Mikrobiom: Bakterien auf der Haut können Krebs bekämpfen

Bei Mäusen wurden genveränderte Mikroben bereits erfolgreich zur Krebsbekämpfung eingesetzt. Erste Versuche an Menschen sollen in den nächsten Jahren folgen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 25 Kommentare lesen
Bakterien

(Bild: NIH)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Jessica Hamzelou
Inhaltsverzeichnis

In und auf unserem Körper leben Billionen von Mikroben. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler versuchen, dieses sogenannte Mikrobiom zu nutzen, um Krankheiten abzuwehren. Sie haben die Genome von Bakterien, die auf der Haut leben, verändert und so Mikroben geschaffen, die Krebs verhindern oder sogar behandeln können. Bei Mäusen scheint das zu funktionieren. Und bei Menschen?

"Ich glaube, das ist wirklich ein großer Durchbruch", sagt Julie Segre, Genetikerin und Hautbiologin am National Human Genome Research Institute in Bethesda, Maryland, die nicht an der Forschung beteiligt war. Die Idee, Mikroben für die Behandlung von Krebs und möglicherweise anderen Krankheiten nutzbar zu machen, sei "ein sehr aufregender neuer Weg für das Mikrobiom", sagt sie.

Die meisten Forschungen zum Mikrobiom konzentrierten sich auf die Billionen von Mikroben, die in unseren Eingeweiden leben. Aber auch unsere Haut beherbergt eine Vielzahl mikrobieller Ökosysteme. Das Ökosystem in der Achselhöhle kann ganz anders aussehen als das auf den Augenlidern. Noch ist unklar, was diese Mikroben genau machen, aber sie scheinen sich von menschlichen Sekreten zu ernähren und können möglicherweise selbst einige nützliche Sekrete zu produzieren, um uns vor Infektionen zu schützen.

So scheint das Mikrobiom die Arbeitsweise unseres Immunsystems zu beeinflussen. Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Mikroben, die in und auf unserem Körper leben, die Immunreaktion auf etwas, das uns potenziell schaden könnte, verstärken oder abschwächen können, ganz gleich ob es sich nun um eine Infektion, einen Tumor oder etwas eher Gutartiges handelt.

Auch das bloße Einbringen einer Mikrobe in die Haut eines Tieres kann eine Immunreaktion auslösen – allerdings eine, die nicht die üblichen Anzeichen einer Infektion wie Schmerzen, Fieber oder Übelkeit hervorruft. Das ist etwas überraschend, sagt der Mikrobiologe Michael Fischbach von der Stanford University, denn diese Mikroben sind in der Regel nicht schädlich: "Sie sind unsere Freunde." Wenn man zum Beispiel eine Mikrobe auf die Haut einer Maus aufträgt, kann das eine ähnliche Wirkung haben wie eine Impfung derselben Maus.

Mehr zu Medizin

Fischbach und seine Kollegen fragten sich, ob sie sich diesen Effekt zunutze machen könnten, um die Immunreaktion gezielt zu beeinflussen. Ihre Ergebnisse erschienen unlängst im Fachmagazin "Science".

Das Team begann seine Untersuchung mit der Wahl einer Mikrobe, die häufig auf der menschlichen Haut vorkommt: Staphylococcus epidermidis. Man geht davon aus, dass das Bakterium ein Teil des menschlichen Mikrobioms ist, das normalerweise keine Krankheiten verursacht. Die Mikroben, die die Forscher verwendeten, wurden ursprünglich hinter dem Ohr eines menschlichen Freiwilligen gesammelt, erklärt Fischbach.

Die Forschenden veränderten diese Mikroben, indem sie ihnen ein neues Gen einfügten. Das Gen kodiert für ein Protein, das sich auf der Oberfläche einiger Krebszellen befindet. Wenn das Immunsystem Zellen erzeugt, die die Mikrobe erkennen, werden diese Zellen auch Tumore erkennen. Das Team wendete diese "Designer-Bakterien" dann bei Mäusen an, indem es sie mit einem Wattestäbchen über den Kopf der Tiere wischte. Einer Vergleichsgruppe wurden normale, nicht veränderte Proben von S. epidermidis auf den Kopf gestrichen.

In beiden Fällen siedelten sich die Mikroben schnell auf der Haut der Mäuse an, sagt Fischbach. Zugleich wurden den Mäusen Hautkrebszellen injiziert. Diese Zellen stammten von anderen Mäusen, die an Krebs erkrankt waren, sodass sie das Zielprotein auf ihrer Zelloberfläche trugen.

In den folgenden Tagen und Wochen wuchsen diese Krebszellen bei den Mäusen, die die reguläre Mikrobe erhalten hatten, zu Tumoren heran. Bei den Mäusen, denen die manipulierte Mikrobe verabreicht worden war, verlangsamte sich das Fortschreiten des Krebses jedoch erheblich. "Man konnte sehen, wie diese riesigen Tumore auf der Seite der Mäuse wuchsen, die mit der normalen S. epidermidis bestrichen worden waren", sagt Fischbach. Aber bei den Mäusen, denen die veränderten Mikroben verabreicht worden waren, konnte man nichts sehen. Der Wissenschaftler weist darauf hin, dass diese besondere Art von Krebs bei Mäusen bekanntermaßen aggressiv und schwer zu behandeln ist.

"Wir waren von dem Ausmaß der Reaktion überrascht", sagt Fischbach. "Sie ist überraschend stark, wenn man bedenkt, wie mild die Behandlung ist." Die Behandlung wirkte auch bei Mäusen, die bereits zuvor Tumore gebildet hatten. Die Tumore schienen bei den Tieren zu schrumpfen, die mit den manipulierten Mikroben bestrichen wurden. Fischbach und seine Kolleginnen und Kollegen haben noch viel Arbeit vor sich, bevor sie die künstlichen Mikroben an Menschen testen können. Zunächst müssen sie eine gute Kandidatenmikrobe finden. Es ist nämlich unklar, ob S. epidermidis bei Menschen die gleiche Immunreaktion auslöst wie bei Mäusen. Möglicherweise funktioniert eine andere Mikrobe besser.

Außerdem müssen die Forschenden ein geeignetes Krebsprotein als Ziel wählen. Dies hat sich als Herausforderung bei der Entwicklung von mRNA-Impfstoffen gegen Krebs erwiesen, die ebenfalls auf der Auslösung einer Immunreaktion auf ein Krebsprotein beruhen. Oft gibt es, anders als etwa bei vielen Infektionskrankheiten, keinen offensichtlichen Kandidaten.

Sobald die Forscher herausgefunden haben, welche Mikrobe sie wie verändern werden, wollen sie deren Sicherheit anhand von Tierversuchen prüfen. Michael Fischbach hofft, in den nächsten Jahren Versuche mit Designer-Mikroben an Menschen mit Krebs durchführen zu können. Auch wenn sich das Team auf Krebserkrankungen konzentriert, könnten die modifizierten Bakterien ebenso zur Behandlung anderer Krankheiten und Allergien eingesetzt werden, schreiben Elaine Fuchs von der Rockefeller University in New York und ihre Kollegen in einem begleitenden Kommentar im Magazin "Science". Die weitere Erforschung der Verwendung modifizierter Mikroben "könnte den Weg zu sichereren, wirksameren und weithin anwendbaren Therapeutika ebnen", schreibt das Team.

"Was uns begeistert, ist die Vorstellung, dass man jemandem das einfach hinter das Ohr reiben und wieder gehen könnte", sagt Fischbach. "Und dann, zehn Tage später, könnte man eine starke Immunreaktion sehen, die im Prinzip unbegrenzt anhält."

(jle)