James Lovelock, Umweltforscher und Vertreter der Gaia-These, ist tot

Seite 2: Glauben Sie an die Singularität, Herr Lovelock?

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Und das halten Sie für gefährlich?

Sie erinnern sich vielleicht noch daran, wie es war, als die Diskussion um Gefahren der künstlichen Intelligenz aufkam. Die Leute haben gelacht und gesagt, wenn eine KI nicht macht, was wir wollen, dann können wir immer noch den Stecker ziehen. Aber wie wollen Sie bei einer militärischen Drohne den Stecker ziehen, die 10.000 Meter hoch über ihren Köpfen fliegt, bis an die Zähne bewaffnet ist und tausendmal schneller denken kann als ein Mensch?

Sie halten es also tatsächlich für wahrscheinlich, dass Maschinen die Kontrolle über uns Menschen übernehmen?

Ich kann Ihnen nicht sagen, was passiert. Natürlich kann man versuchen, die Computer so zu programmieren, dass sie Menschen gegenüber immer freundlich sind. Aber diese Entwicklung öffnet die Tür für den mächtigen Prozess der natürlichen Auslese, kombiniert mit Moores Gesetz. Ein Prozess, der unabhängig von uns Menschen stattfindet.

Das heißt, Sie glauben an die Singularität, den Punkt, an dem wir die Maschinen nicht mehr kontrollieren können, weil sie sich selbst verbessern?

Sie meinen die Idee von Ray Kurzweil, der jetzt bei Google arbeitet? Ich denke, Kurzweil hat konventionelle Computer gemeint, die Von-Neumann-Architektur, über die wir gesprochen haben. Solch ein Computer kann niemals menschliche Fähigkeiten erreichen. Warum nicht? Weil wir Menschen nicht so denken. Wir denken zum großen Teil intuitiv. Die aktuelle Entwicklung in der Computerwissenschaft macht Kurzweils Idee von der Singularität jedoch sehr viel wahrscheinlicher. Das ist eine echte Gefahr.

Sie sind einer der wenigen Wissenschaftler, der ausdrücklich von sich sagt, er denke überwiegend intuitiv und nicht analytisch. Warum ist das so?

Neuronen transportieren Signale 30 Zentimeter weit in einer Millisekunde. Das ist eine Million Mal langsamer als Elektronen in einem Draht. Verglichen mit Computern sind wir also enorm im Nachteil. Aber diese langsame Signalübertragung wird dadurch ausgeglichen, dass Signale über Millionen von Kanälen übertragen werden. Das Gehirn ist ein massiv-paralleles System, das nicht mit einer Abfolge logischer Schlüsse arbeitet. Ich bin ein Erfinder. Mir passiert es immer wieder, dass Leute zu mir kommen und sagen, wäre es nicht toll, wenn es eine Maschine gäbe, die dies oder jenes kann. Und wenn ich denke, das ist interessant, habe ich plötzlich eine Idee, wie das gehen könnte. Wo kommt diese Idee her? Aus ganz vielen Informationen, die ich im Laufe der Jahre aufgenommen habe. Daran ist nichts Übernatürliches. Das Gehirn speichert wichtige Informationen und kann diese über seine parallele Verarbeitung sehr schnell und effektiv miteinander kombinieren. Stellen Sie sich vor, Sie sind ein steinzeitlicher Jäger und Sammler. Sie sind im Wald, und plötzlich taucht ein Tiger auf. Dann haben Sie keine Zeit, um lange nachzudenken. So hat sich unsere Fähigkeit entwickelt, intuitiv zu reagieren. Aber natürlich braucht man Jahre, um all die Informationen anzusammeln, aus denen spontane Ideen und Problemlösungen entstehen. Ich kann Ihnen das aus eigener Erfahrung sagen, weil ich das mein ganzes Leben lang getan habe.

Verlieren wir diese Fähigkeit, wenn das Internet zur dominierenden Informationsquelle wird? Dort kann man alles nachschlagen, muss also unter Umständen weniger wissen.

Glauben Sie mir, es kann verdammt viel Zeit kosten, etwas nachzuschlagen. Ich denke grundsätzlich, dass man sich den Kopf mit Informationen vollstopfen sollte, jedenfalls solange man jung ist. Kinder sollten die grundlegenden Fakten lernen, bevor sie die Pubertät erreichen. In dieser Zeit saugt das Gehirn Informationen auf wie ein Schwamm. Sie müssen nicht alles verstehen, solange sie sich die Fakten merken. Das Verständnis kommt später, wenn sie es brauchen. Ihr Gehirn wird dafür sorgen. Zumindest bei mir hat das immer so funktioniert.

Letzte Frage: Sie haben mit über 90 noch einen Flug bei SpaceX gebucht. Wollen Sie den immer noch wahrnehmen?

Wie Sie wissen, hat SpaceX Probleme. Nach dem letzten Unfall hat die zuständige Aufsichtsbehörde gesagt, es würde sicherlich noch zwei oder drei Jahre dauern, bis man eine Starterlaubnis für bemannte Flüge erteilen könnte. Dann bin ich 100. Ich fürchte, die werden mich dann nicht mehr als Passagier akzeptieren. Ich würde gern fliegen. Aber ich bin mir nicht sicher, ob sie mich mitnehmen.

(jle)