Krise bei VW: Ohne Kernpublikum und China läuft es nicht
Vielen Medien zufolge ist bei Volkswagens Kernmarke VW gerade Feuer unterm Dach. Die Marke hat zwar mindestens drei Probleme – doch alle sind lösbar.​
Wer die aufgeregte Debatte über die Situation von VW verfolgt, könnte vereinzelt den Eindruck gewinnen, die Volkswagen-Marke sei ein schwerer Sanierungsfall, dem unmittelbar die Pleite drohe. Das ist schon deswegen ziemlich unwahrscheinlich, weil das Land Niedersachsen bis heute Anteilseigner ist. Nach Abzug der Steuern erzielte der Konzern insgesamt eigenen Angaben zufolge im vergangenen Jahr einen Gewinn von 17,9 Milliarden Euro, was eine Steigerung um 2,1 Milliarden Euro gegenüber 2022 entspricht. Dennoch muss VW ein paar Dinge in den Griff bekommen. Sie zu lösen, ist zum Teil nicht trivial, allerdings auch nicht unmöglich.
Was ist passiert?
Volkswagen hat Ende 2023 ein großes Sparvorhaben verabschiedet, mit dem die Rendite der Kernmarke VW deutlich gesteigert werden soll. In der vergangenen Woche wurde bekannt, dass dieser Plan nicht ausreicht, um die Ziele zu erreichen. Deshalb wurden erstmals betriebsbedingte Kündigungen und Werksschließungen nicht mehr ausgeschlossen. Beides kann allerdings nicht einfach umgesetzt werden, denn bei VW ist die Arbeitnehmervertretung solide verankert, der Betriebsrat mächtig und das Land Niedersachsen als Anteilseigner hat ebenfalls Mitspracherecht.
Deshalb sind beide Forderungen ein Teil des politischen Spiels: Man geht mit maximalen Positionen in die Schlacht, wohl wissend, dass sich nicht alles davon umsetzen lassen wird. Ebenso klar ist: Auch die Gegenseite weiß, dass nicht alles so bleiben kann, wie es derzeit ist. Es gibt auch in dieser sich abzeichnenden Debatte einen Unterschied zwischen dem, was jeweils öffentlich propagiert wird, und dem, was im Hintergrund läuft.
Überkapazitäten
Der Marktführer schafft es momentan nicht, alle Werke auszulasten. Die Rede ist von bis zu 500.000 Autos pro Jahr, die Volkswagen nicht absetzen kann. Der Absatz in China schwächelt, und in Europa gibt es eine gewisse Zurückhaltung bei teuren Anschaffungen.
Wenn Werke nicht ausgelastet werden können, hat eine Konzernführung mehrere Möglichkeiten, und keine ist verlockend. Man kann die Autos trotzdem bauen und mit Verlusten in den Markt drücken. Volkswagen hat dazu die Macht, doch die ohnehin vergleichsweise schmale Rendite wäre damit ruiniert. Eine andere Lösung wäre, die Werke reduziert laufen zu lassen, temporär stillzulegen oder zu schließen.
Umsatzrendite
In den Tagesthemen vom 4. September war die Rede davon, dass Volkswagen zum Teil nur noch ein Prozent Umsatzrendite einfährt. Das ist nicht nur im Vergleich zur Konkurrenz wenig, es beschneidet vor allem den wirtschaftlichen Spielraum eines Unternehmens unter Umständen empfindlich.
Einerseits schränkt es die Möglichkeit ein, auf sich verändernde Bedingungen des Marktes rasch zu reagieren. Der Wegfall der staatlichen Kaufunterstützung für Elektroautos Ende 2023 ist nur ein Beispiel davon. Andererseits fehlt irgendwann das Geld für Investitionen.
Geschäft mit Elektroautos
Nach dem Betrug mit Abgaswerten, die vor ziemlich genau neun Jahren öffentlich bekannt wurden, gab es bei VW einen grundlegenden Wandel. Gemessen in industriellen Maßstäben hat der Konzern innerhalb sehr kurzer Zeit eine batterieelektrische Plattform auf den Markt gebracht. Es ist wohl auch dem ehemaligen Volkswagen-Chef Herbert Diess zu verdanken, dass die ersten Modelle auf den Markt kamen, bevor sie tatsächlich fertig waren. Eine verheerende Entscheidung, die den Ruf der ID-Modelle nachhaltig beschädigt hat. Inzwischen sind die schlimmsten Sünden zwar beseitigt, doch von der vagen Idee, dass beispielsweise der ID.3 perspektivisch irgendwann einmal den Golf ersetzen könnte, ist nichts mehr übrig.
Dazu zahlt sich Volkswagens Kurs, die Entwicklungspriorität auf Elektroautos zu legen, bislang nicht aus. Nach dem Ende der staatlichen Kaufunterstützung ist die Nachfrage hierzulande eingebrochen. Wollte man zynisch sein, könnte man argumentieren, dies belege die Wirksamkeit steuerlicher Lenkungswirkung. Vielmehr zeigt es aber, dass es verlässliche Rahmenbedingungen braucht. Die Politik hat in dieser Hinsicht noch einen gewissen Nachholbedarf. Wenn beispielsweise Sahra Wagenknecht darauf hinweist, man baue die besten Verbrennungsmotoren der Welt, ist das vielleicht nicht grundlegend falsch. Die Frage, was davon perspektivisch zu halten ist, bleibt dabei allerdings unbeantwortet.
China-Geschäft
Ăśber Jahrzehnte war Volkswagen in China MarktfĂĽhrer. Rund 40Â Prozent der Autos aus dem Konzern werden dort verkauft. Volkswagen ist dort noch immer eine Macht, allerdings eine schrumpfende. Zwar hat auch in China die Mehrheit der erstmals zugelassenen Autos einen Verbrennungsmotor eingebaut, doch der Anteil der Elektroautos ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen. In diesem Umfeld tut sich Volkswagen auf der einen Seite schwer, den Geschmack der Kundschaft zu treffen. Andererseits tut die Kommunistische Partei einiges, um die wachsende Autoindustrie im eigenen Land zu unterstĂĽtzen.
Was ist zu tun?
Volkswagens Kernmarke VW wird um einen harten und gerade fĂĽr die Belegschaft auch schmerzhaften Sparkurs vermutlich nicht herumkommen. Sie darf auf eine wieder anlaufende Konjunktur im kommenden Jahr hoffen, doch an ein paar Dingen muss VW arbeiten. Die Software ist besser geworden, doch gegen Android Automotive tut sie sich schwer.
Ich glaube, das Kernpublikum der Marke bevorzugt eine konservative Gestaltung. Der ID.3 entspricht dem eher nicht. Dazu wirkten die Autos früher oberflächlich hochwertig. Warum VW sich diesen Punkt aus der Hand nehmen ließ, ist bis heute einigermaßen unverständlich. Vor allem aber muss es VW gelingen, auch mit Elektroautos in China zu reüssieren. Gelingt das nicht, ist alles andere vergeblich.
(mfz)