Interview zur Automatisierung: "Nahezu kein Beruf fällt komplett weg"

Seite 2: Helfen soziale Netzwerke?

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Die wenigsten verdienen auf Youtube oder Instagram nennenswert Geld. Zählt das als Arbeit?

Einige Leute verdienen viel Geld damit, andere machen diese Arbeit einfach sehr gerne. Auch auf Substack [eine Plattform für Newsletter, Anm. d. Red.] verdienen manche gutes Geld. Aber natürlich kämpfen einige damit, neue Aufgaben zu finden. Die Lösung ist aber nicht, einen Status Quo dauerhaft zu erhalten – so hat unsere Wirtschaft noch nie funktioniert. Sie ist flexibel, es entstehen neue Jobs, alte verändern sich – und letztlich führt das zu einem höheren Lebensstandard. Manche genießen neue Aufgaben und Veränderungen. Und die meisten der neuen Jobs sind tendenziell kreativer und erfordern mehr soziale Interaktion. Vielen Leuten macht das mehr Spaß als die alten Jobs, die sehr repetitiv sind und deshalb ja auch besser von Maschinen übernommen werden können.

Aber können diese Menschen jetzt ohne Weiteres diese neuen, kreativeren, oft auch anspruchsvolleren Tätigkeiten übernehmen?

Ich glaube, das ist ein generelles Missverständnis in dieser Debatte, dass diese neuen Jobs anspruchsvoller sind oder mehr Ausbildung benötigen. Viele benötigen eine hohe emotionale Intelligenz wie Kinderbetreuung, Coaching oder Verkauf – diese Jobs brauchen nicht einfach nur einen hohen IQ. Es ist nicht so eindimensional wie häufig behauptet wird, dass die Berufe für weniger Qualifizierte verschwinden und die für Hochqualifizierte immer mehr zunehmen. Amazon beispielsweise stellt gerade immer mehr Arbeiter in ihren Logistiklagern ein, auch weil die motorischen Fähigkeiten von Maschinen noch nicht so gut sind. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das langfristig so bleibt, denn dieser Job wird in fünf bis zehn Jahren vermutlich ebenfalls automatisiert sein.

Was ist denn das größte Missverständnis in der Öffentlichkeit, wenn es um die Zukunft der Arbeit mit Robotern geht?

Eine Fehlannahme ist etwa die verbreitete Angst davor, was Roboter oder was Künstliche Intelligenz (KI) uns alles antun werden. Dabei wird vergessen, dass diese Maschinen von Menschen entwickelt werden und dass wir mit ihrer Hilfe eine inklusivere Gesellschaft gestalten können. Wir können entscheiden, ob wir sie nutzen wollen, um Reichtum und Macht zu konzentrieren. Und ich gehe noch einen Schritt weiter und sage: Weil diese Technologie so machtvoll ist, gibt sie uns die Möglichkeit, die Welt besser zu machen. Wir haben mehr Kontrolle über die Welt als je zuvor.

Wie können wir die Welt verbessern mithilfe von Automatisierung?

Ich sehe da sehr viele Ansatzpunkte. Technologen können diese Tools so gestalten, dass sie unsere Arbeit spannender machen und uns lästige Tätigkeiten abnehmen. Ich berate beispielsweise ein Unternehmen, das KI im Callcenter einsetzt. Aber nicht, um Mitarbeiter zu ersetzen, sondern um ihnen zu helfen: Die KI gibt ihnen Ratschläge, welche Themen sie in einem laufenden Gespräch als nächstes ansprechen könnten, wie sie gerade auf den anderen wirken oder wo die Interaktion gerade stockt. Mensch und Maschine zusammen machen hier einen deutlich besseren Job als der Mensch oder die Maschine allein.

Ganze Berufe zu automatisieren würde also die Möglichkeiten der KI gar nicht optimal ausnutzen?

Ja, und viele Manager denken gerade nicht kreativ genug. Sie schauen sich etwas an und fragen: Wie können wir das automatisieren? Dabei sollten sie fragen: Wie können wir das besser machen? Manager können Menschen mit Technologie unterstützen statt sie zu ersetzen. Und wenn wir mehr Menschen beschäftigen, erarbeiten wir mehr Reichtum für alle.

Anders als in "The second machine age" sagen Sie jetzt also, dass Mensch und Maschine zusammenarbeiten werden. Haben Sie Ihre Ansichten geändert?

Ich würde sagen nein, aber vielleicht habe ich das damals nicht klar genug ausgedrückt. Schon in unserem Buch "Race against the machine" von 2011 haben Andrew McAfee und ich gesagt, dass es eigentlich "Race with the machines" heißen müsste. Dass wir nicht gegen die Maschine ankämpfen sollten, sondern uns zusammentun, um mehr Wert zu erarbeiten. Wir haben die Chance auf so viel mehr Produktivität, also sollten wir sie nutzen. Ich bin erstaunt, dass so viele Menschen fordern, diese Entwicklung zu bremsen. Wir erhöhen damit doch den Wohlstand aller.

Wirklich aller? Wer profitiert denn von dieser gesteigerten Produktivität? Sind es nicht die, die ohnehin schon viel besitzen, die großen Unternehmen?

Oh ja, das stimmt natürlich. Wir können mehr Reichtum schaffen, aber es gibt natürlich keinen Automatismus, der dafür sorgt, dass dieser Reichtum breit geteilt wird. Wir müssen aktiv werden als Unternehmer und Politiker und dafür sorgen, dass es so kommt. Das ist die Herausforderung. Und das ist keine Entscheidung, die Maschinen für uns treffen können, die müssen wir selbst treffen.