Natur machen lassen: Was passiert in Deutschlands einzigem Rewilding-Projekt?

Seite 4: Mit den Menschen zusammen

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Peter Torkler betreut Rewilding Oder Delta vor allem auf der polnischen Seite des Gebiets.

(Bild: Brais Palmás / The Rewilders)

Um diese Menschen zu erreichen, hat ROD ein Büro im Schloss von Rothenklempenow bezogen – einem kleinen Ort nahe der polnischen Grenze und nah am Truppenübungsplatz, den Torkler morgens besucht hat. "Wir sind davon überzeugt, dass es bei Rewilding darum geht, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen", sagt Schiller. "Es kann nicht darum gehen, etwas gegen die lokale Bevölkerung durchzusetzen. Stakeholder-Interaktion ist ein wichtiges Thema und wir werden unkonventionelle Ansätze ausprobieren, um in den Dialog über die Zukunftsbilder der Leute zu kommen." Er denkt an Kunstprojekte oder an Landschaftsspaziergänge, bei denen Landwirte, Forstleute und Wasserbauer ins Gespräch kommen und im Idealfall nicht nur ihr Wissen austauschen, sondern die Perspektive wechseln und gemeinsam Lösungen finden, die die Natur weiterbringen, ohne dass die Pille, die Einzelne schlucken müssen, zu bitter wird.

"Ich glaube, Rewilding ist diese Suche nach diesem Kompromiss", sagt Peter Torkler. Er sitzt im Gras auf einem Uecker-Deich, der das dahinter liegende Grünland vor dem Wasser des Flusses abschirmt. Der Deich dient nicht nur dem Hochwasserschutz. Die Flächen dahinter werden aktiv mit Pumpstationen entwässert – sind aber trotzdem noch zu nass für eine sinnvolle landwirtschaftliche Nutzung. Hinter Torkler dösen ein paar Pferde im Schatten eines Baumes auf der Weide. Der zertrampelte Fleck, auf dem sie stehen, ist moorig-schwarz und sumpfig. Vor ihm, mitten im Fluss, liegt eine kleine Insel, und die ist seit kurzem im Besitz von ROD. Zu der Insel gehört noch ein Stück Land am anderen Ufer. Insgesamt sind es gut zwei Hektar. Das ist zwar nur eine kleine Fläche, aber sie ist der Fuß in der Tür. "Man kann hier schon sehen, dass ein so kleines Gebiet durchaus viel Totholz haben kann", sagt Torkler. "Das sind dann Ansitze für Greifvögel. Wasserstellen helfen den durchziehenden Tieren und so entstehen kleine Trittsteine in der Landschaft, die die Vielfalt der Tierwelt befördern."

Diese zwei Hektar mitten in der Uecker bringen ROD ins Gespräch mit Grundstücksnachbarn und dem lokalen Netzwerk. Sie geben dem Verein die Möglichkeit, salamischeibchenweise die Nutzungsintensität der Landschaft von ihren zwei Hektar aus herunterzufahren und dynamische, sich selbst erhaltende Prozesse wieder in Bewegung zu bringen. Auf diese leise Weise betreibt ROD derzeit verschiedene Renaturierungsmaßnahmen in der Heide mit Traumtaler-Mitteln, baut künstliche Einbauten im Fluss Ina zurück, renaturiert Auen, bereitet mit Habitatverbesserungen ein Naturschutzvorhaben des Bundes an der Küste vor und streckt seine Fühler in marines Rewilding aus. "Wir könnten morgen Wisente in der Region haben und spektakuläres Rewilding betreiben, aber das tun wir mit Absicht nicht", sagt Torkler. Er will lieber durch positive Entwicklung überzeugen.

Wildheit braucht Wasser, und Biber sind hervorragende Wasserbauer – mit ganz anderen Vorstellungen von gutem Wassermanagement als Menschen. Das macht sie für Rewilding so wertvoll.

(Bild: Solvin Zankl / Rewilding Europe)

ROD spielt dabei auch auf Zeit. Die Deiche werden nicht ewig halten und die ersten Pumpstationen, die das Hinterland entwässern, versagen bereits. Dass hier großflächig entwässert wird, liegt an der aktuellen Agrarförderpolitik. Die Landwirte bekommen Subventionen für die Bewirtschaftung der Flächen. Auch wenn das Erntegut weitgehend wertlos ist, lohnt es sich, die Flächen weiter zu bewirtschaften, wenn sie nur groß genug sind. Landwirte, die 1.000 Hektar Grünland besitzen, haben kein Interesse daran, Flächen an die Natur abzugeben – kleinere Betriebe schon eher. Die Deiche zu erneuern und Pumpstationen zu reparieren, wird jedoch so teuer werden, dass es sich trotz Subventionen nicht lohnen wird – hofft Torkler.

"Wir haben hier gerade so einen Fall", erzählt er. "Ein Landwirt, mit dem wir zusammenarbeiten, hält 30 von 40 Hektar Land, die von einer Pumpstation entwässert werden." Diese Pumpstation sei nun defekt, aber die Eigentümerin, der die restlichen zehn Hektar gehören, habe Sorge, dass ihr Keller vollläuft, wenn die Pumpe nicht repariert würde. "Das heißt, der Landwirt ist gezwungen, mehrere 100.000 Euro für eine neue Pumpstation auszugeben, die die Entwässerung voranbringt, obwohl sich das wirtschaftlich nicht lohnt." Also versucht ROD jetzt, die Deutsche Umwelthilfe an Bord zu holen und politisch für solche Fälle zu sensibilisieren, um Lösungen zu finden.

Allianzen schmieden, mit Behörden sprechen, Strippen ziehen – Rewilding zu betreiben, hat wenig mit Naturromantik zu tun. Aber es kann diese verkaufen. Wenn die Natur sich ausbreitet, bleibt weniger Raum für ihre Nutzung. Dafür kommt die Schönheit, es kommen die Tiere und die sind touristisch attraktiv. Nicht ohne Grund versuchen Rewilding-Zonen, möglichst schonenden Natur-Tourismus als nachhaltigen Wirtschaftszweig zu entwickeln. "Tourismus ist natürlich naheliegend, also setzen erst einmal alle darauf", sagt Schiller. Das sei ein großer Kritikpunkt in der Szene. Aber mit dem Tourismus können sich auch andere nachhaltige Wirtschaftszweige entwickeln. Er denke etwa an naturbasierte Produkte. "Damit wird man nicht BMW ersetzen, wenn man Industrie-Aktivität vor Augen hat." Allerdings hat das Oder-Delta auch nicht die Populationsdichte von München.

"Die Voraussetzungen am Oder-Delta sind gut, aber das funktioniert natürlich nicht überall", zuckt Schiller mit den Schultern, "eine Eins-zu-eins-Übertragung auf andere Regionen wird nicht funktionieren, dazu sind die Systeme zu heterogen. Rewilding allein wird nicht die Welt retten, aber es hat Strahlkraft."