren die Uhren so empfindlich auf Schwankungen im Gravitationsfeld der Erde, dass jeder Gezeitenwechsel, jedes Schlechtwettergebiet mit wasserschweren Regenwolken ihren Rhythmus durcheinander bringt. Selbst optische Uhren sind gegen solche Fehler nicht mehr ganz gefeit.