Natur machen lassen: Was passiert in Deutschlands einzigem Rewilding-Projekt?

Seite 3: Verwildern reicht nicht

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Verwildern im Sinne von Renaturieren ist jedoch nur ein Aspekt von Rewilding als Wildnis- und Prozessentwicklung. An dieser Stelle offenbart sich die fundamentale Neuerung, die hinter dem Begriff steckt: Naturschutzgebiete, Natura-2000-Zonen, Biosphärenreservate – hinter all diesen traditionellen Naturschutzkonzepten steht heute noch eine Idee aus den 1970er-Jahren: Natur, wo sie noch funktioniert, soll bewahrt werden. Tier- und Pflanzenarten, die auf der Roten Liste stehen, sollen durch die Schutzkonzepte genau dort bleiben, wo sie sich zum Zeitpunkt X ihre Nische eingerichtet haben. Der Fokus dieses protektionistischen Naturschutzansatzes liegt auf Stillstand. "Nehmen wir das Beispiel Natura-2000-Flächen", sagt Josiane Segar, Wissenschaftlerin am Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig. "Die sind meistens so stark beschützt, dass sie sich nicht natürlich verändern können. Aber es ist Teil der Natur, dass Dinge sich verändern, dass Arten kommen und gehen. Vielleicht gibt es diese besondere Rote-Liste-Art dann irgendwann in der Zone nicht mehr, aber dafür in einem benachbarten Gebiet."

Rewilding ermögliche nun, diese benachbarten Gebiete mit in das Natur-Konzept einzubeziehen. Es bedeutet ein Stück loszulassen, zu akzeptieren, dass Natur sich verändert, und sie in großen Gebieten zu beobachten. Im besten Fall stellt man dann fest, dass der Zustand der Natur, der Biodiversität, sich in der Fläche positiv entwickelt hat – auch wenn die geschützte Art vielleicht aus ihrer Schutzzone ausgewandert ist.

Die größten Schutzzonen des ROD-Gebietes an der Peenemündung – die Kernzone des Peenetals ist etwa 20.000 Hektar groß – wurden kurz nach der Wende von 1992 bis 2009 eingerichtet. In den 17 Jahren Projektlaufzeit sind 27,2 Millionen Euro öffentliche Mittel in die Landschaft geflossen. Davon stammten über 70 Prozent vom Bund. Es war eines der größten Naturschutzprojekte Deutschlands. "An der Peene haben Umweltschützer einfach mal Nägel mit Köpfen gemacht und ich kann verstehen, dass sie ihre Chance genutzt haben", sagt Johannes Schiller vom Helmholtz Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig. "Aber das hat vor Ort eine ganze Menge Kollateralschäden hinterlassen." So sind dann auch die Versuche, die Region nach Projektende in einen Nationalpark umzuwandeln oder Flächen kostenlos an die NABU-Stiftung Nationales Naturerbe zu übertragen, letztlich an Widerständen aus der Bevölkerung gescheitert.

Im Herzen des Rewilding-Gebietes, unterhalb des Stettiner Haffs liegt die Ueckermünder Heide mit dünner Besiedlung, einem großen Truppenübungsplatz, kargem Boden und viel durch Deiche und Entwässerungspumpen trockengelegtem Grünland. Wenige geschützte Flächen, kaum Naturschutzgebiete. Hier möchte der ROD nicht die Fehler der Nach-Wende-Zeit an der Peene wiederholen und Naturschutz an der Bevölkerung vorbei durchsetzen. Schiller erforscht nun gemeinsam mit mehreren Partnereinrichtungen in dem auf drei Jahre angelegten Rewild_DE-Forschungsprojekt, wie sich mehr Wildheit und die kulturelle Situation vor Ort verbinden lassen: "Wir wollen erforschen, wie wir in der Landschaft bestimmte Nutzungen und gleichzeitig die Natur erhalten können", sagt Christoph Schröter-Schlaack, Umwelt-Ökonom am UFZ. "Wie bekommen wir es hin, die Leistung der Natur zu steigern und den Menschen damit einen Lebensunterhalt zu ermöglichen, sodass es in ihrem Interesse ist, diese Natur weiter zu erhalten?"