Google Climate Summit: Zur Klimaneutralität mit der Digitalisierung

Der erste deutsche Google Climate Summit sollte die Potenziale der Digitalisierung für den Klimaschutz zeigen, machte aber auch deutlich: Papier ist geduldig.

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Von links: Kate Brandt, Chief Sustainability Officer von Google, und Transformationsforscherin Maja Göpel auf der Bühne des Google Climate Summit.

(Bild: kbe / heise online)

Lesezeit: 13 Min.
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Es liegt sehr nahe, dass gerade Google digitale Anwendungen als einen Schlüssel zur Dekarbonisierung in Deutschland sieht. Inwieweit Energie-Effizienzgewinne und neue KI-Anwendungen aber zusammenpassen werden, wird sich noch zeigen müssen. So wurde Googles generative Künstliche Intelligenz Bard für Nutzerinnen und Nutzer gerade noch in der EU gestoppt. Dass aber trotzdem immer mehr KI zur Anwendung kommt – auch hinter den Kulissen –, ist unbestritten.

Das zeigte sich auch beim ersten Climate Summit von Google in Deutschland. KI-Tools konnten als Helfershelfer in der Klimakrise vorgestellt werden, die Digitalisierung of Things, die auch Emissionen sparen könnte, liegt aber größtenteils gar nicht in Googles Händen. Alle Chancen, die Google aufzeigen konnte, ergeben sich erst dann, wenn in Deutschland ein paar Hebel umgelegt werden.

Zur Bewältigung der Klimakrise bedarf es zweier Dinge, wie Martin Thelle von der Implement Consulting Group während der Pressekonferenz in der deutschen Zentrale von Google deutlich machte: Die Digitalanbieter müssen sich selbst – und ihre energieintensiven Rechenzentren – dekarbonisieren, sie können aber auch bei der Dekarbonisierung der verschiedenen CO₂-intensiven Sektoren der Welt helfen. Wie das den CO₂-Ausstoß von Deutschland beeinflussen könnte, wurde anhand der von Google bei der Implement Consulting Group in Auftrag gegebenen Studie "Digitale Dekarbonisierung" gezeigt. Die Einsparungen könnten beträchtlich sein, wenn denn ein paar Vorannahmen auch tatsächlich realisiert werden.

Kate Brandt, Chief Sustainability Officer von Google, die in Berlin auch zugegen war, wies etwa auf Folgendes hin: "Im internationalen Vergleich zeigt der Bericht, dass in stärker digitalisierten Ländern die Emissionen trotz Wachstum der Wirtschaft schneller sinken als in weniger digitalisierten Ländern."

In ihrer Studie machte die Implement Consulting Group für Deutschland vier Kernbereiche sichtbar, in denen die Digitalisierung die Einsparung von CO₂-Emissionen verstärken könnte. Es handelt sich um diejenigen Sektoren, die zum Teil die meisten Emissionen in Deutschland verursachen und deren Emissionen derzeit auch nicht schnell genug schrumpfen: Das wären der Verkehrs- und Gebäudesektor. Daneben betrachtete die Studie auch die Einsparpotenziale für die (industrielle) Fertigung und die Landwirtschaft.

Die größten Einsparpotenziale durch Digitalisierung sieht die Studie im Verkehrssektor. Dort könne durch intelligentes Lademanagement, intelligente Verkehrsführung und eine Diversifizierung der Verkehrsträger der CO₂-Ausstoß vermindert werden.

(Bild: Digitale Dekarbonisierung, Studie der Implement Consulting Group, Juni 2023)

Setzt Deutschland bei der Umsetzung der verschiedenen angedachten Wenden auch auf die Potenziale der Digitalisierung, so die Studie, ließen sich in den betrachteten Sektoren voraussichtlich 150 bis 180 Megatonnen CO₂ vermeiden. Dies entspreche 20 bis 25 Prozent der jährlichen Treibhausgasemissionen in Deutschland in Bezug auf das Jahr 2020.

Die Emissionsdaten wurden von der Europäischen Umweltagentur (European Environment Agency, EEA) herangezogen. Die für die Studie notwendigen Transformationspfade, orientieren sich an jenen, die Prognos in der Studie "Klimaneutrales Deutschland bis 2045"(PDF) für die Stiftung Klimaneutralität und die deutschen Denkfabriken "Agora Energiewende" und "Agora Verkehrswende" ausgearbeitet hat.

Geht es nach der Studie der Implement Consulting Group, muss sich im Verkehrssektor und auch im Wärmesektor vor allem die Elektrifizierung durchsetzen – und der Energiesektor muss sich ohnehin immer weiter dekarbonisieren. In den Bereichen Industrie und Landwirtschaft werden durch digitale Lösungen Effizienzgewinne und umweltverträglichere Verfahren durch mehr Satellitendaten und den Einsatz von Automation gesehen.

Wird mit der angenommenen Elektrifizierung sowohl das Energie-Angebot als auch die -Nachfrage möglichst effizient mit Software gemanagt, ergeben sich Einsparungen beim Energieverbrauch und eine Überlastung der Energienetze könnte zugleich vermieden werden, so Thelle.

Durch weitere Softwarelösungen – wie smarte Ampelsteuerungen oder ein auf die Energieerzeugung abgestimmtes Lademanagement – sei laut der Consulting-Group-Studie im Verkehrssektor ein Einsparpotenzial von bis zu 72 Prozent möglich, für den Gebäudebereich könnten es nahezu 50 Prozent sein.

Bei der eigentlich schon häufig auf Effizienz getrimmten industriellen Fertigung seien mit digitalen Mitteln nur noch knapp 12 Prozent zu holen, in der Landwirtschaft noch bis zu 25 Prozent. Unsicherheiten seien bei diesen Schätzungen aber einige im Spiel, erklärte Thelle. Manche Potenziale seien noch gar nicht abzuschätzen, da sich so viel mit einem Technikwechsel ändern könne.

Diese Einsparungen könnten allerdings nur geschafft werden, wenn diese Sektoren auch tatsächlich den von Prognos gezeichneten Transformationspfaden folgen. Die Betonung liegt auf "Könnten". Dafür müssen nämlich Bürgerinnen und Bürger mitmachen und entsprechend unterstützt werden. Und wie gerade zu beobachten war, wurden die heftigsten Abwehrgefechte in Bezug auf Verkehr und Gebäude geführt.

Das sieht man zum einen am Streit über das Verbrenner-Aus und die Abgasnorm Euro 7, das hat zum anderen aber auch der Streit über das Gebäudeenergiegesetz gezeigt (GEG). Für den Verkehrsbereich hat sich Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) im Laufe der Zeit sogar einen CO₂-Freibrief erstritten, damit er nicht gegen das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung verstößt.

Die Studie in Googles Auftrag könnte Wissing nun aber sogar recht gelegen kommen. Verweist er nur auf die möglichen Einsparungen durch Technikeinsatz, kann er weiter darauf beharren, dass sein Sektor noch früh genug Richtung Netto-Null-Emissionen strebt – die Digitalisierung klärt das schon. Allerdings lässt die nötige Transformation, etwa hin zu mehr E-Autos, noch auf sich warten – das stellt auch Agora Energiewende in einem Bericht zum Stand der Dinge von 2022 fest.

So erklärt die Denkfabrik: "Der Ausbau der Elektromobilität beschleunigt sich zwar, allerdings ist das Tempo derzeit noch nicht ausreichend, um die erforderliche Reduktion bei der Emissionsentwicklung zu bewirken." Hier klaffen die gewünschten Transformationsschritte und das tatsächliche Geschehen immer wieder auseinander (man denke nur an das Ziel der eine Million Elektrofahrzeuge bis zum Jahr 2020).

Außerdem weist Agora Energiewende auch darauf hin, dass es nicht nur um eine Antriebswende geht, sondern die Diversifizierung des Mobilitätssektors ein Teil der Lösung ist. Das erklärte auch Thelle auf Nachfrage im Anschluss an die Pressekonferenz. Es müssen mehrere Lösungen zusammenkommen und nicht alles wird Elektrifizierung oder Software lösen. Das konnte in der Kurzvorstellung der Studienergebnisse aber leicht falsch verstanden werden.

Wie die Prognos-Studie zum Beispiel für den Verkehrssektor zeigt, geht es nicht nur um die Elektrifizierung der Verkehrsträger, es müssen auch noch andere Maßnahmen ergriffen werden.

(Bild: Studie "Klimaneutrales Deutschland 2045" aus dem Jahr 2021)

Im Gebäudesektor sieht es ähnlich aus. Zwar können auch Bauministerin Klara Geywitz (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) auf mögliche Einsparpotenziale durch die Digitalisierung hinweisen – unter anderem durch den Einsatz von Smart-Metern –, der Anschluss von PV-Anlagen, neuen Heizsystemen und intelligenten Ladelösungen muss dafür aber erst einmal gelingen. Die bisher verkündeten Änderungen an früheren GEG-Entwürfen haben die Wärmewende aber weniger dringlich gemacht.

Wie Transformationsforscherin Prof. Dr. Maja Göpel später während ihres Climate Summit Panels erklärte, sei genau hier ein Problem zu erkennen: Ziele könnten immer wieder neu aufgestellt werden – Klimaziele werden sogar auf dem Papier immer ambitionierter – es gehe aber auch um das Machen und nicht nur das Wollen. Was hilft es also, dass Deutschland schon 2045 klimaneutral sein will, wenn alle Schritte dahin sabotiert oder verlangsamt werden?

Göpel hob aber auch noch auf ein weiteres Problem in der heutigen Klimadebatte ab: Es werde mittlerweile oft mit veralteten Daten gearbeitet, die eher darüber hinwegtäuschen, wie dramatisch die Lage derzeit schon ist. An dieser Stelle konnte Google sich positionieren: Der große Datenschatz, der bei dem Unternehmen liegt, könnte dieses Problem zumindest mildern – und Google gibt tatsächlich einen Teil seines Schatzes frei, damit mehr Entscheidungen für Nachhaltigkeit getroffen werden können.

Kate Brandt erklärte während ihres Panels mit Göpel: "Google möchte mit Partnerschaften und Produkten einen Beitrag leisten – von der nachhaltigen Stadtplanung bis hin zu klimafreundlicher Mobilität." Des Weiteren gebe es schon jetzt eine Künstliche Intelligenz bei Google, die die Windausbeute der kommenden Tage voraussagen kann, so Brandt. Ob sich verheerende Fluten ergeben können, könne eine KI schon sieben Tage im Voraus bestimmen. Diese Werkzeuge können also ganz konkret klären, wie viel Energie zu einem bestimmten Zeitpunkt zur Verfügung steht, und auch, wie besser vor Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels gewarnt werden kann.

Holger Luedorf von Google Maps erklärte, welchen Einfluss sein Angebot auf den emissionsreichen Verkehrssektor nehmen kann und wie dort auch ein von Google gelenktes Nudging aussieht. Mit der Einführung der spritsparenden Routen können Menschen sich für die Route entscheiden, die zu weniger Emissionen führt. Wie Google bekannt gab, wurden seit Einführung der Funktion in den USA, Kanada, Europa und Ägypten bis Ende 2022 schätzungsweise 1,2 Millionen Tonnen CO₂ vermieden. Das entspräche dem Effekt, wenn 250.000 benzinbetriebene Autos ein Jahr lang nicht fahren würden. Zudem biete Google Maps längst die Möglichkeit, auch individuell geplante Fuß- oder Radwege besser einschätzen zu können.

Eng arbeite man auch mit dem Partner Deutsche Bahn zusammen, unterstrich Luedorf. Google könne die Auslastung von verschiedenen Verkehrsträgern stundengenau anzeigen – so, wie es auch der DB Navigator schon grob tut, indem er auf hohe Auslastungen von einigen Zügen hinweist. Seit dem 14. Juni wird über Google aber auch der DB-Service "Call a bike" in Voraussagen einbezogen. Menschen in Berlin, Köln und Frankfurt soll so der Umstieg auf das Fahrrad für die Anschlussmobilität erleichtert werden. Passend dazu habe man für Berlin seit Anfang des Jahres hunderte Kilometer aktualisierte Fahrradweg-Routen verfügbar gemacht. Dies gehe auf eine Zusammenarbeit mit der Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt (SenUMVK) zurück.

Wird eine Flugreise per Google gesucht, wird dieser auch eine klimaschonendere Bahnreise gegenübergestellt – mit dem möglichen CO₂-Einsparpotenzial. Menschen könnten sich durch diese Transparenz bewusst für eine klimaschonendere Reise entscheiden.

Um auch Städte in ihrer Gesamtheit beim Klimaschutz etwas unter die Arme zu greifen, gibt es den Klimaschutz-Planer "Environmental Insights Explorer" (EIE). Dieser sei für 700 deutsche Städte und Regionen kostenlos verfügbar und kann Stadtplanerinnen und -planern etwa zeigen, welche Routen wie stark ausgelastet und welche Verkehrsträger genutzt werden, wo aber auch Bepflanzung fehlen könnte – denn für die Abmilderung der Klimafolgen in den Städten bedarf es mehr Stadtgrün, welches Orte abkühlen kann. Auch das Solar-Potenzial könne mit dem Tool für die eigene Stadt gezeigt werden.

Satellitendaten, Verkehrsdaten und viele mehr: Bei Google häufen sich Datenschätze an, die nun Städten und Gemeinden bei der Transformation helfen sollen.

(Bild: Google EIE)

Auf die Frage hin, wie Google damit umgehen möchte, falls Geldgeber aus fossilen Industrien die zunehmende Sichtbarmachung von alternativen Mobilitäts- oder Energieformen kritisieren und vielleicht auch damit drohen, weniger Werbung zu schalten – von der Google schließlich immer noch hauptsächlich lebt – hieß es, dass Google Produkte im Hinblick auf seine Nutzer entwickle. So seien hilfreiche Informationen für Nutzerinnen und Nutzer schon immer eine Priorität. Gleichzeitig arbeite Google unter anderem mit der Automobilbranche oder Fluggesellschaften an nachhaltigeren Lösungen. Um das eigene "Travel Impact Model" zu verbessern, habe man beispielsweise kürzlich eine neue Partnerschaft mit der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) und der Lufthansa angekündigt. Via Google Earth könnten Regierungen, Unternehmen oder Forschende zudem mit Satellitendaten arbeiten. Die eigenen Richtlinien prüfe man sorgfältig und kontinuierlich, und ganz klar sei: Google entwickle keine benutzerdefinierten KI- oder ML-Algorithmen, um die Förderung in der Öl- und Gasindustrie zu erleichtern.

Seine eigenen Geschäfte will Google bis zum selbst gesetzten Zieljahr 2030 klimaneutral aufstellen. Bis dahin soll der genutzte Strom für alle seine Einrichtungen zu 100 Prozent "CO₂-frei" produziert werden. Für das Jahr 2022 wurden die Rechenzentren von Google in Deutschland bereits zu circa 80 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben, hieß es. Zugleich hätte ein aktueller Bericht geschätzt, dass alle in Deutschland betriebenen Rechenzentren im Jahr 2022 einen Ausstoß von fast 8 Millionen Tonnen CO₂ verursachten. Gerade bei diesen schlummerten noch einige Einsparmöglichkeiten, erklärte Google und verwies damit auch auf eigene Angebote.

Von der Gesetzgeberseite wünschte sich das Unternehmen nach Vorstellung der eigenen Studie mehr Unterstützung, um die Energieversorgung schnell klimaneutral gestalten zu können. Auch eine Förderung von digitalen Dienstleistungen, die zum Umwelt- und Klimaschutz beitragen, steht auf der Wunschliste.

Am Rande der Panels wurde trotzdem betont: Ein Werbeverbot für fossile Industrien und ihre Geschäftszweige gibt es in Google-Produkten bisher nicht. Was es nun auf jeden Fall gibt: Das European Journalism Center und die Google News Initiative schreiben den Climate Journalism Award aus, um "herausragenden, innovativen Klimajournalismus in Europa zu fördern". Wenn Google also weiterhin Werbegelder von fossilen Industrien annimmt, dann kann nun zumindest der Journalismus gewürdigt werden, der auch darüber berichtet.

Eine Analyse von Kristina Beer

Kristina Beer schreibt und moderiert für heise online. Sie beschäftigt sich gerne mit der Frage, wie sich technischer Fortschritt auf Gesellschaft, Wirtschaft und politische Entscheidungen auswirkt.

(kbe)